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Donnerstag, September 12, 2024
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    Massenproteste in Indien nach Vergewaltigung und Femizid an junger Ärztin

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    Nach der brutalen Vergewaltigung und Ermordung einer Ärztin sind in Indien Massenproteste gegen sexualisierte Gewalt und die unsicheren Arbeitsbedingungen von Ärzt:innen ausgebrochen. Dabei sind Frauenmorde wie diese keine Einzelfälle in Indien.

    Tausende sind aktuell auf den Straßen Indiens und protestieren gegen die alltägliche Gewalt, die Frauen und Mädchen in diesem System erfahren. Auslöser für die Proteste war die Gruppenvergewaltigung und der Femizid an einer jungen Ärztin im westbengalischen Kolkata Indiens.

    Die 31-jährige Ärztin begab sich nach einer 36-Stunden-Schicht zum Verschnaufen in einen Seminarraum des R.G. Kar Medical College and Hospitals. Ruheräume für Personal gibt es nämlich keine in den Krankenhäusern. Als ihre Kolleg:innen am nächsten Morgen den Raum betraten, fanden sie die junge Frau nackt mit schweren Verletzungen tot auf.

    Zwar hat die Polizei bereits einen Tatverdächtigen festgenommen, viele Kolleg:innen der Ermordeten werfen den Behörden jedoch vor, die Tat der Gruppenvergewaltigung vertuschen zu wollen und einen Einzelfall daraus zu spinnen. Anfangs hieß es seitens der Verwaltung zum Beispiel auch, dass man von einem Suizid ausgehe. Obduktionsergebnisse weisen jedoch schon jetzt auf eine Gruppenvergewaltigung hin.

    Allgemein gibt es in der Bevölkerung ein eher geringes Vertrauen gegenüber Polizeibehörden und dem indischen Justizsystem. Viele Strafdelikte – hier besonders Fälle von sexualisierter Gewalt – bleiben jahrelang unbeachtet oder Verdächtige werden auf Kaution freigelassen.

    Proteste gegen Femizide, Vergewaltigungen und schlechte Arbeitsbedingungen

    Nachdem bereits Proteste ausgebrochen waren, rief auch der größte indische Ärzteverband Indian Medical Association am Samstag zu einem 24-stündigen landesweiten Streik auf. Für einen gesamten Tag legten Mitarbeiter:innen aller Krankenhäuser im Land ihre Arbeit nieder und behandelten ausschließlich Notfälle. In einem Brief forderte der Verband Premierminister Narendra Modi auf, für einen besseren Schutz von Krankenhauspersonal zu sorgen.

    Die Proteste auf den Straßen vereinen dabei den Kampf gegen sexualisierte Gewalt und Femizide mit dem Kampf gegen die prekären Arbeitsbedingungen im indischen Gesundheitssystem. Dass diese Kämpfe kaum voneinander getrennt werden können, zeigen auch einige Statistiken: Ungefähr 60 Prozent des Ärztepersonals im Land besteht nämlich aus Frauen.

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    Trotzdem gibt es in den meisten Krankenhäusern keine eigenen Waschräume oder Aufenthaltsräume für Frauen. „Es ist ein allgemeiner Ort, jeder kann ihn benutzen. Die Patienten benutzen ihn. Wir fordern also zumindest unsere eigenen Aufenthaltsräume und Toiletten”, so eine Ärztin gegenüber der Nachrichtenagentur AP.

    Eine Studie der Indian Medical Association von 2019 ergab auch, dass bis zu 75 Prozent des ärztlichen Personals Drohungen und körperlichen Übergriffen ausgesetzt sind. „Ärztinnen und Ärzte werden misshandelt, sind unterbezahlt und überarbeitet”, beschrieb ein anderer Arzt der Times of India die Situation.

    Ähnliche Fälle in der Vergangenheit

    Der jetzige Fall erinnert an frühere Ereignisse: Am 16. Dezember 2012 wurde eine 23-jährige Studentin auf dem Nachhauseweg von einem Kinobesuch von einer Gruppe von sechs Männern vergewaltigt und anschließend schwer verletzt auf die Straße geworfen. Zwei Wochen später verstarb die angehende Psychotherapeutin an ihren Verletzungen im Krankenhaus. Es folgten landesweite Proteste, wochenlang wurde demonstriert, es wurden Mahnwachen und Schweigemärsche organisiert. Bereits damals wurde ein besserer Schutz von Frauen gefordert – geändert hat sich aber nichts.

    2017 dann wurde eine 27-jährige Tierärztin in einer Vorstadt von Hyderabad von vier Männern vergewaltigt und daraufhin mit Benzin übergossen und verbrannt. 2020 wurde eine 19-Jährige im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh vergewaltigt. Zwei Wochen später erlag auch sie den Misshandlungen.

    Patriarchale Gewalt ist Alltag – weltweit

    Gewalt an Frauen ist – unabhängig von ihrer gesetzmäßigen Erscheinung im Patriarchat – besonders in Indien bestimmend für das Leben unzähliger Frauen: Neben dem Kastensystem, das der Bevölkerung unterschiedliche Wertigkeiten zuordnet und die untersten Kasten systematisch unterdrückt, sind patriarchale Traditionen in Indien noch immer vorherrschend.

    Tag gegen Gewalt an Frauen: Nicht eine mehr!

    Sogenannte „Mitgiftmorde“ nehmen laut SOS Kinderdörfer weltweit im Jahr schätzungsweise 25.000 indischen Frauen das Leben. Als „Mitgift” bezeichnet man dabei das unerlässliche Vermögen, das die Braut nach der Ehe an die Familie des Mannes übergeben muss. Fällt diese Mitgift zu gering aus, droht der Frau die Ermordung durch ihren Mann oder ihre Schwiegereltern.

    Allgemein gilt die Frau in der Familie als direkter Besitz des Mannes, entweder ihres eigenen Vaters oder ihres Ehemannes. Töchter gelten aufgrund der kostspieligen Mitgift zudem als Armutsrisiko in Indien. Das erklärt auch die äußerst hohe Abtreibungsrate bei Mädchen von bis zu 600.000 jährlich, so eine Studie der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet.

    Mit Blick auf das große Ganze solidarisieren sich auch die kurdischen Frauenverteidigungseinheiten YPJ mit den Kämpfen gegen die patriarchale Gewalt in Indien und stellen fest: „Noch heute werden Frauen in Indien belästigt, in Iran werden Revolutionärinnen gehängt, im Irak ist die Verheiratung von Mädchen legalisiert. In Afghanistan werden den Frauen alle Menschenrechte vorenthalten. Deshalb muss der Kampf gegen dieses System global, multilateral und unbezwingbar sein.“

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