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Samstag, September 21, 2024
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    Nach Neonazi-Angriff in Berlin: Polizei wusste von Gefahr doch tat nichts

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    Nach einem organisierten faschistischen Angriff auf linke Demonstrationsteilnehmer:innen am Ostkreuz in Berlin geht nun aus einer parlamentarischen Anfrage hervor, was Augenzeug:innen schon länger wussten: Die Polizei wusste über die Gefahr, welche auf organisierte Anreisen ausging.

    Am 6. Juli wurden Teilnehmer:innen der antifaschistischen „Nach den Rechten schauen“-Demonstration von 15 Personen aus dem Neonazi-Spektrum angegriffen. Sie hatten sich an einem Vortreffpunkt am Bahnhof Ostkreuz versammelt, um zur Demo anzureisen. Dabei wurden mindestens sechs Personen verletzt, einige schwer.

    Organisierter faschistischer Angriff in Berlin

    Die Polizei schaute zu

    Nun wurde bekannt, dass die Polizei von einer Gefahrenlage ausging, jedoch keine Maßnahmen ergriff. In einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion heißt es dazu vom Senat: „Aufgrund der Aufzugsstrecke, die an Wohnanschriften von aktiven oder ehemaligen Mitgliedern der rechten Szene entlangführte, lag es für die Polizei Berlin im Bereich des Wahrscheinlichen, dass Kleingruppen der rechten Szene vor und nach der Versammlung den Kontakt zu (mutmaßlichen) Mitgliedern der linken Szene für eine körperliche Auseinandersetzung suchen würden. Dies wurde in der Einsatzplanung und -durchführung berücksichtigt“. Informationen darüber, wie diese Berücksichtigung ausgesehen hat, hält die Polizei unter Verschluss, da es die „andauernden Ermittlungen“ behindere.

    Auch wurden im Laufe des Angriffes weder Verstärkung angefordert noch andere Schutzmaßnahmen getroffen.

    Erst nach öffentlicher Berichterstattung – und weil auch Polizisten verletzt wurden – folgten Razzien. In einer Pressemitteilung der Generalstaatsanwaltschaft hieß es zu den Hausdurchsuchungen vom 18.7.: „Hintergrund des Einsatzes sind Ermittlungen zu verschiedenen Gewalttaten unter Beteiligung von Personen im Alter von 17 bis 21 Jahren, die der Nationalrevolutionären Jugend (NRJ), der Jugendorganisation der Kleinpartei „Dritter Weg“, zugehörig sein sollen. Ihnen wird u.a. vorgeworfen, am 6. Juli 2024 am S-Bahnhof Ostkreuz mehrere Personen angegriffen zu haben.” Der Dritte Weg weist die Anschuldigungen gegenüber Perspektive Online zurück. Wegen der Berichterstattung geht sie derzeit anwaltlich gegen unsere Zeitung vor.

    Laut Augenzeugenberichten seien die Angreifer beim Angriff in Zweierreihen organisiert und mit Holzknüppeln, Schlagstücken, Pfefferspray und Handschuhen bewaffnet auf die Antifaschist:innen zugelaufen, um sie gezielt anzugreifen.

    Trotzdem stellten bürgerliche Medien den Angriff anfangs als eine Schlägerei zwischen zwei kriminellen Gruppen dar, wie beispielsweise die Schlagzeile „Vermummte Gruppe überfällt andere Gruppe – mehrere Verletzte“ vom RBB.

    Angesichts steigender Angriffe von rechts wächst die antifaschistische Arbeit

    Antifaschisten dokumentieren schon seit Längerem das Wachstum von Neonazi-Organisationen in Berlin. Dazu gehört auch die Nazi-Partei Der Dritte Weg. Diese gewinnt ihre Anhänger:innen durch ein starkes Auftreten und vermeintlich unpolitische Aktivitäten. Zusammen mit der Jugendorganisation NRJ ist sie in Fußballvereinen, Graffiti und Kampfsportbereich aktiv und verteilt regelmäßig Flyer an Schulen im Osten Berlins. Damit bildet sie gezielt Jugendliche zu rechten Aktivist:innen aus und schafft dabei eine Brücke rechtsgesinnter Sympathisant:innen zum Straßenkampf, etwa durch Kampfsporttraining.

    Auch das Unabhängige Jugendzentrum Pankow (JUP) berichtete über Angriffe durch Neonazis Anfang des Jahres. Das JUP organisierte daraufhin im Juli eine Veranstaltung, in der sie über die mutmaßlichen Täter aufklärte – mit selbstorganisierten Verteidigungsstrukturen vor und im Gebäude.

    Nur eineinhalb Wochen nach dem Angriff am Ostkreuz trainiert nun die Partei Der Dritte Weg öffentlich im Stadtpark Lichtenberg Kampfsport und verteilt Propagandamaterial. Dagegen formierte sich bald darauf eine antifaschistische Reaktion im Stadtpark. Mehrere dutzend Antifaschist:innen verteilten sich auf dem Gelände mit der Botschaft, dass man für einen Stadtpark für alle kämpfen würde.

    Was macht der Staat?

    Wie sieht nun die Antwort vom Berliner Senat auf die erhöhte Aktivität und Militanz von Faschist:innen aus?

    Wenn es bei bestimmten rechten Gruppen gehäufter zu Straftaten käme, sollten diese besonders „beobachtet” werden. Wenn eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zu erwarten sei, würden „präventive Maßnahmen” getroffen, was seit Jahren auch fernab der Berichterstattung geschehen sein soll, so der Senat. Dennoch kam es zuletzt zu dem verheerenden Angriff.

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