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Zeitung für Solidarität und Widerstand

Budapest-Komplex: Deutschland und Ungarn Hand in Hand gegen Antifaschismus

In der ungarischen Hauptstadt sitzen seit fast sieben Monaten zwei Antifaschist:innen in Untersuchungshaft. Sie sollen an Protesten gegen den rechten Aufmarsch  zum „Tag der Ehre“ teilgenommen haben. – Ein Kommentar zur Repression im Budapest-Komplex von Arthur Jorn

Das Wochenende rund um den 11. Februar gleicht in Budapest einem Massen-Event der Ultrarechten. Dort, im „protofaschistischen Ungarn“, wird ihnen wenig entgegengesetzt. Antifaschistischer Gegenprotest wird von nazistischen Strukturen eingeschüchtert und von massiver staatlicher Repression unterdrückt.

Während ihres Gedenkens an die 30.000 gestorbenen NS- Soldaten, die im Kampf gegen die Rote Armee in der ungarischen Hauptstadt gefallen sind, fühlen sich die Rechten dort normalerweise sehr sicher. Doch in diesem Jahr Jahr wurden sie in ihrer Hegemonie gestört und mit genau solch einem „Gefühl der Ohnmacht“ konfrontiert, das sie sonst unter ihren Feinden verbreiten.

Konfrontationen zwischen Neo-Nazis und Antifaschist:innen

Bereits am 9. Februar kam es am Rand des Aufmarschs zu direkten Interventionen seitens der entschlossenen Antifaschist:innen. Dort, wo die Rechten sonst unter sich bleiben, sich vernetzen, gedenken und ihrer revisionistischen Gesinnung freien Lauf lassen können, waren sie nicht mehr allein. Mehrere Angriffsversuche und direkte Auseinandersetzungen waren die Folge.

Noch am selben Tag gründete die lokale Polizei eine Sonderkommission. Allein das zeigt, wie schnell die ungarischen Behörden sind, wenn es darum geht, antifaschistische Praxis zu unterbinden, während Rechte ungeniert den Hitler-Gruß zeigen können und durch Uniformen und Symbole die NS-Diktatur verherrlichen. Allgemein ist der ungarische Staat bekannt dafür, dass er sich immer weiter in Richtung einer faschistischen Diktatur entwickelt.

Als es auch am 10. und 11. Februar zu mehreren direkten Konfrontationen gekommen war, gab es an diesen Tagen insgesamt sieben Festnahmen. Zeitgleich konnten die Faschisten rund um die rechtsextreme Bruderschaft „Betyàrsereg“ einen Angriffsversuch auf verbleibende Gegendemonstrant:innen unternehmen. Im Nachhinein machte die Polizei keine Anstalten, nach den Tätern zu fahnden. Zwar wurden in den Folgetagen mehrere der inhaftierten Antifaschist:innen wieder frei gelassen, da sich die Vorwürfe gegen sie als vollkommen haltlos erwiesen hatten, jedoch fahndete die ungarische Polizei weiterhin nach mehreren Personen, die mutmaßlich an Angriffen auf Neo-Nazis teilgenommen haben sollen.

Während die verbliebenen Antifaschist:innen schnell untertauchen und um ihre Freiheit bangen mussten, konnten die Rechten noch am selben Tag ein offen nationalsozialistisches Rechtsrock-Konzert stattfinden lassen, bei dem gegen Minderheiten gehetzt, zu Gewalt gegenüber politischen Gegener:innen aufgerufen und Hitlergrüße gezeigt wurden.

Zwei der Antifaschist:innen, die beschuldigt wurden, anwesende Rechte angegriffen zu haben, sitzen nach wie vor in Budapest in Untersuchungshaft. Ihr kommender Prozess wurde mehrmals verschoben, sodass der nächste Haftprüfungstermin frühestens am 14. November zu erwarten ist. Die beiden Inhaftieren berichteten bereits früh von schlechten und einengenden Haftbedingungen.

Hausdurchsuchungen in Berlin, Leipzig und Jena

Bereits kurze Zeit nach dem „Tag der Ehre“ folgten Razzien in Berlin. So wurden dort am 15. Februar zwei Wohnungen durchsucht, die von Personen bewohnt werden, die in direktem Zusammenhang mit den Vorfällen in Budapest stehen sollen. Sind beispielsweise für die Zerschlagung von Reichsbürger-Strukturen Monate notwendig, bis Maßnahmen ergriffen werden können, war es für die Behörden binnen kürzester Zeit möglich, trotz einer verschwindend geringen Beweislage mehrere Wohnungen zu stürmen.

Genau einen Monat später folgten dann mehrere Razzien in Leipzig und Jena. Bemerkenswert dabei ist die immense Brutalität, mit der die Polizei dabei vorgegangen sein soll: Mehrere Wohnungstüren wurden Berichten zufolge ohne jegliche Notwendigkeit mit Hilfe von Schnellfeuerwaffen aufgeschossen, in eine Wohnung in Jena wurde sogar, obwohl keine Gegenwehr zu erwarten war, eine Blendgranate geworfen. Beide Beispiele zeigen, mit welchem Enthusiasmus linke Personen vom Staat tyrannisiert werden. Nach Angaben der Roten Hilfe Jena wurde dort sogar eine Antifaschistin ohne Unterwäsche aus dem Bett gezogen und anschließend über mehrere Stunden von ausschließlich männlichen Polizeibeamten auf dem Fußboden festgehalten.

Vom „Rechtsstaat“ zum Rechten Staat

Der Polizeistaat hat an diesem Tag deutlich gemacht, wie viel ihm daran liegt, mit martialischer Härte gegen Antifaschist:innen vorzugehen, selbst wenn ausschlaggebende Beweise kaum geprüft wurden und Ermittlungen – wie auch im Fall der Soko Linx -teilweise von Beamt:innen durchgeführt werden, die Kontakte in die rechte Szene haben.

Eine öffentliche Stellungsnahme der Behörden zu den genannten Vorwürfen gab es an keiner Stelle. Zu groß schien die Angst, eigene Kamerad:innen zu verraten oder durch Disziplinarverfahren einmal mehr negativ in der Öffentlichkeit zu stehen. Gleichzeitig macht sich der vermeintlich so demokratische deutsche Staat hier erneut zum Handlanger eines von autoritären Rechten regierten Staats.

Repression gegen Antifaschist:innen und Einschränkung von demokratischen Freiheiten

Die Verfolgung von Antifaschist:innen, die an den Aktionen in Budapest teilgenommen haben sollen, ist nur eines von vielen ähnlichen Beispielen aus der letzten Zeit. Dabei hat sich nicht zuletzt am staatlichen Vorgehen gegen die antifaschistische „Tag X“-Demonstration in Leipzig gezeigt, dass der Staat im Kampf gegen fortschrittliche Bestrebungen sich auch nicht scheut, seine eigenen „demokratischen“ Spielregeln außer Kraft zu setzen.

Immer größere Polizeiaufgebote und Schikanen bei antifaschistischen Demonstrationen sind die logische Konsequenz einer Radikalisierung der Sicherheitspolitik, die sich nahtlos in das aktuelle Zeitgeschehen einfügt. Deutschlands Innenminister:innen fordern zunehmend eine Aufrüstung der deutschen Polizeibehörden, während in Sachsen das Demonstrationsrecht nochmals verschärft und damit auch eingeschränkt werden soll. So soll es unter anderem ein „Störungsverbot“ für Gegendemonstrationen geben, was besonders rechten Umtrieben entgegenkommen würde. Auch in Hessen gibt es ähnliche Bestrebungen.

All das zeigt, dass der Kampf gegen den Faschismus Hand in Hand gehen muss mit dem Kampf gegen einen immer stärker vorangetriebenen, autoritären Staatsumbau.

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