Im Februar kam es zu einer Kampagne von Politik und Medien gegen die „Antifaschistische Revolutionäre Aktion Gießen” (ARAG). Wegen ihrer Solidarität mit dem palästinensischen Volk und ihrer Haltung gegen den Krieg Israels wurde der kommunistischen Gruppe Antisemitismus unterstellt. Als Vorwand diente ein Disput mit einem ehemaligen Vorstandsmitglied der jüdischen Gemeinde am Rande einer Demonstration, zu dem die ARAG ein Statement verfasst hat. Perspektive Online hat mit den beiden ARAG-Aktivist:innen Anna und Tim gesprochen.
Wie wurde die Kampagne gegen euch aufgezogen? Was war das Ziel der Kampagne?
Tim: Die Kampagne gegen uns wurde bereits im November letzten Jahres gestartet. Die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) nutzte das größte lokale Presseorgan, die Gießener Allgemeine (GAZ), um Stimmung gegen die DKP, KO und uns zu machen, mit dem Ziel, kommunistischen Strukturen die Infrastruktur zu entziehen und damit auch den Meinungskorridor weiter zu verengen.
Anna: Der vorläufige Höhepunkt dieser Kampagne waren die Angriffe gegen uns im Zusammenhang mit der Hanau-Gedenkdemo im Februar. Das Muster war altbekannt: Berechtigte Kritik an der ultrarechten Regierung Israels wurde als antisemitisch diffamiert. Die Grundlage war sehr dünn: Schilder mit Kritik an Rassismus, auch in Israel und der Auspruch “verpiss dich”, gerichtet an einen Mann, der uns wegen der Schilder belästigt hatte, reichten aus, um eine Woche lang fast täglich über uns zu berichten. Am Tag nach der Hanau-Demo wurde bekannt, dass die Polizei pro-aktiv wegen Körperverletzung ermitteln werde. Und im Studierendenparlament setzte die liberale Hochschulgruppe durch, dass wir von der Soli-Liste gestrichen wurden.
In derselben Woche beschloss das Stadtparlament, zu prüfen, ob man Organisationen wie unserer die Vermietung städtischer Räume verweigern könne. In den folgenden Tagen wurde, wie bereits im November 2023, Druck auf die lokale Kulturgenossenschaft raumstation3539 ausgeübt, uns keine Räumlichkeiten mehr zu vermieten.
Wie wurde bezüglich der Raumvergabe an euch entschieden?
Tim: Oberbürgermeister Becher erklärte, dass es derzeit keine rechtliche Möglichkeit gibt, bestimmte Gruppen grundsätzlich von der Nutzung städtischer Räume auszuschließen. Es besteht jedoch die Befürchtung, dass das “Demokratiefördergesetz” von Faeser weitere Einschränkungen bürgerlich-demokratischer Rechte mit sich bringt. Becher betont zudem, dass mit „größter Aufmerksamkeit“ geprüft werden müsse, ob Veranstaltungen die öffentliche Sicherheit gefährden und es strafbare Handlungen gebe. Wie das aussieht, bleibt abzuwarten.
Die raumstation3539 prüft aktuell die weitere Vermietung an uns und hat dijenigen Parteien, die verschiedene Vorwürfe an uns adressierten, um Belege gebeten.
Wer waren die Akteur:innen der Kampagne?
Tim: Der Anstoß, kommunistischen Strukturen die Räumlichkeiten zu entziehen, kam von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Alle bürgerlichen Parteien waren an der Kampagne beteiligt. Besonders hervorgetan haben sich SPD, CDU und die Hochschulgruppe der FDP.
Wie ordnet ihr die Geschehnisse in den bundespolitischen Kontext ein?
Tim: Es findet aktuell eine bundesweite Kampagne statt, die zum Ziel hat, die Meinungsfreiheit einzuschränken. Vorangetrieben wird diese Kampagne vor allem von SPD und Grünen. Da diese beiden Parteien von vielen als „links“ wahrgenommen werden, profitieren am Ende die Rechten davon.
Anna: Um die Meinungsfreiheit anzugreifen, bietet sich gezeigte Palästina-Solidarität gut an. Unter anderem deshalb, weil die israelische Regierung eine Lobby in der BRD hat, die sehr laut und konfrontativ gegen Kritikerinnen und Kritiker vorgeht, wie das Beispiel der DIG zeigt.
Tim: Der deutsche Imperialismus agiert wieder aggressiver und bereitet sich darauf vor, sich noch offener an weiteren Kriegen zu beteiligen. Dafür fehlt ihm aktuell noch die nötige „Kriegstüchtigkeit“ in der Bevölkerung. In Kriegszeiten möchte man Ruhe an der Heimatfront. Deshalb sollen Kriegsgegnerinnen und Gegner mundtot gemacht werden.
Starkes Gedenken an Hanau – überschattet von Rassismus und Repressionen
Wie seid ihr bislang damit umgegangen und was könnt ihr anderen betroffenen Strukturen mitgeben?
Anna: Für uns war es wichtig, uns nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Diese Entscheidung betrifft nicht nur diese spezifische Kampagne gegen uns, sondern ist eine generelle Herangehensweise. Wir reagieren nicht auf jede Provokation.
In diesem Fall haben wir von Anfang an den Weg in die Öffentlichkeit gewählt. Durch die Veröffentlichung eines Statements und die Teilnahme an Interviews wie diesem hier oder in der jungen Welt haben wir unsere Sichtweise klargestellt und eine solidarische Verbundenheit mit anderen Aktivisten und Aktivistinnen gezeigt. Zudem arbeiten wir mit anderen revolutionären Strukturen vor Ort auf einer solidarischen Ebene zusammen. Der Austausch untereinander erweist sich als äußert hilfreich.
Tim: Neben Solidaritäts- und Öffentlichkeitsarbeit war es uns wichtig, uns nicht einschüchtern zu lassen und unseren Überzeugungen treu zu bleiben. Diese Erfahrungen und Erkenntnisse möchten wir auch anderen betroffenen Strukturen mitgeben.