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Montag, September 16, 2024
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    Unbezahlbare Führerscheine, patriarchale Fahrlehrer: Alltäglicher Stress im Autoland BRD

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    In den letzten Jahren sind die Preise für Fahrschulen und Führerscheine rasant gestiegen. Die hohen Preise sind jedoch nicht das einzige Problem, das junge Menschen hinter der Fahrschultür erwartet. Oft machen lange Wartezeiten sowie patriarchale Fahrschullehrer zusätzlichen Stress. – Ein Kommentar von Tabea Karlo.

    Mittlerweile können die Kosten für einen Führerschein in Deutschland bei deutlich über 4.000 Euro liegen. Damit liegen die Preise weit höher als noch vor einigen Jahren. Laut dem Statistischen Bundesamt befinden sich die Steigerungen damit oberhalb des Inflationsniveaus. Interessant hierbei ist, dass Fahrschulen bei der Festlegung ihrer Preise nicht gesetzlich gebunden sind. Sie bestimmen diese selbst und unterliegen lediglich einer Transparenzpflicht, so das Statistische Bundesamt.

    Der Preisanstieg über die letzten Jahre verläuft dabei zwar kontinuierlich, hat in den letzten Jahren aber noch einmal einige große Sprünge gemacht: Seit 2017 sind die durchschnittlichen Kosten für den Erwerb eines Führerscheins von 1.929 auf 2.772 Euro gestiegen. Die Preise selbst können zusätzlich noch stark variieren: Dem ADAC zufolge konnte ein Autoführerschein im letzten Jahr zwischen 2.100 und 4.400 Euro kosten.

    Der Trend ist dabei vor allem auf den Preisanstieg bei den Fahrstunden zurückzuführen: Dieser lag zuletzt bei 58,8 Prozent. Laut einer Studie der Allianz kostet eine 45-minütige praktische Fahrstunde meist zwischen 55 und 77 Euro. Das sind also mindestens 1,2 bis maximal 1,7 Euro pro Minute.

    Für viele wird der Führerschein zur Pflicht

    Insbesondere junge Menschen, die auf dem Land wohnen und daher auf ein Auto angewiesen sind, werden durch die Preissteigerungen in eine prekäre Lage gedrängt. Ihnen wird so oft die Möglichkeit genommen, am sozialen Leben teilzunehmen. Im Zweifelsfall kann es aber sogar dazu führen, dass sie eine Ausbildung oder einen Studienplatz in einer Stadt nicht annehmen können, da der Auszug zu teuer wäre und ohne Führerschein das Pendeln zu lange dauert.

    In der Stadt ist der öffentliche Nahverkehr häufig besser ausgebaut. Hier ist man nicht zwangsläufig auf ein Auto angewiesen, um von A nach B zu kommen. Das Problem mit der Ausbildung ergibt sich teilweise trotzdem, da für manche Ausbildungsplätze ein Führerschein gefordert wird. Wenn er nicht schon zum Ausbildungsbeginn benötigt wird, dann in der Regel spätestens bei der langfristigen Festanstellung: so erwarten auch heute noch viele Unternehmen einen Führerschein von ihren Bewerber:innen.

    Wartezeiten bis zum St. Nimmerleinstag, danach Stress beim Amt

    Auch die Wartezeiten auf Plätze in der Fahrschule und Prüfungstermine werden immer länger. Im Mai betrug die Wartezeit auf einen Termin für die praktische Führerscheinprüfung in Berlin rund sechs Monate. Damit gehört der Stadtstaat zu den Extremfällen.

    Doch auch in anderen Bundesländern steigen laut der Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände die Wartezeiten, z. B. in Hamburg, Braunschweig und Teilen von Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Lange Wartezeiten sind nicht nur ärgerlich, sondern bilden für viele Menschen einen zusätzlichen Kostenfaktor.

    „Das kann durchaus Mehrkosten für den Fahrschüler bedeuten. Man bildet ihn aus, er ist fertig, kriegt keine Prüfung und muss dann immer wieder die ein oder andere Fahrstunde machen, um das Gelernte nicht zu vergessen.”, so Joachim Ehling gegenüber dem NDR.

    Hinzu kommt, dass die Durchfallquoten immer weiter ansteigen: Im Jahr 2022 betrug die Durchfallquote in der theoretischen Prüfung im bundesweiten Schnitt 47,44 Prozent. Bei der praktischen Prüfung lagen die Zahlen ähnlich hoch, die Quote betrug hier rund 45,04 Prozent. Das bedeutet, dass fast die Hälfte aller Fahrschüler:innen eine oder sogar zwei ihrer Prüfungen wiederholen müssen. Schon vor der Prüfung wissen sie, dass das die Kosten weiter in die Höhe treiben wird. Zusammen mit einer ohnehin belastenden Prüfungssituation bildet das einen enormen Stressfaktor.

    Patriarchat hinterm Steuer – wenn der eigene Fahrschullehrer übergriffig wird

    Frauen erwarten in der Fahrschule oft besondere Probleme: Nach einer Folge des ZDF-Magazins „Royal” im letzten Jahr, die Sexismus und Übergriffe in der Fahrschule zum Thema hatte, ging eine Welle durchs Netz, in der verschiedenste Frauen von ihren Erfahrungen berichteten: Unter ihren Schilderungen findet sich alles vom augenzwinkernden Kommentar über die Unterwäsche der Fahrschülerin bis hin zu sexualisierten Übergriffen und Nötigung.

    Der Vorsitzende des Fahrschulverbands, Kurt Bartels, wehrte die Vorwürfe gekonnt ab: Bei den sexualisierten Übergriffen würde es sich um Einzelfälle handeln, sonst wäre die Fahrerlaubnisbehörde darauf aufmerksam geworden. Recherchiert man zur Person Bartels, dann findet man allerdings gerne mal auf Instagram und Facebook den einen oder anderen unangemessenen Post zu einer Frau im Auto.

    Noch im Sommer dieses Jahres berichtete eine Fahrlehrerin über Übergriffe in Fahrschulen. „Von Fahrlehrern, die ‚touchy’ sind. Die blöden Sprüche rund um den Schaltknüppel machen: ‚Stell dir vor, das ist dein Freund’. Ich muss wohl nicht dazu sagen, dass anzügliche Bemerkungen oder ein unangemessenes Näherkommen auf derart engem Raum eine besonders drastische Wirkung haben. Nicht ohne Grund reden manche vom ‚rollenden Angstraum’. Ein Fahrlehrer wollte von einem Mädchen Oben-ohne-Bilder haben. Erst dann würde er sie zur Theorieprüfung zulassen, meinte er.”, heißt es da.

    Übergriffe an Fahrschulen stellen keinen Ausnahmefall dar, sondern sind für viele junge Frauen Alltag. Die Tatsache, dass Fahrlehrer in den meisten Fällen Männer und Fahrschülerinnen oft noch junge Frauen sind, begünstigt die patriarchale Machtdynamik. Dass man sich in einem engen Raum ohne Zeug:innen befindet und größtenteils in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Lehrer, verschlimmert die Situation. Der Wechsel einer Fahrschule ist für viele Schülerinnen nicht möglich – schließlich liegt allein die Anmeldegebühr bei vielen Schulen schon zwischen 150 und 200 Euro.

    Fahrschulpreise runter – auch junge Menschen brauchen einen Führerschein

    Einen Führerschein zu machen, stellt heute für viele junge Menschen also ein Stresserlebnis dar und dabei noch ein ganz schön teures. In einem Land, in dem der Besitz eines Führerscheins auch heute noch essenziell ist, um Ausbildungsplätze oder Jobangebote zu bekommen, um zur Uni fahren zu können oder im Notfall schnell genug zum Krankenhaus zu gelangen, wenn man auf dem Land wohnt, wird das zum Riesen-Problem. Schließlich machen die meisten jungen Menschen ihren Führerschein nicht nur aus einer Laune heraus, sondern benötigen ihn tatsächlich im Alltag.

    Woher kommen die Probleme?

    In der Konsequenz sehen wir, dass die meisten Probleme im Fahrschulsystem durch die Profitorientierung geschaffen werden. Fahrschulen steigern ihre Preise immer weiter, zum einen, weil sie Gewinn machen wollen, zum anderen, weil die Kosten, um eine Fahrschule zu betreiben, immer weiter steigen. Hinzu kommt die typische deutsche Bürokratie gemeinsam mit einer schlechten Bezahlung der Arbeiter:innen, die für lange Wartezeiten und schwierige Prüfungen sorgt.

    Im Kapitalismus wird das Ganze zu einem Teufelskreis: Autofahren und einen Führerschein zu erlangen wird immer teurer, weil die verschiedenen Unternehmen, die damit zusammenhängen, Profit machen wollen. Zum anderen ist in weiten Teilen des Landes der ÖPNV aber extrem schlecht ausgebaut. Viele werden dadurch zum Führerschein gedrängt – besonders im „Autoland“ Deutschland, wo am Nahverkehr beteiligte Konzerne weniger Subventionen bekommen.

    Am Ende ist es dann wieder größtenteils die Arbeiter:innenklasse, auf deren Rücken die darauf entstehenden Mehrkosten abgewälzt werden. Wir zahlen die steigenden Führerscheinpreise, und wer sich das nicht leisten kann, der zahlt eben das immer teurer werdende Deutschland-Ticket. Und wer sich das nicht leisten kann? Hat Pech gehabt.

    Wir müssen uns also einsetzen für eine Gesellschaft, in der sich Auto-, Bus- und Bahnverkehr gegenseitig ergänzen und nicht gegeneinander arbeiten. Außerdem brauchen wir ein Fahrschulsystem, das nicht am Profit orientiert ist, sondern sich zur Aufgabe macht, seinen Schüler:innen ein möglichst erfolgreiches Lernerlebnis zu ermöglichen. Das wäre allein schon deshalb notwendig, damit Menschen auch tatsächlich umsichtig und ruhig fahren lernen und sich nicht voller Stress durch ihre Stunden und Prüfungen hetzen – was langfristig sicherlich auch die Fahrsicherheit stärken und Unfallquoten senken würde.

    • Perspektive-Autorin seit 2017. Berichtet schwerpunktmäßig über den Frauenkampf und soziale Fragen. Politisiert über antifaschistische Proteste, heute vor allem in der klassenkämperischen Stadtteilarbeit aktiv. Studiert im Ruhrpott.

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