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Samstag, September 21, 2024
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    Angehörige im Budapest-Komplex: „Ergebnis von unrechtem Handeln ist Solidarisierung unter Betroffenen”

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    Seit mehr als 10 Wochen befindet sich die Antifaschist:in Maja in Ungarn in Isolationshaft. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion hatten die deutschen Behörden Maja dorthin ausgeliefert. Sie soll in Auseinandersetzungen mit Rechten verwickelt gewesen sein, auch weiteren Antifaschist:innen droht die Auslieferung. Eine Gruppe von Eltern und Angehörigen wehrt sich dagegen. – Im Interview beschreibt Felix die Haftbedingungen von Maja und wie das Vorgehen der Behörden die Angehörigen zusammengeschweißt hat.

    Im Februar 2023 fand der faschistische „Tag der Ehre“ in der ungarischen Hauptstadt Budapest statt. Am Rande kam es zur Auseinandersetzung zwischen Rechten und Antifaschist:innen. Nun werden letztere verfolgt. Im Juli wurde Maja in einer Nacht-und-Nebel-Aktion nach Ungarn ausgeliefert. Was wird den Betroffenen eigentlich vorgeworfen?

    Was den Betroffenen vorgeworfen wird, wissen wir nicht genau und ist wohl auch bei jeder:m Einzelnen unterschiedlich. Für alle lautet wohl der für das Strafmaß wesentliche Vorwurf „Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung”. Zusätzlich – zumindest bei einigen – auch „schwere Körperverletzung” gegen Teilnehmer des „Tages der Ehre”. Da wir aber die Ermittlungsakten nicht kennen, bleibt vieles sehr spekulativ. Auch die Anwält:innen der Betroffenen kennen oft nur Bruchstücke der Akten.

    Wie zurückhaltend man bei allen Spekulationen sein sollte, zeigt das italienische Beispiel Gabriele Marchesi. Auch ihm wurden von Ungarn die gleichen Dinge vorgeworfen. Der italienische Generalstaatsanwalt Cuno Tarfusser erklärte: Marchesi drohe in Budapest eine Strafe von 2 bis 24 Jahren, es handele sich dabei um „eine große Bandbreite“ für Verstöße, „die in unserem Land als sehr geringfügig gelten würden“.

    Sowohl Staatsanwaltschaft als auch Gericht lehnten in Italien dann eine Auslieferung ab, und Gabriele lebt heute wieder auf freiem Fuß.

    Wichtig ist uns, immer wieder zu betonen, dass es keine Vorverurteilungen geben darf und die Vorwürfe nur im Rahmen rechtsstaatlicher Ermittlungen und Verfahren geklärt werden können. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, auf die wir seit nun über eineinhalb Jahren vergeblich warten.

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    Laut eurer Website seid ihr „Eltern und Angehörige von jungen Menschen, die von Auslieferung bedroht sind oder schon nach Ungarn ausgeliefert wurden“. Wie sieht eure politische Arbeit konkret aus?

    Wir sind ja eine „Schicksalsgemeinschaft” und keine politische Gruppierung. Naturgemäß bewerten wir daher auch nicht alle Vorgänge gleich. Absolute Einigkeit besteht aber in der Überzeugung, dass eine Auslieferung nach Ungarn völlig inakzeptabel ist. Und zwar sowohl aus rechtsstaatlicher Perspektive, als auch aus menschenrechtlicher oder humanitärer Perspektive.

    Unsere Arbeit fokussiert daher darauf, Auslieferungen zu verhindern, bzw. die rechtlich fragwürdige Auslieferung von Maja rückgängig zu machen oder aber mindestens die Haftbedingungen von ihr signifikant zu verbessern. Wir informieren die Menschen über die Rechtssituation in Ungarn und die Haftbedingungen von Maja über die Webseite, Petitionen, Flyer oder lokale Aktionen und sprechen Politiker:innen und andere potenzielle Unterstützer:innen aus allen Parteien und Gruppen an.

    Wir sind überzeugt, dass unsere Forderungen berechtigt sind und eigentlich von allen Demokraten egal welcher politischen Heimat mitgetragen werden müssten.

    Maja wurde, wie ihr es beschreibt, in einer „Nacht-und-Nebel-Aktion“ nach Ungarn ausgeliefert. Die Verhältnisse in den ungarischen Gefängnissen sind grauenhaft. Verstöße gegen Regeln für menschenwürdige Haftbedingungen gehören hier zum Alltag, besonders für queere Personen wie Maja. Ist das noch „rechtsstaatlich“?

    Ein klares NEIN. Konkret verstoßen die Haftumstände von Maja eklatant gegen etliche und wesentliche internationale Regeln wie die European Prison Rules oder die Nelson Mandela Rules der Vereinten Nationen, zu deren Einhaltung sich Ungarn nicht nur im Allgemeinen verpflichtet hat, sondern auch gegenüber dem Kammergericht in Berlin noch einmal konkret.

    Eine Isolationshaft ist z.B. nach diesen Regeln nur „als letztes Mittel” und nur „mit Begründung” und „zeitlicher Befristung” erlaubt. Maja sitzt aber ohne Begründung und ohne Befristung seit dem ersten Tag – und bisher einzigem „Mittel” – in Isolationshaft. Seit nunmehr über 10 Wochen. Da psychische Schäden bei längerer und anhaltender Isolationshaft – ab 14 Tagen – bekannt sind, muss laut internationaler Regel in diesen Fällen mindestens zwei Stunden am Tag Kontakt mit anderen Menschen möglich gemacht werden und eine ärztliche Betreuung erfolgen.

    Maja aber sitzt quasi 24 Stunden am Tag in Isolationshaft und hat keine nennenswerte ärztliche Betreuung. Das kann und muss man „weiße Folter” nennen, denn das Ziel ist ja die Erpressung eines Geständnisses.

    Über die fehlende Unabhängigkeit der ungarischen Justiz hat bereits die Europäische Kommission zuletzt im Juli 2024 berichtet und sperrt deswegen weiter viele Milliarden Euro an Fördergeldern.

    Auf diese Frage ist es schwierig, eine differenzierte Antwort zu geben und unsere Antwort wäre dann auch mehrstimmig. Daher hier nur eine Annäherung: Es handelt ja nicht „der Staat”, sondern es handeln Menschen in Institutionen. Ob dann eine Hausdurchsuchung angemessen oder repressiv ist, ob die Polizeipräsenz auf einer Demo nachvollziehbar oder provozierend ist, kann man ja ehrlicherweise nur von Fall zu Fall diskutieren. Und man wird oft nicht einer Meinung sein. Pauschale Urteile über „den Staat” oder „die Polizei” sind meist genauso wenig hilfreich wie andere Pauschalisierungen.

    Wir als Angehörige, die wir ja alle keine Beschuldigten sind, haben aber in den letzten eineinhalb Jahren auch Dinge erlebt, die wir für klare Regelverletzungen und Grenzüberschreitungen seitens der Verantwortlichen halten: z.B. eine Hausdurchsuchung, bei der ein friedlicher Vater mit Kabelbindern fixiert und stundenlang vor seinen Kindern auf dem Boden gedrückt wurde, oder Anquatsch-Versuche des Verfassungsschutzes bei minderjährigen Geschwistern oder natürlich der rechtlich sehr fragwürdige Ablauf der Auslieferung von Maja, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

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    Wenn die dafür Verantwortlichen geglaubt haben sollten, mit solchen Aktionen etwas zu erreichen, dann sei Ihnen von hier geantwortet: Das einzige Ergebnis von solch unrechtem Handeln ist Solidarisierung unter den Betroffenen und Zuwachs an Skepsis gegenüber den bestehenden Strukturen.

    Wir Eltern und Angehörige haben auch versucht, in einen Dialog mit Marco Buschmann und Annalena Baerbock zu kommen: so haben wir mehrfach gebeten, für die Übergabe unserer Petition, die von über 76.000 Menschen unterstützt wird, einen Termin zu bekommen: null Reaktion, nicht mal eine formelle Absage. Nur kalte Schulter.

    Zur Frage zurück: wir erleben destruktive und konstruktive Akteure in diesem Staat und wir werden nicht müde werden, uns mit den konstruktiven Kräften zu vernetzen, bis wir für Maja Verbesserungen erreicht und bis wir weitere Auslieferungen verhindert haben.

    Anfang Juli beteiligten sich Hunderte von Antifaschist:innen an Demonstrationen in Solidarität mit Maja in Berlin, Hamburg, Leipzig  und weiteren Städten. Welche Spielräume ergeben sich für künftigen Protest, wie können sich Interessierte solidarisieren?

    Am besten immer mal wieder unsere Webseite www.kanu.me besuchen und unsere Petition unterzeichnen. Auf der Webseite gibt es Anregungen für Solidaritätsaktionen: z.B. einen Brief an Maja und/oder Hanna schreiben (an elterngegenauslieferung@systemli.org) oder unsere vorbereiteten Postkarten an Frau Baerbock und Herrn Buschmann unterschreiben, frankieren und versenden. Die Druckvorlage findet sich auf unserer Webseite.

    Wir denken, dass Öffentlichkeit wichtig ist. Es ist also hilfreich, wenn viele immer über das Thema sprechen. Man kann sich z.B. auch auf seiner eigenen Insta-Seite gegen die Auslieferung weiterer Menschen und für die Rückführung Maja aussprechen und unsere Webseite bewerben.

    Nicht zuletzt wird immer Geld gebraucht. Spenden z.B. an die Rote Hilfe oder lokale Soli-Guppen sind also auch willkommen.

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