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Samstag, April 20, 2024
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    Wie ich als „Jude“ beschimpft wurde – und was heute zum Antisemitismus zu sagen ist

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    Ein Kommentar von Salomon Eiden

    Nachdem am Mittwoch ein Mensch mit jüdischer Kippa in Berlin von drei Arabern mit einem Gürtel geschlagen wurde, ist wieder einmal eine Diskussion über Antisemitismus in Deutschland entbrannt. Hängt dieses „neu“ aufgetretene Problem mit den muslimischen Geflüchteten zusammen? Nein, auch ich wurde in der süddeutschen Provinz schon oft als „Jude“ beschimpft.

    Als ich vor fast zehn Jahren, die 8. Klasse des Gymnasiums einer Kleinstadt in Baden-Württemberg besuchte und im Religionsunterricht berichtete, dass mein Urgroßvater ein Jude war und ins KZ Buchenwald deportiert wurde, waren die ersten Reaktionen „Haha ,ein Jude!“ und abschätzige Fragen, ob ich selbst Jude sei.

    Auch danach wurde ich immer wieder als „Jude“ beschimpft oder es wurden Witze über „Juden“ gemacht. Waren meine MitschülerInnen Muslime?

    Nein, meine MitschülerInnen waren keine Muslime, sondern deutsche Kinder aus christlichem Haushalt. Sie waren Jugendliche, die in Deutschland aufgewachsen sind und Antisemitismus als etwas Normales und Richtiges ansahen.

    Deutschland ist das Land, welches die schrecklichste Geschichte im Bezug auf das Judentum hat. Mehr als sechs Millionen Juden wurden im Auftrag des Hitler-Faschismus vergast und ermordet. Aber von Selbstreflektion ist in der deutschen Politik wenig zu spüren. Man hetzt gegen Geflüchtete, gegen Muslime, man hetzt wieder gegen Minderheiten im eigenen Land.

    Wenn wir uns die Zahlen der Straftaten gegen Juden anschauen, wird einem ganz anders: Allein im Jahr 2017 gab es 1.453 antisemitische Straftaten. Wie viele davon wurden wohl von Menschen mit islamischem Hintergrund begangen?

    Fünfundzwanzig Straftaten hatten einen „religiösen Hintergrund“ und 33 wurden von MigrantInnen ohne muslimischen Hintergund begangen. Die anderen 1.377 Angriffe und Volksverhetzungen wurden durch rechtsradikale Deutsche begangen. Die Zahlen decken sich fast mit dem Jahr 2016 und haben sich im Vergleich zum Jahr 2015 erhöht.

    Um es klar zu sagen: für mich ist es egal, wer antisemitisch handelt – es ist einfach widerwärtig und zu bekämpfen. Und diese heuchlerische Debatte, die mit dem Finger nur auf Muslime zeigt und den deutschen Antisemitismus ignoriert, kann ich nicht akzeptieren.

    Hochproblematisch für den Kampf gegen Antisemitismus ist außerdem die sich immer mehr verbreitende Annahme, dass Kritik am Staat Israel per se antisemitisch sei.

    Der Gründung des Staats Israels im Jahr 1948 liegt der Zionismus zugrunde, eine Ideologie, die davon ausgeht, dass die Juden das Recht hätten, einen Nationalstaat in Palästina am Berg Zion aufzubauen – ohne die Aussicht, auch mit anderen Völkern dort zusammenzuleben.

    Heute nutzen islamische Fundamentalisten die Brutalität, mit der der Staat Israel dieses Recht durchsetzt, um gegen Juden zu hetzen. Sie versuchen, den Kampf der Palästinenser zu einem Kampf von Muslimen gegen Juden zu machen. Das dürfen fortschrittliche Kräfte nicht zulassen. Wir müssen Antizionisten sein, die gegen Antisemitismus kämpfen.

    Antisemitismus bekämpfen heißt heute, vor allem auch im Alltag nicht wegzuschauen.

    Wenn wir uns gegen Diskriminierung und Ausbeutung stellen wollen, können wir uns nicht auf den Staat verlassen. Wir müssen unsere Mitmenschen darauf hinweisen, wir müssen schonungslos kritisieren. Wir müssen die Vorurteile und Lügen, die FaschistInnen und Antisemiten verbreiten, aufdecken und dagegen argumentieren.

    Wir dürfen jegliche Form der Diskriminierung, sei es gegen Frauen, MigrantInnen oder Juden, egal von woher oder welcher Religion sie sind, nicht akzeptieren, nicht in dieser Gesellschaft und auch nicht in der kommenden.

    Wenn wir uns nicht auflehnen gegen Hass und Unterdrückung, dann werden erneut dunkle Tage auf uns zukommen. Damit muss jetzt Schluss sein, denn wir schauen hin.

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