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Dienstag, März 19, 2024
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    Black Community in Hamburg: “Wir werden auch in Zukunft auf die Straße gehen, bis es Gerechtigkeit für Bruder Tonou-Mbobda gibt!”

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    Am vergangenen Freitag verstarb der Kameruner William Tonou-Mbobda nach einer Prügelattacke durch „Sicherheitskräfte“ des Uniklinikum Hamburg-Eppendorf. Die „Black Community in Hamburg“ (BCH) spricht von einem rassistischen Übergriff und organisiert seitdem Mahnwachen vor der Klinik. Wir haben Tunde Babajide, Vertreter der BCH, zum Übergriff, den Hintergründen und weiteren Protesten befragt.

    ***

    Wer war William Tonou-Mbobda?

    Bruder William Tonou-Mbobda war ein kamerunischer Student, der seit längerem in Hamburg lebte. Leute, die ihn kannten, beschreiben ihn als einen sehr friedlichen und freundlichen Menschen.

    Warum hielt er sich im UKE auf?

    Er war vor kurzer Zeit freiwillig in die psychiatrische Klinik des UKE gegangen, um Unterstützung zu finden. Er befand sich dort als Patient in der offenen Abteilung und konnte das Gebäude des UKE verlassen, wann er wollte.

    Was genau ist am Sonntag den 21.4.2019 passiert, als der Übergriff durch Sicherheitskräfte stattfand? Wie ist William Tonou-Mbobda dann verstorben?

    Bruder William weigerte sich an diesem Morgen, die ihm verordneten Medikamente zu nehmen und verließ das Gebäude. Laut AugenzeugInnen saß er draußen im Raucherbereich auf einer Bank und entspannte sich.

    Die Sicherheitsdienst-Mitarbeiter überfielen ihn, packten ihn und warfen ihn zu Boden. Weiter berichten die ZeugInnen, dass er mit Knien traktiert und getreten wurde, bis er das Bewusstsein verlor und dass ihm eine Spritze verabreicht wurde. Außerdem wurde er am Boden fixiert und gewürgt. Er beklagte sich, keine Luft zu bekommen.

    Es kam zum Herzstillstand, der Betroffene musste ca. eine Stunde lang reanimiert werden. Er wurde ins künstliche Koma versetzt und lag auf der Intensivstation des UKE. Die beteiligten ÄrztInnen wussten direkt nach der Tat von der Lebensgefahr und den geringen Überlebenschancen. Sie stellten dennoch keine Mühen an, die Familie zu kontaktieren, da sich aus ihrer Sicht die „Situation erstmal beruhigen sollte“.

    Erst durch das Engagement der Black Community wurden Familien-Angehörige benachrichtigt, die seitdem auch permanent vor Ort waren. Am vergangenen Freitag wurden die Geräte, die sein Herz noch schlagen ließen, abgestellt.

    Warum schätzt ihr die Maßnahmen des Sicherheitsdienstes „Klinik Logistik & Engineering“ als rassistischen Übergriff ein?

    Diese Tat hätte Jede/n von uns als schwarze Menschen treffen können. Situationen, in denen wir entmenschlichender Gewalt ausgesetzt sind, finden viel zu oft statt.
    Wir werden durch rassistische Fremdzuschreibungen als besonders „körperlich“, „aggressiv“, „gewalttätig“ und „generell verdächtig“ gesehen. Unabhängig von äußeren Umständen oder persönlichen Situationen wird uns eher mit brutaler bis tödlicher Gewalt als mit Mitgefühl begegnet.

    Jedes Mal, wenn weiße Institutionen und Personen in Machtpositionen einem schwarzen Menschen Gewalt antun, gehen wir erfahrungsgemäß von rassistischen Motiven aus. Jahrhunderte der europäischen Versklavung, Kolonialisierung und der Morde an Afrikaner_innen wurden durch die ideologische Entmenschlichung legitimiert.

    Bis heute gibt es strukturellen Rassismus, und auch am UKE ist rassistische Gewalt kein Einzelfall: Wir erinnern an Bruder Achidi John, der im Dezember 2001 durch eine Ärztin der Rechtsmedizin des UKE zu Tode gefoltert wurde. Sie führten ihm gewaltsam ein Brechmittel durch die Nase ein und erstickten ihn dadurch. Bis heute wurde keine verantwortliche Person dafür zur Rechenschaft gezogen. Im Gegenteil: Die involvierten Personen sind beruflich aufgestiegen und heute Oberärztin (Ute Lockemann), Institutsdirektor (Klaus Püschel) im UKE oder deutscher Vizekanzler (Olaf Scholz).

    Zunächst sprachen sie von einem „medizinischen Zwischenfall“ und rechtfertigten das gewaltsame Vorgehen. Das UKE hat erst über eine Woche nach der Tat und auf Druck der Medien eine formelle Beileidsbekundung abgegeben. Sie behaupten, Rassismus hätte im UKE keinen Platz. Gleichzeitig findet im UKE die rassistische Altersfeststellungspraxis statt, die minderjährige Geflüchtete unter Generalverdacht stellt und häufig zur Verweigerung ihrer besonderen Schutzrechte führt.

    Zu den Gebets- und Gedenkaktionen, bei denen unter anderem Familienangehörige, ZeugInnen und VertreterInnen der Black Community sprachen, ließen sich die offiziellen VertreterInnen des UKE nicht blicken.

    ZeugInnen, die im offenen Bereich der Psychiatrie des UKE auf unterschiedlichen Stationen untergebracht sind, berichteten, dass sie im Krankenhaus mit Einschüchterungsversuchen konfrontiert waren. Es gab Drohungen, sie aus der Klinik zu verweisen und die Verabreichung von beruhigenden Medikamenten.

    Denkt ihr, der Übergriff und der aktuelle Rechtsruck in Deutschland stehen in einem Zusammenhang?

    Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen immer offenerer, rassistischer Hetze und Gewalttaten. Es ist aber wichtig zu verstehen, dass rassistische Gewalttaten leider eine lange Tradition haben. Sie werden nicht immer von erklärten Nazis begangen.

    Rassismus ist ein systematisches Problem und eine Frage der Macht. Wir erinnern z.B. an die Ermordungen von Oury Jalloh, N’deye Mareame Sarr, Christy Schwundeck, die in Deutschland schon vor dem aktuellen Rechtsruck stattfanden.

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    Was sind eure Forderungen als „Black Community in Hamburg“?

    Wir fordern Respekt, Aufklärung, Gerechtigkeit und deutliche Konsequenzen. Wir haben kein Vertrauen in das UKE und wollen, dass die Tat nicht vertuscht wird.

    Wir fordern ein Ende der Stigmatisierung und Erniedrigung psychisch erkrankter und traumatisierter Menschen. Wir wollen, dass alle Menschen ernst genommen werden.

    Wir fordern eine psychologische Versorgung und die Aufarbeitung der traumatischen Erlebnisse der Augenzeugen sowie ein Ende der Repressionen und Einschüchterungen gegen sie.

    Wir fordern eine sofortige Suspendierung der gewalttätigen „Sicherheitskräfte“. Alle an der tödlichen Körperverletzung beteiligten Einzelpersonen und Institutionen, sowie politisch Verantwortliche müssen zur Verantwortung gezogen und bestraft werden.

    Wir fordern eine Untersuchung der rassistischen Motive, sowie ein Ende jeder entmenschlichenden und menschenverachtenden Praxis gegenüber allen Menschen und PatientInnen im UKE.

    Auch die Medien, die breitere Gesellschaft und Öffentlichkeit müssen sich einbringen, über diese Tat informieren und sie klar verurteilen.

    Wie soll es nun weitergehen, ruft ihr zu weiteren Mahnwachen oder Protesten auf?

    Wir rufen für den kommenden Sonntag zu einer Gedenk- und Mahnwache am Tatort, vor dem Gebäude W37 des UKE, auf. Wir werden auch in Zukunft auf die Straße gehen, bis es Gerechtigkeit für Bruder Tonou-Mbobda gibt! Wir müssen uns langfristig organisieren und Aufklärung, Wahrheit und Gerechtigkeit erkämpfen.

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