Monatliche Callcenter-Kolumne zum Überleben im Mobilfunkdschungel – von Markus Schneider
Das Unternehmen, für das ich telefoniere, will möglichst viel Profit machen. Auf dem Mobilfunkmarkt führt das zu einer misslichen Lage: Der Markt ist hart umkämpft, man will die KundInnen maximal ausnehmen, aber auch nicht an die Konkurrenz verlieren, die sich die Hände reibt.
Meine Bosse müssen also ein System entwickeln, in dem sie auf einer X-Achse aus Dreistigkeit und einer Y-Achse aus Profit auf Kosten unserer KundInnen soweit wie möglich gehen. Je dreister, desto mehr Profit. Nur nach Möglichkeit eben so, dass die Kunden das nicht nur zwei Jahre, sondern vier oder gleich acht Jahre mitmachen und da komme ich ins Spiel: Vertragsverlängerung.
Diese verschiedenen und auch teilweise widersprüchlichen Anforderungen führen zu einem ausgefeilten System der Arbeitsteilung. Einem System, in dem die neusten Erkenntnisse der Psychologie verarbeitet werden und das altbekannte Spiel „guter Bulle, böser Bulle“ von der Straße aufs Telefon übertragen wird.
Der Wust aus Abteilungen
Der typische Weg eines Kunden beginnt in der Neukundenabteilung. Dort hat man recht viele Freiheiten, vor allem kann man die vergleichsweise günstigsten Tarife anbieten. Solche Verträge (wahlweise mit oder ohne Smartphone) kann man telefonisch oder im Internet abschließen.
In diesen Bereich fallen auch die wie Pilze aus dem Boden schießenden Shops meines Unternehmens. Sie werden nach dem Franchise-Prinzip betrieben und den allergrößten Teil ihres Gewinnes behält der Konzern. Provisionen kassieren die ShopbetreiberInnen dabei vor allem für Neuverträge.
Auch wenn sie technisch die Möglichkeiten dazu haben, werden Vertragsverlängerungen daher im Shop nicht gemacht. Es ist keine Seltenheit, das ich mit KundInnen spreche, die kürzlich einen Neuvertrag abgeschlossen haben – im guten Glauben nur ihren alten Vertrag verlängert zu haben und nun im schlimmsten Falle ein paar Monate zwei Verträge zahlen müssen.
Bei den ersten Fragen oder Problemen, die bei einem Kunden oder einer Kundin auftreten, werden sie sich an den Kundenservice (1. Ebene) wenden. Eine Hotline, in der erst mal alle Anliegen ankommen. Sie wird aus Callcentern in Osteuropa besetzt (Pssst, eigentlich darf das keiner wissen. Eigentlich sitzt unser ganzes Unternehmen nämlich in einer deutschen Großstadt).
Die Kolleginnen und Kollegen dort sprechen hervorragend deutsch und ich habe Gerüchte gehört, dass viele von ihnen arbeitslose AkademikerInnen sind, die in ihrem Heimatland in ihrem eigentlichen Beruf keine Arbeit finden konnten. Über ihre Bezahlung kann ich bisher nur spekulieren, aber ich spekuliere, dass sie deutlich unter meiner liegt.
Für technische Probleme aller Art gibt es eine Technikhotline, an die die KundInnen weitergeleitet werden sollen, wenn auf der ersten Ebene keine zufriedenstellende Antwort erfolgt.
Eine ganz besondere Rolle spielt die sogenannte Outbound-Abteilung. Das ist eine fiese Einrichtung, über die ich beim letzten Mal geschrieben habe: Es geht darum, aus dem gegebenen Profit noch ein Stückchen mehr raus zu pressen. KundInnen, die gutgläubig genug sind, an der falschen Stelle zuzustimmen, wenn ihnen angeboten wird, sie immer mit den neusten Angeboten zu versorgen, dürfen nämlich von meinen KollegInnen in dieser Abteilung angerufen werden. Dabei wird nach einer kurzen Einleitung ein kurzer Text runter gerattert, in dem ein Zusatzprodukt angeboten wird. Das Ganze soll möglichst unverbindlich, und möglichst kostenfrei klingen. In der Hoffnung, dass eine KundIn an der falschen Stelle „Hmmm“, „Ja“ oder „Vielleicht“ sagt. Wenn das passiert, werden drei bis 20 oder 30 Euro zusätzlich monatlich abgebucht.
Wenn eine KundIn nun solche Zusatzprodukte zwei, drei Monate gegen seinen oder ihren Willen gezahlt hat, kann es gut sein, dass man sich im Kundenservice meldet um sich zu erkundigen, warum gegen den Willen diese Produkte berechnet werden, sie wieder zu kündigen. Dauert es bis zum Ende der Vertragslaufzeit nur noch ein Jahr oder weniger, dann wird in diesem Fall direkt in Vertragsverlängerungsabteilung durchgestellt.
Hier geht es dann darum alle kleinen und großen Ärgernisse, die die KundInnen durchgemacht haben, klein zu reden, „gut zu machen“, Verständnis zu zeigen und insgesamt das Gefühl zu geben, dass es alles unglückliche Ausnahmen gewesen seien. Dementsprechend ist die Atmosphäre in unserer Abteilung vergleichsweise liberal. Wir dürfen geringe Gutschriften geben und uns bei den KundInnen stundenlang entschuldigen. Ja wir dürfen uns sogar zusammen mit unseren KundInnen über unsere KollegInnen aufregen. Es kommt nur auf eins an: Am Ende muss die Vertragsverlängerung stehen, der Weg dorthin ist unerheblich.
Ansonsten gibt es noch eine Inkassoabteilung, die man anrufen muss, wenn man KundInnen, die sowieso schon in der Privatinsolvenz stecken, noch einen weiteren Vertrag andrehen will. Dafür müssen die nämlich ihr Okay geben.
Zuletzt gibt es noch den Kundenservice (2. Ebene). Der Name täuscht. Es geht nicht um Service, sondern um die „schwierigen Fälle“. KundInnen, mit denen die erste Ebene bzw. die Vertragsverlängerung nicht fertig wird. KundInnen, die sich beschweren, die faule Ausreden nicht akzeptieren, die verlangen, dass man sie früher aus dem Vertrag lässt. KundInnen, die darauf bestehen, dass sie niemals ein „Klingelton“-Abo gebucht haben und jeden verdammten Cent zurück haben wollen: KundInnen, die alles richtig machen!
KundInnen, die alles richtig machen, kann man aber wahrscheinlich nicht nochmal davon überzeugen, sich zwei Jahre an den Laden zu binden, in dem sie nach Strich und Faden verarscht wurden. Deswegen sollen wir sie eben an die „2. Ebene“ weiterleiten. Die Funktion dieser Abteilung kann man wohl so zusammenfassen: Den KundInnen klar machen, dass sie am kürzeren Hebel sitzen und ein Rechtsstreit sowieso nicht lohnt, weil der Konzern im Recht ist.
Call Center Kolumne: „Ich schicke es Ihnen einfach mal trotzdem zu…“
„Intelligente“ Arbeitsteilung
Ein interessanter Aspekt ist, von welchen Standorten welche Funktion übernommen wird: Der Kundenservice auf der 1. Ebene, vor allem aber auf der 2. Ebene, ebenso wie Outbound werden fast vollständig aus dem Ausland betrieben. Es sind natürlich die größten Abteilungen, und die Lohnkosten in Osteuropa nun mal deutlich günstiger. Geht es aber darum, einen Neuvertrag abzuschließen oder einen Vertrag zu verlängern, wird man immer nur an einem der zahlreichen Standorte in Deutschland raus kommen.
Wenn es also wirklich um viel Geld geht, sprechen MitarbeiterInnen, die akzentfrei deutsch sprechen. Wer könnte es den Riesen der Mobilfunkbranche ankreiden, das sie ein kleines Zugeständnis an den um sich greifenden Rassismus machen? Andererseits wird eben dieser Rassismus manifestiert, indem man RumänInnen und BulgarInnen die „Drecksarbeit“ machen lässt: Unzufriedene KundInnen abwimmeln (2. Ebene) und genervten KundInnen Schwachsinn zu verkaufen, den sie nicht wollen (Outbound).
Am Ende ergibt sich das Bild eines komplexen und wohlüberlegten Systems, bei dem kein Cent zu viel ausgegeben wird, aber auch kein Cent liegen gelassen wird, die KundInnen sich nicht mit massiven Aufwand und Nachdruck von dem Anbieter zurückfordern. Durch das ständige Weiterleiten entsteht die Illusion, das Anliegen des KundInnen sei sehr komplex und schwierig zu lösen. Bei Beschwerden soll der Eindruck vermittelt werden, man dürfe nun direkt mit dem „Chef“ sprechen.
Viele Sündenböcke machen die Drecksarbeit, damit einige wenige in wenigen Minuten die KundInnen wieder um den Finger wickeln können, kurz bevor es ihnen zu bunt wird und sie kündigen wollen. Wir lernen: Auch unter den KollegInnen im Callcenter gibt es eine Hierarchie und ich stehe noch lange nicht ganz unten.