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Dienstag, März 19, 2024
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    Wirecard zeigt, wie der Kapitalismus funktioniert

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    Warum der Wirecard-Skandal wie die Faust aufs Auge des modernen Kapitalismus passt und ein grandioses Beispiel für das (Nicht-) Funktionieren dieses Systems ist. – Ein Kommentar von Paul Gerber

    Schon das offizielle Geschäftsmodell von Wirecard ist charakteristisch für den Kapitalismus unserer Zeit. Im dritten Band seines Hauptwerks ‚Das Kapital‘ hat Karl Marx begründet, warum die Profitrate – also der erwirtschaftete Gewinn im Verhältnis zum eingesetzten Kapital – im Kapitalismus immer weiter fällt.

    Die Kapitalisten versuchen, dem auf verschiedene Art und Weise entgegenzuwirken. Eine Methode ist, in kürzerer Zeit mehr Waren umzusetzen. Also mehr Masse bei fallender Marge – um am Ende doch genug Profit zu machen. Zahlungsvermittler wie Wirecard knüpfen an dieses Interesse an. Sie garantieren, dass ihre KundInnen die Zahlung erhalten und übernehmen das Risiko, sollte die Zahlung ausbleiben. Eigene Werte schaffen sie nicht.

    Nicht minder charakteristisch ist jedoch das inoffizielle Geschäftsmodell: Betrug. Fast schon sympathisch daran ist, dass ausnahmsweise – wie sonst fast immer – nicht ausschließlich wir ArbeiterInnen übers Ohr gehauen wurden, sondern andere Investoreninnen – auch wenn natürlich viele kleine AktieneigentümerInnen nicht als waschechte KapitalistInnen durchgehen können.

    Was war passiert? Wer Aktien kauft, versorgt ein Unternehmen mit seinem Geld und versetzt es so in die Lage, mehr Kapital zu investieren. Im Austausch erwirbt man ein Anrecht auf einen Anteil an dem zukünftigen Gewinn eines Unternehmen. Das ist das Prinzip von Aktien. Ihr Wert und ihre Schwankungen sind deswegen letztlich Ausdruck davon, ob die Börse eher hohe oder eher niedrige Gewinne erwartet.

    Wer nun wie Wirecard über viele Jahre Gewinne und Vermögen des Unternehmens fälscht, weckt natürlich irreale Gewinnerwartungen, zieht Aktienkäufer an und treibt den eigenen Aktienkurs in die Höhe. Mit anderen Worten, mit einem leeren Versprechen von Gewinnbeteiligung konnte sich Wirecard im letzten Jahrzehnt sehr bequem am Finanzmarkt mit Geld versorgen, und Manager wie Jan Marsalek und Markus Braun konnten sicher gut davon leben.

    In den Skandal um Wirecard ist mittlerweile auch die deutsche Politik stark verwickelt. Dass ehemalige Spitzenpolitiker wie Karl-Theodor zu Guttenberg – eigentlich als Experte für Fälschungen auf anderem Gebiet bekannt – offenbar als Berater für Wirecard tätig waren, gehört offenbar schon zum guten Ton und findet in den Medien kaum mehr Beachtung.

    Im Zentrum der Kritik steht nun der rechte SPD-Politiker Olaf Scholz, Finanzminister und somit verantwortlich für die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Diese Behörde war für die Kontrolle von Wirecard zuständig und hat offenbar ihren Job nicht gemacht, obwohl ab 2008 mit wachsender Frequenz AnalystInnen und JournalistInnen Ungereimtheiten bei Wirecard aufgezeigt hatten.

    Schnell war zu hören, die BaFin sei mit der neuen Branche internationaler Finanzdienstleistungen überfordert gewesen und müsse reformiert werden. Das geht aber am Kern der Sache vorbei. Als Teil des deutschen Staatsapparats war die BaFin schlicht in einem Interessenskonflikt.

    Einerseits hat der Staat die Aufgabe, die Profite deutscher Konzerne zu sichern und so weit wie möglich zu steigern. Andererseits zeigt Wirecard eindrucksvoll was passiert, wenn sich die Führungsriege eines Unternehmens zu sicher ist, dass überhaupt nicht mehr genau hingeschaut wird. Sie bereichert sich selbst für einige Jahre, vernichtet abe, wenn die Illusion platzt, das Kapital aller – auch deutscher InvestorInnen – die auf dieses Pferd gesetzt hatten, vollständig. Es kann logischerweise nicht im Interesse der deutschen Kapitalistenklasse als Ganzes sein, dass sich solche Zustände auf Dauer durchsetzen, denn das würde mit sich bringen, dass sie eben nicht mehr so leicht an Fremdkapital für ihre Projekte kommt.

    Beim Fall Wirecard kam erschwerend hinzu, dass der Konzern zu einem Hoffnungsträger Deutschlands im Bereich der neuen Finanztechnologie-Branche hochstilisiert wurde. Im Vergleich mit Konkurrenten aus anderen Ländern wie Paypal, Applepay oder Alipay hat Deutschland in dieser Hinsicht nämlich keine nennenswerten internationalen Player vorzuweisen und droht hinter der internationalen Konkurrenz zurückzubleiben.

    Der Deutsche Staat wollte unbedingt, dass Wirecard zu einer Erfolgsgeschichte wird und hat dementsprechend aggressiv alle diejenigen, die Zweifel am Märchen äußerten, mit Strafverfahren eingeschüchtert und sogar mit Eingriffen in den sonst so heiligen „freien Markt“ verhindert, dass gegen die Aktie von Wirecard spekuliert wird.

    • Paul Gerber schreibt von Anfang bei Perspektive mit. Perspektive bietet ihm die Möglichkeit, dem Propagandafeuerwerk der herrschenden Klasse in diesem Land vom Standpunkt der Arbeiter:innenklasse aus etwas entgegenzusetzen. Lebensmotto: "Ich suche nicht nach Fehlern, sondern nach Lösungen." (Henry Ford)

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