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Samstag, April 20, 2024
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    Ein „slawischer Frühling“?! – Die aktuellen Proteste in Osteuropa

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    Seit Monaten brodelt es in weiten Teilen Osteuropas. Während die Kämpfe der Frauen in Polen gegen das menschenverachtende Abtreibungsgesetz der Regierung wohl ohne irgendwelche Vorbehalte unterstützt werden können, müssen die Auseinandersetzungen in den anderen Ländern Osteuropas doch genauer geprüft werden. – Welche Chancen und Risiken die Bewegungen und Kämpfe von Petersburg bis Belgrad und von Warschau bis Wladiwostok haben: Eine Einschätzung von Emanuel Checkerdemian

    In der Ukraine haben sich die Konfliktlinien der vergangenen Jahre nur bedingt verschoben und es kommt zu Kämpfen zwischen dem ukrainischen Militär und pro-russischen Separatist:innen. Deutlich dynamischer stellt sich die Lage in anderen Staaten dar. Die Proteste des vergangenen Sommers in Bulgarien und Serbien sind abgeflaut, teilweise sogar „offiziell“ eingestellt, jedoch sind die Voraussetzungen und Gründe dieser Proteste bei weitem nicht behoben. In Polen, Belarus und Russland hingegen scheinen sie ungebrochen oder konstituieren sich gerade.

    Ein kurzer Sommer der Wut

    Als die serbische Regierung von Aleksandar Vučić im vergangenen Juli die Corona-Maßnahmen kurz vor der Wahl aufhob, nur um sie unmittelbar danach noch strenger wieder einzuführen, forderte dies tagelangen Protest in Belgrad und anderen Städten heraus. Die Demonstrant:innen gingen gegen den fahrlässigen Umgang mit der Pandemie (man warf der Regierung vor, die Wahl durchgesetzt und damit eine Ausbreitung der Infektionen befördert zu haben) und den katastrophalen Zustand des Gesundheitssystems auf die Straße.

    Entgegen der Darstellung in deutschen Medien handelte es sich bei diesen Protesten nicht einfach um „Aufmärsche von Rechtsradikalen“. Ähnlich wie bei den “Gilets Jaunes”, den “Gelbwesten” in Frankreich, waren sie von verschiedenen politischen und ideologischen Spektren umkämpft. Dass sich die faschistischen Kräfte hierbei durchgesetzt hätten, ist nicht wahr!

    Proteste in Serbien: „Die wirtschaftliche und politische Krise verschärft sich und man sollte mit neuen Versuchen rechnen“

    Die Spontaneität, die all diesen Protesten zugrunde lag, sorgte allerdings auch dafür, dass sich die aufgekommene und artikulierte Wut, ebenso schnell wie sie gekommen war, auch wieder verflüchtigte – oder sich doch zumindest zurück in die Wohnzimmer der Serb:innen verlagerte.

    Für den, sich damals in der Bredouille befindlichen Präsidenten Vučić war diese mangelnde Organisation der serbischen Arbeiter:innenklasse ein echter Glücksfall: Mit einer tatsächlich vergleichsweise guten Impfstrategie – Serbien liegt hinter Großbritannien auf Rang zwei in der europäischen Impfquote – konnte er sich eine Ruhepause verschaffen und seine Position wieder stärken.

    Im benachbarten Bulgarien wandten sich die Proteste zwar auch gegen das Corona-Management der Regierung, waren jedoch vornehmlich eher als „Anti-Korruptions Bewegung“ zu verstehen. Monatelang protestierten tausende Menschen täglich für Neuwahlen und eben gegen Korruption. Dabei waren die Demonstrationen weniger geprägt von einem Bewusstsein für die Klassenauseinandersetzungen, wie das in Serbien viel eher der Fall war, sondern glichen eher pro-europäischer Folklore. Man wolle halt „echte Demokratie“ wie im Westen… Mit dem Winter erklärte die Bewegung ihre „Protestwelle“ auch erst mal für beendet. Nun würde man auf anderen Ebenen gegen die Regierung arbeiten. Im März stehen in Sofia Neuwahlen an.

    Ein Winter der Veränderung?

    In Belarus ist seit der „Wiederwahl“ des Diktators Lukaschenko eine breite Widerstandsbewegung entstanden, die seiner Regierungszeit ein Ende setzen will. Vor allem die „Oppositionsführerin“ Swetlana Tichanowskaja wurde im Zuge dieser Kämpfe das Gesicht des Widerstands in der Öffentlichkeit des Westens. Maßgeblich deswegen, weil sie von der EU und ihren Mitgliedsstaaten massiv unterstützt wird. So konnte sie sich bereits in Warschau einrichten und „Minister:innen“ ernennen und korrespondiert mit Merkel oder Heiko Maas.

    Wenn man sich die Unterstützer:innen Tichanowskajas anschaut, wird schnell ersichtlich, was das Programm dieser sogenannten „Oppositionsführerin“ ist: Öffnung gen Westen und Privatisierung der Wirtschaft. (In Belarus kam es bisher, im Gegensatz zum Rest der ehemaligen UdSSR, weit weniger zum Ausverkauf staatlicher Wirtschaft.) Sieht man zudem die Bilder, auf denen Tausende die belarussische Fahne der NS-Kollaborateure hochhalten, wird man schnell zu dem Schluss kommen, dass eine Diktatur eben von einer neoliberalen Scheindemokratie abgelöst werden soll.

    Jedoch sind die Kämpfe in Belarus durchaus vielschichtiger, und es ist bei Weitem nicht gesagt, dass Tichanowskaja die unumstrittene „Anführerin eines neuen Belarus“ ist. Ein genauerer Blick lohnt also: so waren die Kämpfe und Proteste maßgeblich von der Organisations- und Streikkraft der Arbeiter:innenklasse abhängig, die dafür sorgte, dass die Proteste überhaupt erst das Ausmaß erreichten, das internationales Interesse weckte.

    ArbeiterInnengruppe „Streik Belarus“: „Die Hauptaufgabe besteht darin, die ArbeiterInnenklasse zu organisieren.“

    In Russland verhält sich das anders. Wegen der gegensätzlichen Interessen des westlichen und des russischen Imperialismus hatte sich die Unterstützung und der Aufbau der Opposition bereits vollzogen, als noch gar keine Proteste aufgekommen waren. So wurde im Zuge der medizinischen Versorgung Nawalnys in Deutschland ein mediales Bild vom Heilsbringer des „geschundenen Russlands“ skizziert, das jeder Realität spottet. Da wird dann auch nicht mehr drüber gesprochen, dass Nawalny regelmäßiger Teilnehmer faschistischer Aufmärsche war.

    Die westlich-imperialistischen Länder sehen in ihm ein Werkzeug zur Verwirklichung der eigenen Interessen. Und auch über seine Nähe zu Rechtsradikalen hinaus eröffnet Nawalny keine Hoffnungen auf großartige Veränderungen oder gar Verbesserungen der Lager der arbeitenden Klassen. Er ist Sohn einer Oligarchen-Familie, der schlicht und ergreifend nicht damit klarkommt, dass er im Vergleich mit anderen Kapitalist:innen nicht einen ebensolchen Einfluss auf die russische Politik hat. Er will nichts ändern oder verbessern, er will die Macht einfach zu seinen Gunsten verschieben. Dementsprechend wirken auch die Proteste. Zaghaft gibt es antikapitalistische Parolen uns ähnliches, jedoch stellt sich diese Auseinandersetzung momentan doch als sehr diffus dar. Es besteht durchaus die Gefahr, dass die „radikalsten“ Forderungen dieser Proteste darin bestehen werden, einen Kapitalisten durch einen anderen zu ersetzen.

    Klassenkampf oder Machtverschiebung?

    Wir haben es in den aufgeführten Staaten trotz mancher Ähnlichkeiten natürlich mit unterschiedlichen Bedingungen und Umständen zu tun. Eine Generalaussage zum „slawischen Frühling“ und wie progressiv dieser sei, lässt sich somit nicht fällen – nicht einmal eine Bewertung, ob sich die verschiedenen Proteste zu einem solchen ausweiten. Sicherlich stellen sie Möglichkeiten dar, die Organisation der Arbeiter:innenklasse voranzutreiben und ihre Interessen in das Zentrum der Auseinandersetzungen zu platzieren. Hierfür bedarf es allerdings einer Avantgarde kommunistischer und wirkmächtiger Organisationen, die momentan so in keinem der Länder ersichtlich ist.

    Zeigt schon die spontane Aufruhr von Serbien die fehlende Organisation der dortigen Arbeiter:innenklasse deutlich auf, so ist in Bulgarien oder Russland überhaupt nur sehr wenig Beteiligung revolutionärer Kräfte an den Auseinandersetzungen zu beobachten.

    In Belarus und auch in Polen hingegen lässt sich durchaus eine positive Entwicklung erkennen. Während sich in Minsk und anderen Städten Arbeiter:innenorganisationen zur Durchsetzung der Interessen des Proletariats formieren (und durchaus einflussreich sind), können die feministischen Proteste in Polen Zehntausende mobilisieren. Dabei geht es längst nicht mehr „nur“ um das Abtreibungsverbot, sondern um die soziale Frage an sich!

    Es ist nun also von höchster Bedeutung, dass sich Organisationen der Arbeiter:innenklasse an die Spitze der Kämpfe stellen, ihren Einfluss mehren und den Klassenkampf entfachen. Dafür bedarf es der Solidarität und Unterstützung des internationalen Proletariats.

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