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Samstag, Juli 27, 2024
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    BAMF schiebt schwule Geflüchtete ab – trotz EuGH-Urteil gegen das “Diskretionsgebot”

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    Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hatte die Abschiebung eines homosexuellen Geflüchteten angeordnet. Antifaschist:innen organisierten Widerstand gegen diese Entscheidung, die das Leben des Geflüchteten akut gefährdete. Nun droht dem schwulen Mann in seinem Herkunftsland die Todesstrafe.

    Ein schwuler Geflüchteter, dessen Name zu seinem Schutz mit A. abgekürzt wird, hatte in Deutschland einen Asylantrag gestellt. Aus Angst haben sowohl er als auch sein Partner sich in einem ersten Asylverfahren nicht geoutet – sie haben also nicht öffentlich gemacht, dass sie homosexuell sind. Erst in einem Integrationskurs erfuhr A.s Partner, dass es in Deutschland nicht strafbar ist, offen schwul zu leben.

    Diese Vorsichtsmaßnahme hatte im weiteren Verlauf des Asylverfahrens verheerende Konsequenzen: Denn tatsächlich müssen beide Männer im Fall einer Rückkehr in das Herkunftsland mit Repressionen wegen ihrer Sexualität rechnen. So stellten sie erneute Asylanträge: Der von A.s Partner wurde bewilligt, der von A .jedoch nicht.

    Das BAMF begründet die Ablehnung mit einem Formfehler: Der Asylfolgeantrag sei nicht fristgerecht gestellt worden. Tatsächlich hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) diese Fristenregelung jedoch bereits als unzulässig beurteilt. Außerdem sei es A. wohl nicht wichtig genug, offen schwul zu leben: Das Outing sei nicht mit der Vorsicht zu begründen, die ein wegen seiner Sexualität Verfolgter an den Tag legen könnte. Stattdessen vermutet das BAMF: „Die Gesamtschau der vorliegenden Umstände legt nahe, dass es sich um eine asyltaktische Folgeantragstellung handelt, welche aufenthaltsbeendende Maßnahmen verhindern soll.“

    Da A. sich mit dem Outing vor Gericht zunächst zurückgehalten hatte, sei davon auszugehen, dass er sich auch im Herkunftsland “diskret” verhalten könne. Er wurde abgeschoben mit der Perspektive, seine Sexualität gut genug verbergen zu können, um den lebensbedrohlichen Repressionen zu entgehen.

    Verfassungswidriges “Diskretionsgebot”

    In der Entscheidung wendet das BAMF das sogenannte “Diskretionsgebot” an. Dem abgeschobenen Geflüchteten wird zugemutet, mit der eigenen Sexualität dauerhaft “diskret” umzugehen. Das bedeutet zum Beispiel, keine öffentlich bekannte Beziehung zu führen, nicht am subkulturellen Leben teilzuhaben und auch sonst die eigene Identität zu verschleiern, um einer Verfolgung zu entgehen.

    Dass es genau dieses Verstecken und die ständige Sorge, doch entdeckt zu werden, sind, die viele zur Flucht bewegen, ist für das BAMF in dieser Entscheidung offenbar wenig von Belang. Dabei urteilte der EuGH schon 2013, dass „die sexuelle Ausrichtung einer Person ein Merkmal darstellt, das so bedeutsam für ihre Identität ist, dass sie nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten.“.

    Kein Recht auf Partnerschaft für queere Geflüchtete

    Wie häufig in Asylverfahren von LGBTI+ Geflüchteten prüfte das BAMF nicht, ob sich aus dem positiven Asylbescheid für A.s Partner auch eine Perspektive für ihn ergeben könnte. A. führte schon seit sieben Jahren eine Beziehung. Laut Grundgesetz haben Paare das Recht, ein gemeinsames Leben zu führen, und das muss auch im Asylprozess Berücksichtigung finden. Vielen queeren Paaren wird dies jedoch nicht gewährt.

    Patrick Dörr, Mitglied im Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD), bezieht Stellung:

    “Der vorliegende Fall zeigt deutlich, wie absurd und willkürlich die Praxis vom BAMF und manchen Gerichten ist. Im Fall von A. unterlief das Verwaltungsgericht eindeutig die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs. Dabei haben die Verwaltungsgerichte Braunschweig und Leipzig bereits diese europarechtswidrige Praxis des BAMF angeprangert und klargestellt, dass eine Geheimhaltung der sexuellen Orientierung weder zugemutet noch prognostiziert werden darf. Trotzdem hält das Bundesamt auch in seinem Entscheiderbrief von Dezember 2021 an der Möglichkeit fest, Asylanträge queerer Geflüchteter abzulehnen, wenn diese aus einem „eigenen, freien Willen“ ein Doppelleben führen wollten.

    Im Fall von A. hatte das zuständige Verwaltungsgericht wiederholt argumentiert, dass A. zwar schwul sei, er aber das öffentliche Ausleben seiner Homosexualität nicht hinreichend wichtig fände – anders als sein Partner. Ihm wäre somit das Geheimhalten seiner sexuellen Orientierung bei einer Rückkehr ins Herkunftsland zuzumuten, seinem Partner hingegen nicht.”

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