Streiks in Norwegen, Norddeutschland und den USA zeigen, wie sehr die Macht organisierter Arbeiter:innen in Krisenzeiten an kritischen Punkten der globalen Wertschöpfung gestiegen ist. Doch etwas fehlt zur vollständigen Entfaltung dieser Kraft, um die Interessen der Arbeiter:innen konsequent durchzusetzen. – Ein Kommentar von Tim Losowsky
Als der Hafenarbeiterstreik im Norden Deutschlands an Dynamik gewann, forderte der oberste Kapital-Lobbyist in Deutschland mal eben die Möglichkeit, solche Streiks durch einen „nationalen Notstand“ zu unterbinden.
Anlass waren 24-stündige Warnstreiks durch die Gewerkschaft ver.di, welche die Abfertigung von Container- und Frachtschiffen in großen Nordseehäfen weitgehend lahmgelegt hatten. Die Ausstände in einer Zeit, in der die Unternehmen dringend Materialien brauchen, hätten ihm sehr missfallen, erklärte „Arbeitgeberpräsident“ Rainer Dulger Ende Juni vor Journalist:innen in Berlin. Kurzum dachte er über einen “nationalen Notstand” nach, der auch Streikrecht breche.
Staat rettet Kapital in Norwegen und USA
In Norwegen unterband die Regierung sogar ganz offen einen Streik in der Öl- und Gasindustrie von ganz oben. Die Begründung war, dass dieser Streik sich nicht der westlichen Kriegsführung unterordne: „Die angekündigte Eskalation ist kritisch in der aktuellen Situation, sowohl mit Blick auf die Energiekrise als auch auf die geopolitische Situation, in der wir mit einem Krieg in Europa stehen.“, so die zuständige Ministerin. Sie setzte eine „unabhängige“ Schlichtungskomission ein.
Auch in den USA zeigen gerade Arbeiter:innen, wie sie an neuralgischen Punkten großen Druck aufbauen können: Am Freitag, den 15. Juli intervenierte US-Präsident Joe Biden, um rund 115.000 Eisenbahnarbeiter:innen davon abzuhalten in den Streik zu treten, da dies zu massiven Problemen führen könnte. Auch hier wurde von oben eine Schlichtung eingesetzt.
Grund für diese massiven Repressalien von Staat und Kapitalseite ist, dass wenige Arbeiter:innen an wichtigen Wegmarken aufgrund der zunehmenden Komplexität der globalen Lieferketten tatsächlich immer mehr an Macht gewinnen.
Konsequente Gewerkschaften nötig
Doch diese Macht wird (noch) nicht optimal genutzt: Was in allen drei Fällen fehlt, sind gewerkschaftliche Organisationen, die konsequent gegen die offene Schützenhilfe des Staats für das Kapital eintreten und ihre Produktionsmacht zum Wohle der gesamten Arbeiter:innenklasse einzusetzen vermögen.
Nachdem in Deutschland die Streiks der Hafenarbeiter:innen zuletzt eskaliert waren, ließ sich ver.di auf einen Vergleich am Hamburger Gericht ein, der die Gewerkschaften zu einer sechswöchigen Friedenspflicht verdonnerte. Dies führte auch zu Wut unter den Stahlarbeitern – mehr als 1.000 Menschen unterschrieben eine Petition gegen den Bruch des Streikrechts und für konsequente gewerkschaftliche Kämpfe.
In Norwegen sind die Gewerkschaften sofort eingeknickt und haben die Arbeit wieder aufgenommen. Hier sind zwar geschickte Verhandler:innen an der Spitze, aber keine, die wirklich den Kampf der Gas-Arbeiter:innen in einen großen Kontext einordnen.
Und auch in den USA hat man sich vorerst der präsidentiellen Anordnung gebeugt. Dabei seien die Mitglieder „so wütend, wie ich sie noch nie gesehen habe“, so Dennis Pierce, Präsident der „Brotherhood of Locomotive Engineers and Trainmen“ gegenüber CNN-Business.
Aus Sicht der Arbeiter:innenbewegung benötigt es also gezielte gewerkschaftliche Organisierung an diesen neuralgischen Punkten. Doch nur Organisiertheit reicht nicht. Es bedarf auch einer politischen Klarheit darüber, dass uns das Streikrecht nicht geschenkt wird, sondern auch gegen den Staat erkämpft werden muss.