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Donnerstag, April 25, 2024
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    Jobcenter droht Sehbehinderten mit Sanktionen

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    Hartz IV geht, Bürgergeld kommt, Sanktionen bleiben – und das im absurdesten Ausmaß: Das Jobcenter droht Sehbehinderten mit Leistungskürzungen, weil sie dessen Briefe nicht lesen können. Die Schikanierung Arbeitsloser und die Diskriminierung von Behinderten sind kein Neuland für den deutschen Staat. – Ein Kommentar von Elodie Fischer

    Die Initiative Sanktionsfrei e.V., ein spendenfinanzierter Solidartopf mit dem Ziel, Arbeitslosen auferlegte Sanktionen finanziell auszugleichen, machte den Fall des blinden Tims bekannt: Das für ihn zuständige Jobcenter stellt ihm Terminvorschläge schriftlich per Post zu. Und dies nicht barrierefrei. Mehrfach wurde ihm mit Sanktionen aufgrund des Nicht-Wahrnehmens von Terminen gedroht – von denen er nichts wusste, denn er konnte die Briefe nicht lesen.

    In einem Sanktionsfrei e.V. vorliegenden Schreiben erklärt das Jobcenter knapp: “Leider ist es dem Jobcenter noch nicht möglich, Unterlagen in Braille-Schrift zukommen zu lassen.” Die Folgen für das Scheitern des Jobcenters an Barrierefreiheit müssen scheinbar Behinderte selbst ausbaden. Im Zuge der Veröffentlichung des Falls meldeten sich weitere Betroffene, die ähnliche Erfahrungen mit Jobcentern machten.

    Einführung des Bürgergelds ist kaum mehr als eine Image-Polierung

    Dieses Beispiel beweist einmal mehr, dass der Wechsel von Hartz IV zum Bürgergeld kaum mehr als eine Image-Politur ohne wirkliche Verbesserungen für Arbeitslose darstellt. Sanktionen werden weiterhin angewandt und bestrafen damit bereits von Armut Betroffene, indem ihnen ihre sowieso kaum ausreichende Existenzgrundlage genommen wird. Deshalb ist es wichtig, dass wir nicht nur in Fällen wie dem von Tim, bei dem das Scheitern des Jobcenters mehr als offensichtlich ist, Solidarität zeigen, sondern mit allen Arbeitslosen. Selbst wenn diese tatsächlich gegen Auflagen des Jobcenters verstoßen, ist ein Angreifen ihrer Existenzgrundlage niemals zu rechtfertigen. Sanktionen sind prinzipiell ein Straf- und Kontrollmittel des deutschen Staats für alle, die keine Arbeitsstelle haben. Denn im Kapitalismus wird der Wert eines Menschen an seinem Nutzen für den Arbeitsmarkt gemessen.

    Diskriminierung von Behinderten ist keine Seltenheit

    Nicht nur beim Jobcenter werden Behinderte der Diskriminierung ausgesetzt: In Behindertenwerkstätten erhalten die dort Arbeitenden noch immer keinen Mindestlohn. Sie verdienen durchschnittlich 212 Euro monatlich – das macht bei einer gesetzlich geregelten Mindestarbeitszeit von 35 Wochenstunden einen Stundenlohn von 1,51 Euro. Und auch im öffentlichen Raum stoßen Behinderte immer wieder auf Barrieren: Wie bei den mit 450 Millionen Euro finanzierten neuen Stadtbahnen in Köln, die zunächst als barrierefrei angepriesen wurden. Nun stellt sich heraus: Die Bahnen sind für Rollstuhlfahrer:innen ungeeignet.

    Behinderte Menschen werden besonders ausgebeutet, indem ihnen der Mindestlohn verwehrt und ihre Arbeit abgewertet wird. Ämter gehen nicht auf die essentiellen Bedürfnisse behinderter Personen ein und drohen noch dazu mit der Auslassung gesetzlich geregelter Sozialleistungen wie in dem Fall Tims und anderer Sehbehinderter. Und wenn für’s Image im Zeichen der Diversität mit Barrierearmut geworben wird, sind das, wie bei den Kölner Stadtbahnen erkennbar, oft nur hohle Phrasen. An dieser systematischen Ausbeutung und Diskriminierung Behinderter wird auch die neue Barbie mit Downsyndrom nichts ändern.

    • Perspektive-Autorin seit 2023, politisiert über Palästina-Aktivismus. Schreibt vor allem über Frauen- und Arbeiter:innen-Kämpfe. Studiert und arbeitet im Kulturbereich in Berlin, gibt gerne Buchempfehlungen.

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