2023 soll das „Bürgergeld“ die „Hartz IV“-Leistungen ablösen. Das hat die Ampelkoalition im Bundestag beschlossen. Der Bundesrat muss noch zustimmen und die Union droht mit einer Blockade. Doch was steckt hinter dem Bürgergeld – bessere Bedingungen für Arbeitslose oder doch nur Etikettenschwindel? – Ein Kommentar von Tabea Karlo.
Das neue “Bürgergeld“ wird kontrovers diskutiert. Für die einen ist es die Erfüllung einer langersehnte Hoffnung, die anderen sehen in ihm einen „Motivationskiller“.
Im Bundestag wurde die dafür nötige Gesetzesänderung nun beschlossen. Die Ampelkoalition aus SPD, Grüne und FDP stimmten mit ihrer Mehrheit für das Gesetz. Insgesamt waren 385 Abgeordnete dafür, 261 dagegen und 33 haben sich enthalten. Das neue Bürgergeld muss jetzt noch durch den Bundesrat bestätigt werden, der vermutlich am kommenden Montag darüber entscheiden wird. Fällt die Entscheidung positiv aus, dann soll das Bürgergeld mit dem Jahreswechsel schrittweise das heutige Hartz IV-System ablösen.
Doch wie die 261 Gegenstimmen und 33 Enthaltungen zeigen, sind nicht alle Abgeordneten und Parteien begeistert vom neuen Gesetz. Die Union droht damit, das Bürgergeld im Bundesrat zu blockieren: es würde die Motivation senken, sich um eine Arbeit zu bemühen.
Denn zumindest der Propaganda nach – sowohl von der CDU auf der einen und der Ampel auf der anderen Seite – gibt es beim Bürgergeld weniger Sanktionen, eine gewisse Anpassung des Geldes an die Inflation und ein höheres Schon-Vermögen, also die finanzielle Reserve, die Bedürftige nicht antasten müssen, wenn sie die Gelder bekommen.
CSU-Chef mit Argumentationslinie der Neuen Rechten
Der CSU-Vorsitzende Markus Söder ging im ZDF nun sogar so weit zu behaupten, bestimmte Menschen aus den unteren Einkommensgruppen würden am Ende, wenn sie arbeiten, „weniger haben, als wenn sie nicht arbeiten“. Im Rahmen ihrer Kampagne „Leistung muss sich lohnen!“ rechnet die CSU beispielsweise vor, dass Alleinstehende ab 2023 mit dem Bürgergeld mehr Geld zum Leben übrig haben als ein:e Arbeiter:in mit einem Bruttolohn von etwa 2.500 Euro.
Im Gegensatz zu Arbeitslosen bekommt eine Arbeiter:in mit diesen Gehalt nämlich weder Wohnung, noch Heizkosten vom Staat finanziert sondern muss diese selber zahlen. So argumentiert die CSU. Wenig erstaunlich benutzet sie dafür die selben Zahlen, die eine Woche zuvor noch die neurechte Wochenzeitung Junge Freiheit und mehrere AfD-Kreisverbände verbreitet hatten.
Die Berliner Zeitung und einige andere Medien ‚entlarven‘ dieses Argument vordergründig, indem sie entgegenhalten, dass auch Arbeiter:innen im Niedriglohnbereich zum Teil Anspruch auf Leistungen vom Staat haben. Während es richtig ist, dass Söder sich seine Rechnung zu einfach macht, muss man dieses Gegenargument eigentlich auf einer anderen Ebene angreifen. Und zwar an der Stelle, an der es vor allem als Mittel genutzt wird, um die Arbeiter:innen zu spalten und selbst die geringfügigste Verbesserung ihrer Lebenssituation abzuschmettern.
„Leistung muss sich lohnen“?!
Söder und Konsorten propagieren „Leistung muss sich lohnen!“ – und daran ist so vieles falsch, wenn man sich einfach einmal die Realität unserer Gesellschaftsordnung anschaut:
- Erstens wird suggeriert, dass im Kapitalismus vor allem die eigene Leistung bestimmt, wie viel Geld man auf dem Konto hat. Dabei erleben wir jeden Tag, wie alleinerziehende Mütter zwei Jobs machen und arm bleiben, während andere in die „richtige“ Familie geboren werden und dann ihr Leben lang von der Arbeit anderer leben können. Zugleich werden jeden Tag Aktionär:innen reicher und reicher, selbst wenn sie ihr Leben lang nichts anderes vorzuweisen haben, als von ihren Eltern etwas zu erben.
- Zweitens ist diese Aussage schon an sich ein billiger Taschenspielertrick: Der Lohn, den man bekommt, wird ja nicht plötzlich höher, nur weil andere weniger haben. Wenn man von „Leistung muss sich lohnen!“ spricht, dann müsste es – wenn überhaupt – um Lohnerhöhungen gehen und nicht darum, Arbeitslosen etwas weg zu streichen.
- Und drittens wird unterschwellig angedeutet, dass die meisten Arbeitslosen Faulenzer:innen sind, die sich das Ganze ausgesucht haben. Und das ist einfach absurd, wenn man sich die Lebensrealität der meisten Arbeitslosen ansieht: Viele von ihnen können nicht einmal ein paar Tage Urlaub machen, ohne dies dem Amt zu melden, ganz abgesehen davon, ob sie es sich überhaupt leisten können. Außerdem „produziert“ dieses System Arbeitslose geradezu: zum einen durch die regelmäßigen Wirtschaftskrisen, in denen Millionen entlassen werden, des weiteren als subtiles Druckmittel für diejenigen, die arbeiten: nämlich ihnen permanent vor Augen zu führen, dass sie jederzeit ersetzbar sind. Und zu guter Letzt sollte man sich vielleicht doch erst noch einmal anschauen, was sich denn wirklich beim Bürgergeld ändert.
Gerade mal Inflationsausgleich
Ist es denn tatsächlich so, dass es sich hier um horrende Summen handelt? Natürlich nicht. Das Bürgergeld wird im Endeffekt im Regelsatz etwa 50 Euro im Monat mehr bringen als Hartz IV. Dabei handelt es sich allerdings auch nicht um etwas, das in dem neuen Gesetz begründet liegt, sondern um eine Anpassung an die Inflation.
So ist es erstens fraglich, ob es eine solche Anpassung der Regelsätze nicht irgendwann auch unter Hartz IV gegeben hätte und zweitens gleicht diese Anpassung natürlich nicht einmal annähernd das aus, was Inflation und Preisexplosionen den Menschen an Geld wegfressen.
Arbeitslose Menschen werden also selbst dann, wenn das Bürgergeld durchkommt, ärmer und diejenigen, die sich auf die Art dagegen stellen, wie es Söder tut, wollen halt, dass sie noch ärmer werden, als sie es ohnehin schon sind.
Das Bürgergeld von links kritisieren
Es gibt also Leute wie Söder, die gegen das Bürgergeld sind, weil sie besonders aggressive Vertreter des deutschen Kapitals sind. Es ist jedoch nicht so, dass das neue Gesetz nur von rechts kritisiert wird. Das Bürger:innengeld wird nämlich durchaus auch von anderen angezweifelt – und dort zu Recht. Und zwar von denjenigen die auf der Seite der Arbeiter:innen stehen. Sie fordern im Gegensatz zu den rechten Kritiker:innen allerdings nicht weniger sondern weit mehr.
Denn in vielerlei Hinsicht ist das Bürgergeld vor allem eins: Ein Etikettenschwindel. Überall wird darüber geredet, wie „anders“ das neue Gesetz sein soll und wie es „alles verändern“ wird. Sieht man aber einmal genauer hin, dann erkennt man schnell, dass vor allem viel darüber geredet wird, wie viel sich verändert und nicht darüber, dass ansonsten viel fast gleich bleibt:
- Die Regelsätze werden immer noch ähnlich berechnet wie bei Hartz IV. Mit einem neuen Regelsatz von 502 Euro für Alleinstehende, 402 Euro für Erwachsene unter 25, die noch bei ihren Eltern leben, 420 Euro für Jugendliche zwischen 14 und 18, 348 Euro für Kinder von sechs bis 14 Jahren und 318 Euro bei Kindern unter sechs Jahren bleiben sie weiterhin viel zu niedrig.
- Sanktionen bleiben! Genau wie Hartz IV ist das Bürger:innengeld als Existenzminimum definiert. Trotzdem sollen Sanktionen von bis zu 30 Prozent möglich sein. Verändert wird nur, dass es eine sechsmonatige „Vertrauenszeit“ am Anfang geben soll, in der es grundsätzlich keine Sanktionen gibt. Doch auch hier hat Arbeitsminister Hubertus Heil bereits angekündigt, dass in „Extremfällen“ – z.B. bei häufig verpassten Terminen – bereits früher Sanktionen möglich sein sollen.
- Die allermeisten Asylsuchenden haben vor ihrer Fluchtanerkennung, genau wie bei Hartz IV, weiterhin keinen Anspruch auf die Gelder.
- Auch die sogenannten Zumutbarkeitsregelungen bleiben bestehen. Bisher müssen Menschen im Hartz IV-Bezug praktisch jeden der angebotenen Jobs annehmen – auch wenn diese weit unter ihrer Qualifikation liegen oder sie dafür umziehen müssen.
- Die Angemessenheit der Wohnung wird weiterhin überprüft. Dass dies jetzt erst nach 24 Monaten passieren soll, stellt eine geringfügige Verbesserung dar. Trotzdem heißt es im Zweifelsfall, dass Betroffene aus ihrem gewohnten Umfeld heraus gerissen werden. Die Tagesstruktur durch die Arbeit ist bereits weg gefallen, wenn dann auch noch der Wohnort wechselt, fällt es häufig schwer, den sozialen Anschluss zu behalten.
- Der sogenannte „soziale Arbeitsmarkt“ war zu Hartz IV-Zeiten befristet. Jetzt soll er dauerhaft verankert werden. Dieser ermöglicht Langzeitarbeitslosen übergangsweise sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen, öffnet aber auch ihrer Ausbeutung Tür und Tor. Außerdem hat Christian Lindner hier bereits Kürzungen angekündigt
Schampus-Hochzeit auf Sylt & Kürzungen für Langzeitarbeitslose – Danke Christian!
- Das Schonvermögen, dass nicht angetastet werden darf, liegt beim Bürgergeld bei 15.000 Euro. Hier sollte man sich jedoch vor Augen führen, dass 15.000 Euro nicht gerade ein großes Vermögen sind, gerade wenn es darum geht, für das Alter vorzusorgen. Zudem sind die Leistungen des Jobcenters immer noch so gering, dass die allermeisten Menschen ihr Schonvermögen faktisch trotzdem antasten müssen, sobald auch nur die Waschmaschine kaputt geht oder ein Auto ernsthaft Schaden nimmt.
- Neu ist auch, dass Azubis, Schüler:innern und Studierende mehr Geld dazu verdienen dürfen, ohne dass es verrechnet wird. Das wäre aber vermutlich auch passiert, wenn Hartz IV geblieben wäre, schließlich wurde auch die Minijobgrenze auf 520 Euro erhöht und der Mindestlohn ist gestiegen.
Lassen wir uns nicht spalten
Schaut man sich das Spektakel nüchtern an, dann stellt man fest, dass das “Bürgergeld“ weder eine soziale Revolution bedeutet, noch genug wäre, um Menschen massenhaft dazu zu bewegen, aufzuhören zu arbeiten. Alles in allem verändert sich nämlich so gut wie nichts. Die wenigen Verbesserungen, die das Paket beinhaltet, sind vor allem darauf ausgerichtet, dass trotz der Inflation das Existenzminimum gewährleistet wird.
Die Diskussionen im Bundestag rühren also nicht daher, dass irgendwer besonders fortschrittlich wäre. Sondern eher daher, dass verschiedene Parteien unterschiedliche Strategien vertreten, wie man mit der momentan zugespitzten Situation umgehen soll.
Die Ampelkoalition möchte ihr Image pflegen und mit den geringen Zugeständnissen kommende Proteste abwiegeln. Die CDU, CSU, wie auch die AfD scheinen die Gelder eher woandershin stecken zu wollen. Sie nutzen die Debatte, um die Spaltung der Arbeiter:innenklasse – in solche ohne Lohnarbeit und solche in Lohnarbeit – voranzutreiben.
Auch wenn es uns anders verkauft wird: wir müssen uns hier nicht auf die eine oder andere Seite der prokapitalistischen Parteien schlagen. Wir sollten vor allem auf unserer eigenen Seite stehen. Und das bedeutet, das „Bürgergeld“ als den Schwindel zu entlarven, der es ist.
Das bedeutet darüber hinaus, noch viel mehr zu fordern als die Brotkrumen, die die Regierung uns hinwerfen will. Und vor allem uns nicht spalten zu lassen. Wir alle sind Teil einer Klasse, auch diejenigen, die momentan keine Arbeit finden. Es ergibt keinen Sinn, wütend auf diejenigen zu sein, die keinen Job haben und am Existenzminimum leben. Sie haben uns nichts weg genommen. Wir müssen unsere Wut richtig lenken, und zwar gemeinsam – auf die Wenigen, die jetzt von der Krise und jeden Tag von unserer Arbeit profitieren.