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Freitag, Mai 3, 2024
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    AfD will sich doch zur EU bekennen – macht sie sich fit fürs Regieren wie in Italien?

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    Im Leitantrag zur Europawahl wollte die AfD im Juni noch die “EU auflösen”. Jetzt ist sie zurückgerudert. Der Antrag sei “ein Versehen” gewesen. Das Aufgeben in dieser für die AfD grundlegenden Frage kommt für viele überraschend. Jedoch konnte sich in Italien die faschistische Koalitionsregierung um Ministerpräsidentin Meloni durch ein Bekenntnis zur EU und Nato Freiraum zum reaktionären Umbau des Staats verschaffen. Versucht die AFD jetzt ähnliches? – Eine Einschätzung von Rudolf Routhier.

    Als sich die AfD 2013 gründete, waren ein Austritt aus der EU beziehungsweise aus dem Euro und dem Schengenraum zentrale Themen. Auch wenn sich der Fokus schon bald primär auf Hetze gegen Geflüchtete und Migrant:innen verschob, blieb die “EU-kritische” Haltung ein wichtiger Bestandteil der Partei.

    Mitte Juni wurde dies noch einmal verschärft, als die AfD in ihrem Leitantrag zum Europawahlprogramm die “geordnete Auflösung der EU” und ihre Ersetzung durch eine neue Wirtschaftsgemeinschaft “souveräner Völker”forderte, die sich durch ihren gemeinsamen Bezug auf Christentum sowie die Kultur des antiken Griechenland und des Römischen Reichs definieren.

    Diese gemeinsame Kultur sei die “Grundlage für die Führungsrolle Europas in der Welt seit Beginn der Neuzeit”. Das Ziel, die EU durch ein ethno-pluralistisches Gebilde zu ersetzen, das sich scheinbar in der Tradition des römischen Imperiums sieht und sich mit der gepriesenen “Führungsrolle Europas in der Neuzeit” positiv auf Kolonialismus und Imperialismus bezieht, sorgte für viel Aufsehen.

    Aus “Versehen”?

    Jetzt ist die AFD in diesem Punkt zurückgerudert. Insbesondere Parteivorsitzende Alice Weidel sei gegen den Punkt. Die Bundesprogrammkommision (BPK) fordert deswegen jetzt, die Passage, die die Auflösung der EU fordert, zurückzunehmen. Der Punkt sei ein “redaktionelles Versehen bei der Präambel-Erstellung ohne Beschlusslage der BPK” gewesen. Warum auf einmal das Abrücken von einer Position, die von der AfD noch im Juni als wichtig genug betrachtet wurde, um ihr die ersten Kapitel im Leitantrag zu widmen?

    Es ist wahrscheinlich, dass dies ein Versuch der Partei ist, sich regierungs- und koalitionsfähig zu machen. Bei Umfragen sind die Zahlen der Partei auf einem Rekordhoch und es besteht das Potential, dass sie bei den nächsten Wahlen zu den stärksten oder gerade in einzelnen Bundesländern zur stärksten Kraft gehört.

    AfD im Umfrage-Höhenflug – Hochkonjunktur für den Faschismus?

    Dennoch sehen auch Teile der deutschen Kapitalist:innen die AfD noch mit einer gewissen Skepsis. Auch in dieser Hinsicht konnte die Partei zwar Erfolge erzielen. Zentrale Themen wie eine Abschaffung des Asylrechts oder die Einschränkung der Rechte von Frauen, Migranti:innen und LGBTI+-Personen werden mittlerweile sogar von anderen Parteien, insbesondere der CDU, aufgegriffen oder – wie die Verschärfung des Asylrechts zeigt – sogar auf EU Ebene umgesetzt.

    In anderen Punkten, wie beispielsweise der Abschaffung der EU, wird die Partei jedoch abgelehnt. Die EU ist, entgegen der Propaganda der AfD, für die meisten deutschen Kapitalist:innen ein Erfolgsmodell. Die Unterordnung und Ausbeutung großer Teile Südosteuropas – wie beispielsweise während der sogenannten Eurokrise – wären ohne sie nicht so einfach möglich gewesen.

    Es mag ein Zeitpunkt kommen, an dem der deutsche Imperialismus es ebenfalls als notwendig erachtet, zu einer aggressiveren und militaristischen Außenpolitik überzugehen und in diesem Sinne auch das Ende der EU in Angriff nehmen wird – dieser ist jedoch noch nicht gekommen. Ganz im Gegenteil strebt die deutsche Regierung derzeit die Umstrukturierung der EU unter offen formuliertem deutschen Führungsanspruch an. Bundeskanzler Scholz legte solche Pläne unter anderem in seiner Grundsatzrede zur Zukunft der EU dar.

    Scholz’ Plan für ein Europa unter deutscher Führung

    Vorbild Italien

    Mit dem Zurückrudern in der EU-Frage könnte die AfD nun versuchen, den deutschen Kapitalist:innen zu signalisieren, dass sie in Hinsicht EU kompromissbereit und so ein realistischer Koalitions- und sogar Regierungspartner ist.

    Ein Vorbild hat die Partei jedenfalls in der neofaschistischen Meloni-Regierung Italiens gefunden: Giorgia Melonis neofaschistische Partei “Fratelli d’Italia” konnte sich durch ihr schnelles Bekenntnis zur EU und Nato, das sich unter anderem auch durch Waffenlieferung an die Ukraine äußerte, den Freiraum sichern, den sie zur dauerhaften reaktionären Umstrukturierung des Staats braucht.

    Dass ihre eigentlich EU-skeptische Partei ihr außenpolitisches Profil so schnell veränderte, führte zwar zu Konflikten mit ihren – dem russischen Imperialismus zuneigenden Koalitionspartnern, sorgte aber auch dafür, dass insbesondere der deutsche und französische Imperialismus der Regierung ihre Unterstützung aussprachen. Die AfD könnte ähnliches verfolgen.

    • Perspektive-Autor seit Sommer 2022. Schwerpunkte sind rechter Terror und die Revolution in Rojava. Kommt aus dem Ruhrpott und ließt gerne über die Geschichte der internationalen Arbeiter:innenbewegung.

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