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Montag, April 29, 2024
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    AfD im Umfrage-Höhenflug – Hochkonjunktur für den Faschismus?

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    Die AfD befindet sich in einem Umfrage-Hoch und hat ihr erstes Landratsamt gewonnen. Doch wie blicken die “intellektuellen” Köpfe der neurechten Bewegung auf die aktuellen Ereignisse um die Partei? – Eine Einordnung von Alex Lehmann

    Die AfD hat im Landkreis Sonneberg ihr erstes Amt gewonnen. Zumindest für diese Legislaturperiode wird Robert Sesselmann für die AfD den Landratsposten besetzten. Kurze Zeit später kam mit Hannes Loth der erste hauptamtliche AfD-Bürgermeister nach. Für die kommende Oberbürgermeister-Wahl im thüringischen Nordhausen rechnen Parteigrößen wie Björn Höcke schon jetzt mit dem nächsten Coup.

    Dazu kommt ein bisher unbekanntes Umfrage-Hoch für die Partei. Die Reaktionen gehen von Glückwünschen bis hin zu Boykottaufrufen für AfD-regierte Landkreise und Städte. Auch Götz Kubitschek, einer der führenden Vordenker, Aktivisten und Verleger der deutschen und europäischen faschistischen Bewegung, reagiert mit einem längeren Artikel, der sowohl im Online-Teil der rechten Zeitschrift Sezession veröffentlicht, als auch vom Autor auf YouTube eingelesen wurde. In „Womit wir rechnen müssen“ stellt er strategische Überlegungen zur Zukunft der Partei und ihrem Dialog mit der neurechten Bewegung als Ganzes an.

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    Probleme der faschistischen Bewegung

    „Deutschland hat das erste Viertel auf dem Weg einer Transformation in eine andere Gesellschaft zurückgelegt“ lautet die Grundannahme über die gesellschaftlichen Zustände, mit der Kubitschek arbeitet. Daraus lässt sich seiner Meinung nach auch der Aufschwung der AfD erklären. Als einzige ernsthafte Oppositionspartei sei sie zum Sammelbecken für alle geworden, die eine fundamentale Veränderung der Gesellschaft ablehnen würden. Die vermeintlich fundamentale Veränderung sei das Ziel der Grünen, zu denen Kubitschek „alle von Söder bis Baerbock“ zählt.

    Kubitschek hat recht, wenn er sagt, dass der Faschismus diejenigen vereint, die keine fundamentale Veränderung wollen. Der ganze Erfolg des Faschismus und auch der Neuen Rechten beruht eben genau darauf, dass er Ängste mobilisiert – Ängste davor, dass an den Grundpfeilern der Gesellschaft gerüttelt wird. Vor allem, wenn es an die Grundfesten des Patriarchats, also der Unterdrückung der Frau geht, greift die faschistische Demagogie. Sie erklärt die „traditionelle“ Kleinfamilie für heilig, die Fesselung der Frau an den Haushalt als natürlich gegeben und die Existenz von LGBTI+ für unnatürlich und falsch.

    Natürlich rüttelt eigentlich gar keine Parlamentspartei an der kapitalistischen Klassengesellschaft oder dem Patriarchat, der Unterdrückung der Frau. Schließlich nützt es dem Kapitalismus ja: Die Arbeiter:innen werden nach Geschlecht und Sexualität gespalten und gegeneinander aufgehetzt, und über die kostenlose Haus- und Care-Arbeit der Frauen lassen sich die Löhne drücken. Aber die Neurechten arbeiten eben nicht mit logischen oder rationalen Mitteln und können ihrem politischen „Gegner“ in die Schuhe schieben, was sie wollen.

    Dadurch, dass sich der derzeitige Aufschwung der AfD allerdings hauptsächlich aus Leuten speist, die keine überzeugten Faschist:innen sind, entsteht in der faschistischen Bewegung ein Personalmangel. Kubitschek stellt die Frage, ob die AfD genug politisch geschultes Personal, also genügend Kader:innen hat, um das aktuelle Hoch der Faschisten auch in politische Erfolge umschlagen zu lassen. Kubitscheks Organisationen selbst seien seit Jahren finanziell und personell von der AfD ausgesaugt worden. Offensichtlich hat das „politische Vorfeld“, zu dem er seinen Think-Tank und Verlag zählt, auch gerüttelt viele Probleme, seine Publikationen unter die große Masse der Wähler:innen zu bringen: Kubitschek beklagt, dass das Milieu der AfD „nicht viel liest“.

    Eine andere Gefahr sieht der faschistische Demagoge im „Parlamentspatriotismus“, also einem zu großen Fokus auf die Arbeit in den Parlamenten und einer Politik, die sich zu sehr am Grundgesetz und zu wenig am „Veränderungswillen“ der Faschist:innen orientiert. Maximilian Krah, Ex-CDU Abgeordneter und Mitglied im Europaparlament, sagt dazu, die Partei müsse verstehen, dass sie nicht ohne das politische Vorfeld könne.

    Allgemein betrachtet Kubitschek die aktuelle Lage der faschistischen Bewegung kritisch. Der parlamentarische Arm der Bewegung, die AfD, erziele zwar politische Erfolge und stehe bei verschiedenen Umfragen gut im Kurs. Aber die Erfolge im Parlament und in der Kommunalpolitik schlügen nicht auf den Rest der Bewegung, vor allem nicht auf die verschiedenen Stiftungen und Think-Tanks um.

    Auch der rechte Verein “Ein Prozent e.V.” schlägt in seinem neusten Podcast, der sich dem gleichen Thema widmet, in eine ähnliche Kerbe. Auch hier wird betont, die AfD dürfe nun nicht versuchen, sich ihres Vorfelds und seiner vielleicht radikaleren und unbequemeren Teile zu entledigen.

    Gleichzeitig wird auch in verschiedenen Veröffentlichungen als Problem benannt, dass die AfD vor allem bestimmte Bevölkerungsschichten anspreche: Das sind im Wesentlichen mittelalte Männer aus dem Kleinbürger:innentum, die sich auch historisch am leichtesten von ultrarechten Bewegungen mobilisieren lassen. Dagegen habe man Probleme, Jugendliche und vor allem Frauen sowie bestimmte Teile der Arbeiter:innenklasse zur Wahl der AfD zu bewegen.

    Kubitschek mahnt auch an, dass man sich darauf vorbereiten müsse, dass der Staat „seine Schläge führen“ werde. Dahinter steckt, dass die AfD oder ein rechter Putsch gerade nicht das unmittelbare Interesse der Herrschenden in Deutschland darstellen, gleichzeitig Kapital und Geheimdienste aber die Leitplanken für die Ultrarechten festlegen – und die sind ihnen eben manchmal zu eng gesetzt.

    In der Bewertung des aktuellen Höhenflugs der AfD durch neurechte Vordenker:innen zeigt sich also zusammengefasst der Versuch einer nüchternen Betrachtung bei dem gleichzeitigen Willen, in die Offensive zu gehen.

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    Die faschistische Gefahr nicht aus den Augen verlieren

    Als Antifaschisten und Antifaschistinnen sollten wir die Entwicklung der faschistischen Bewegung aufs Schärfste beobachten. Dazu zählt auch, sie in ihrer Gänze zu betrachten. Es gibt eben nicht nur die große faschistische Partei im Parlament und ein paar Intellektuelle. Das, was Kubitschek und andere als „politisches Vorfeld“ bezeichnen, ist ein Netz von teils unabhängigen, teils eng miteinander vernetzten Verlagen, Social-Media-Kanälen, Stiftungen, Zeitungen, Blogs, Organisationen und Bewegungen. Ihre Aufgabe ist es, langfristige ideologisch-kulturelle Arbeit zu leisten, der Partei den Weg zu ebnen, die Strategie auszuarbeiten und grundlegende Begriffe zu prägen, um so schleichend Einfluss auf das Bewusstsein der breiten Bevölkerung zu nehmen.

    Dazu kommen Gruppen wie die Neonazistische Partei “Der III. Weg” oder freie Kameradschaften, die wie Schlägertruppen der faschistischen Bewegung agieren und in der Tradition des nationalsozialistischen Saalschutzes, der SA, stehen. Auch der bewaffnete Arm des Faschismus wächst: Geheimdienste, die Bundeswehr, das “Kommando Spezialkräfte” (KSK) und die Polizei sind durchsetzt von Faschist:innen, die Waffen stehlen, Informationen über politische Gegner:innen sammeln und sich darauf vorbereiten, gewaltsam die Macht an sich zu reißen..

    Alle diese Bestandteile bilden ein widersprüchliches Ganzes und sind nicht scharf von einander getrennte politische Kräfte. Ideologen wie Kubitschek sprechen das auch offen aus.

    Die faschistische Bewegung ist ein Gegner, den man erst nehmen muss: Man muss ernst nehmen, dass sie wächst und in Zeiten von Krieg und Krise auch jederzeit wieder zu einer Herrschaftsoption werden kann. Gleichzeitig treibt sie aber bereits schon heute die Entwicklung des Staats voran: beispielsweise sind die früheren Forderungen der AfD in der Flüchtlingspolitik heute offizielle EU-Linie.

    Der Kampf gegen den Faschismus fängt deshalb heute an und muss zu einem ernsten Anliegen aller werden, die sich für eine befreite, sozialistische Gesellschaft einsetzen.

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