Im südthüringischen Landkreis Sonneberg ist vergangenen Sonntag mit Robert Sesselmann erstmals ein AfD-Kandidat zum Landrat gewählt worden – mit Abstand. Zuvor haben alle Parteien von CDU bis Linkspartei zur Wahl des Gegenkandidaten der CDU aufgerufen. Sicher ist: andere Landkreise werden nachziehen. Welche Potentiale gilt es jetzt also auszunutzen? – Ein Kommentar von Konstantin Jung
Die faschistische Bewegung hat in weiten Teilen der neuen Bundesländer eine bestimmte Meinungshoheit erlangt. So überrascht in Zeiten des bundesweiten AfD-Umfragehochs auch nicht allzu sehr, dass im südthüringischen Landkreis Sonneberg der Landrat künftig AfDler ist. Nach einer Stichwahl am Sonntag, dem 25. Juni, hat dabei Robert Sesselmann von der AfD mit 52,8 Prozent gegen den CDU-Kandidaten Jürgen Köpper gewonnen.
Die Gunst der Stunde nutzen bürgerliche Medien wie auch der Spiegel dabei direkt aus, um das ostdeutsche Hinterland mal wieder fälschlicherweise als braunen, verlorenen Sumpf darzustellen. Was natürlich auf gar keinen Fall heißen soll, dass alle AfD-Wähler:innen in Thüringen nur „besorgt“ sind. Erst am Dienstag machte ein Video die Runde, wie ein Mann in einem Kindergarten der Region mutmaßlich AfD-Luftballons verteilt. Er trägt dabei ein Shirt mit der Aufschrift „Wehrmacht wieder mit?“, auf seinem Kofferraum steht „Ehrenamtlicher Abschiebehelfer“.
https://twitter.com/KatharinaKoenig/status/1673558983112638464
CDU schafft es nicht, Rechtsaußen zu überholen
Für die AfD ist die Wahl ein großer Erfolg, regieren sie doch jetzt schließlich auf Landkreisebene. Auch der Faschist Björn Höcke und der AfD-Bundestagsvorsitzende Tino Chrupalla ließen sich in Sonneberg grinsend ablichten. Die CDU hatte im Vorhinein versucht, eben dieses rechte Wähler:innenpotential abzuschöpfen, sei es mit asylfeindlichen Äußerungen oder mit reaktionärer Polemik gegen das Heizungsgesetz vom grünen Wirtschaftsminister Habeck.
Umso überraschender also, dass SPD, Grüne und Linkspartei plötzlich einen Bündnispartner in der CDU Sonneberg sehen und zur Wahl des CDU-Kandidaten aufriefen. In dem Fall ist sie das „geringere Übel“, doch genau das zeigt viel eher die Funktion einer faschistischen Partei im Parlamentarismus: plötzlich fangen Leute an, andere konservative Kräfte zu wählen, die ganz sicher auch nicht ihren Interessen entsprechen.
Wir wollen kein „geringeres Übel“!
In vielen anderen Landkreisen, etwa in Sachsen letztes Jahr, mag der Zusammenschluss der Parteien links der AfD gegen diese noch gefruchtet haben. In Sonneberg ist es aber missglückt. Doch auch hier war es nicht die AfD, die den höchsten Anteil der Stimmen gewann – denn immerhin entschieden sich 42% der Bürger:innen des Landkreises an diesem Tag, nicht in das Wahllokal zu gehen.
Der Spiegel sieht darin „das Problem“ und die ZEIT behauptet, der Wille, die Demokratie gegen die AfD zu verteidigen, sei zu schwach. Doch „Demokratie verteidigen“ müsste in diesem Fall bedeuten, mit der CDU eine Partei zu wählen, die in diesem Wahlkreis erst vor zwei Jahren den neurechten Hans-Georg Maaßen zur Bundestagswahl aufgestellt hatte. Eine Partei, deren Jugendorganisation dem AfD-Landrat sogar zur Wahl gratulierte. Eine Partei, deren „Brandmauer“ zur AfD immer mehr zerbröckelt – und die in Zukunft, falls es doch mehr AfD-Landräte geben sollte, ihre Chance voraussichtlich in einer ‚Zusammenarbeit‘ sehen wird.
Der Faschismus lässt sich nicht abwählen
Natürlich bedeutet Nicht-Wählen in diesem Kontext nicht automatisch, antifaschistisch und fortschrittlich zu sein. Und doch ist diese Weigerung doch eher ein Spiegel dessen, dass der deutsche Parlamentarismus langfristig keine Alternative für die Probleme der „Ossis“ darstellen kann – egal mit welcher Partei. Die bürgerlichen Parteien sehen in ihnen noch das Potential, sie doch wieder durch Lügen und Betrügen irgendwie zu überzeugen und in das System zu integrieren.
Doch der Faschismus lässt sich nicht abwählen, das gilt früher wie heute! Viel eher sollte es jetzt in erster Linie die Aufgabe sein, die AfD als Verfechter:innen des Status Quo zu entlarven, denn sie stellen in keiner Hinsicht eine grundlegende Alternative zum herrschenden Wirtschaftssystem dar. Die AfD ist mit ihren Steuerprogrammen Freundin der Unternehmen und steht für soziale Ungerechtigkeit wie sonst niemand. Auf der anderen Seite können wir unser Vertrauen aber auch nicht der CDU oder anderen bürgerlichen Parteien schenken, wenn wir verhindern wollen, dass in unserer Gegend noch mehr Landkreise blau werden. Den Widerstand müssen wir schon selbst organisieren!