Am 27. Juni wurde der 17-Jährige Nahel M. in Nanterre bei einer Verkehrskontrolle von der Polizei erschossen. Ausgehend von den Pariser Vororten – den sogenannten “banlieues” – kommt es seitdem im ganzen Land zu Demonstrationen und Aufständen mit tausenden Beteiligten. Auch in der vergangenen Nacht haben die Proteste angehalten.
Am Dienstagmorgen wurde der aus Algerien stammende Jugendliche Nahel M. bei einer Verkehrskontrolle durch zwei Polizisten angehalten. Sie warfen ihm vor, ohne Führerschein gefahren zu sein: Einer der Polizisten, Florian M., droht Nahel mit den Worten „Du wirst eine Kugel in den Kopf bekommen“ („Tu vas prendre une balle dans la tête“) und richtet dabei die Waffe auf ihn. Nahel gibt daraufhin Gas, der Polizist schießt ihm in die Brust. Der Jugendliche stirbt am Tatort. Gegen den Schützen wird nun wegen „vorsätzlicher Tötung“ ermittelt, er sitzt in Untersuchungshaft. Die Beisetzung des Jugendlichen fand am vergangenen Freitag unter großer Anteilnahme statt, so teilte Nanterres Bürgermeister Patrick Jerry mit.
Seitdem breiten sich ausgehend von Nanterre Proteste im ganzen Land aus. Wie Perspektive bereits berichtete, kam es dabei zu intensiven Auseinandersetzungen mit der Polizei. In der Nacht vom Mittwoch auf Donnerstag wurden Polizeiwachen überfallen und geplündert. Ausrüstung und Waffen seien nun zum Teil im Besitz der Demonstrierenden. Im Internet kursieren Videos von jungen Menschen in Polizeiausrüstung und solchen, die mit Schusswaffen Überwachungskameras außer Kraft setzen. Außerdem wurden in mehrere Städten Rathäuser, Schulen und Autos in Brand gesetzt. Zwischen der Polizei und den Demonstrierenden kam es außerdem immer wieder zu Straßenkämpfen.
40.000 Sicherheitskräfte in der Nacht zum Freitag
In der folgenden Nächten versuchte der französische Staat die Proteste einzudämmen. Dafür mobilisierte der Innenminister Gérald Darmanin in der Nacht zum Freitag landesweit 40.000 Polizist:innen. Im Anschluss an einen Trauermarsch in Nanterre, an dem circa 6.000 Personen teilnahmen, war es auch am Donnerstagabend wieder zu Auseinandersetzungen mit der Staatsgewalt gekommen, bei denen die Polizei teils gewaltsam gegen Demonstrierende vorging.
Nach Angaben der Zeitung Le Parisien und des Senders BFMTV soll es zum Einsatz von Molotow-Cocktails durch die Demonstrant:innen gekommen sein. Die Polizei soll daraufhin ihre Spezialkräfte in Nanterre zusammengezogen und Hubschrauber zur Überwachung eingesetzt haben. Der Straßenbahn- und Busverkehr im Großraum Paris soll aus Sicherheitsgründen ab 21 Uhr eingestellt worden sein. Darüber hinaus wurden in einigen Orten nächtliche Ausgangssperren für Jugendliche verhängt, sowie der Verkauf und das Mitführen von Feuerwerk kurzfristig verboten.
Ebenso wie in der Nacht zum Donnerstag begrenzten sich die Proteste nicht auf den Großraum Paris, sondern schwappten in den letzten Tagen zunehmend auf andere französische Städte über.
Junger Mann stirbt während der Proteste
Ein junger Mann soll am Rande der seit Tagen anhaltenden Proteste gestorben sein, die Umstände sind noch ungeklärt. In der Nacht zum Freitag sei er vom Dach eines Supermarkts im nordfranzösischen Petit-Quevilly, nahe der Stadt Rouen in der Normandie, gestürzt.
In der Freitagnacht war es noch einmal zu einem verstärkten Einsatz mit rund 45.000 Sicherheitskräften in ganz Frankreich gekommen.
1.300 Festnahmen in der Nacht auf Sonntag
Bis zum frühen Samstagmorgen sollen in ganz Frankreich 990 Menschen festgenommen worden sein, das teilte Innenminister Gérald Darmanin mit. Die umfangreichsten Ausschreitungen soll es dabei in Marseille gegeben haben, dort seien bis 2 Uhr morgens am Samstag 88 Menschen festgenommen worden.
Die Auseinandersetzungen In Marseille sollen vor allem zwischen Jugendlichen und der Polizei stattgefunden haben. Zusätzlich zu den Straßenschlachten seien außerdem Geschäfte, darunter auch ein Waffenlanden, geplündert worden. Im Verlaufe des Abends sei auch Tränengas zum Einsatz gekommen, drei Polizist:innen seien leicht verletzt. Während der Einsätze sollen insgesamt 79 Beamt:innen verletzt worden sein.
In der Nacht auf Sonntag hat die Polizei noch rigoroser agiert als in den Nächten zuvor: Mit 1.300 Festnahmen in einer Nacht schnellte die Zahl auf einen Rekordwert. Gleichzeitig sorgt ein rechts-gerichtetes Schreiben der zwei größten Polizeigewerkschaften für Aufsehen: Man sei „im Krieg“ gegen „wilde Horden“. Die faschistische Abgeordnete Marine Le Pen nutzte ähnliche Worte, als sie einen Ausnahmezustand forderte.