Während der Proteste in Frankreich drohte Präsident Macron mit einer Zensur des Internets. Ein EU-Kommissar pflichtet ihm nun bei und möchte bestehende Regelungen künftig härter anwenden.
Während der Unruhen und Proteste in Frankreich zog Präsident Emmanuel Macron in Erwägung, den Internetzugang der Bevölkerung einzuschränken. Man müsse über die Nutzung sozialer Netzwerke durch die protestierenden Jugendlichen und mögliche Verbote nachdenken. Das erklärte Macron bei einem Treffen mit Bürgermeistern, nachdem nach dem Polizeimord in einem Pariser Vorort Nanterre militante Massenproteste ausgebrochen waren. Die Politik solle notfalls in der Lage sein, die Plattformen scharf zu sanktionieren oder den Zugang zu ihnen „abzuschneiden“. Mit der Forderung nach Zensurmaßnahmen, die westliche Politiker:innen immer wieder kritisieren, wenn sie etwa in China oder dem Iran angewandt werden, zog auch der französische Präsident Kritik auf sich.
Nun stellt sich aber auch der EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton auf Seite Macrons. In einem Interview mit dem französischen Nachrichtensender France Info betonte der frühere Chef der France Telecom, dass, „wenn es hasserfüllte Inhalte gibt, Inhalte, die zum Beispiel zum Aufruhr oder zum Töten aufrufen […], die Plattformen verpflichtet sind, diese zu löschen. Wenn sie das nicht tun, werden sie sofort bestraft“. „Wir haben Teams, die sofort eingreifen können“, untermauerte der Franzose seine Ankündigung in dem Interview.
Die EU-Kommission könne den Zugang zu sozialen Netzwerken wie TikTok, Twitter, Facebook, Instagram, YouTube und Snapchat auf der Grundlage des EU- „Gesetzes über digitale Dienste“ (englisch: Digital Services Act, DSA) vollständig sperren lassen, wenn die Betreiber bei sozialen Unruhen nicht gegen illegale Inhalte vorgingen. Wenn die Verantwortlichen nicht sofort handeln würden, könnten laut Breton nicht nur Geldstrafen verhängt werden, sondern auch der Betrieb der gesamten Plattform auf „unserem Territorium“ verboten werden.
Kurios ist dabei, dass nicht das DSA neu ist, sondern Bretons repressive Interpretation desselben. Künftig könnten so Behörden aller Art Host-Provider grenzüberschreitend anweisen, gegen illegale Inhalte wie strafbare Hasskommentare oder die unerlaubte Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke vorzugehen, ohne dass ein Richter eingeschaltet werden muss. Betroffene Plattformen müssen solche Angebote dann unverzüglich sperren oder blockieren und bei schweren Straftaten auch Anzeige erstatten.
Auch wenn es sich hierbei nur um eine Lesart des Gesetzes handelt, ist klar, dass der Spielraum für die Aushöhlung der Informationsfreiheit im Gesetz bereits groß ist: Im Falle von Krisen wie Kriegen und Pandemien, die eine Bedrohung für die „öffentliche Sicherheit“ oder die „menschliche Gesundheit“ darstellen, kann die Kommission beispielsweise Plattformen auffordern, Inhalte auf ihren Portalen zu begrenzen. Diese spezifischen Maßnahmen sind auf drei Monate begrenzt.
Die Kommission wird nun ab dem 25. August neue Regeln für sehr große Plattformen einführen und zentral überwachen, um die Durchsetzung in allen EU-Ländern zu gewährleisten. Die in Brüssel ansässige Regierungsbehörde hat dies bereits für 19 große Internetplattformen mit über 45 Millionen Nutzer:innen in der EU – darunter auch TikTok, Instagram, Meta oder Twitter – festgelegt. Die Plattformen müssen der Kommission eine erste detaillierte Bewertung ihrer größten Risiken vorlegen. Andernfalls drohen ihnen Geldstrafen von bis zu sechs Prozent ihres weltweiten Umsatzes. Breton kündigte an, dass die Kommission nächste Woche einen entsprechenden „Stresstest“ bei TikTok durchführen werde. Dabei soll geprüft werden, ob der Betreiber in der Lage ist, die neuen Anforderungen zu erfüllen. Auch Twitter und Meta sollen noch in diesem Monat an der Reihe sein.
Letztendlich will man so eine bessere Überwachung sozialer Medien und eine größere Kontrolle über sie ermöglichen. Macrons Äußerungen haben gezeigt, dass man in Paris, Berlin und Brüssel in Momenten sozialer Unruhe die gleichen Mittel zu nutzen bereit ist, die man sonst massiv kritisiert, wenn sie in Teheran, Beijing oder Moskau zur Anwendung kommen.