Profitieren wir Arbeiter:innen tatsächlich vom Reichtum unserer Ausbeuter:innen? Eine hohe ver.di-Funktionärin scheint das zu glauben, tatsächlich jedoch offenbart sich mit dem gewerkschaftlichen Ruf nach höheren Porto-Preisen nur der wirkliche Klassencharakter der DGB-Gewerkschaften. – Ein Kommentar von Phillipp Nazarenko
Die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Andrea Kocsis machte jüngst von sich reden, als sie die Bundesnetzagentur kritisierte. So hatte die Deutsche Post AG die Bundesnetzagentur gebeten, das Porto für Briefe abermals zu erhöhen, um den eigenen Gewinn zu steigern. Diese hatte jedoch abgelehnt. Dies kritisiert die Gewerkschaftsführerin wie folgt: „Die Entscheidung ist völlig unverständlich und wird negative Konsequenzen für die Beschäftigten bei der Deutschen Post AG haben.“
Es ist die Rede davon, dass der gestiegene Kostendruck eine negative Auswirkung auf die Arbeitsqualität und den Erhalt der Vollzeitarbeitsplätze beim Konzern habe. Das Unternehmen müsse mit dem Briefgeschäft Geld verdienen, also für seine Aktionär:innen profitabel bleiben, und somit sei der Wunsch nach weiteren Preissteigerungen nur „nachvollziehbar“.
Was sich erst mal anhört wie die Predigten auf einem FDP-Parteitag, kommt in diesem Fall von der angeblichen Interessensvertretung der Arbeiter:innen.
Denn die Argumentation wirft Fragen auf: Wessen (Real-)Lohn ist je gestiegen, bloß weil das Unternehmen, für das man arbeitet, erhöhte Profite eingefahren hat? Inwieweit verbessern sich unsere Arbeitsbedingungen, wenn die Preise steigen? Die kapitalistische Logik, wonach der von uns Arbeiter:innen produzierte Wohlstand wieder nach unten runter tropfen würde, nachdem er erst einmal nach oben (also in die Chefetagen und zu den Eigentümer:innen) floss, entpuppt sich jedes Mal wieder als Lüge.
Das Beispiel der Deutschen Post AG beweist das eindeutig. So stiegen die Umsätze des Konzerns im Jahr 2020 um 5,5 % auf 66,8 Milliarden Euro. Daraus erwirtschaftete sich das Unternehmen ca. 3 Milliarden Euro Gewinn, das macht 13,6% mehr als im Jahr zuvor. Sind darauf etwa Lohnerhöhungen gefolgt? Natürlich nicht. Während sich die Aktionär:innen 2021 über eine satte Dividendenerhöhung von 17%t freuen konnten, glichen die nominellen Lohnsteigerungen höchstens die Inflation aus.
Mit dem aktuellen Tarifvertrag 2023 ist nicht einmal mehr das der Fall: Die Lohnsteigerungen genügen nicht einmal, um die Inflation und die Preissteigerungen zu kompensieren, und sie mussten zugleich durch die Warnstreiks der Kolleg:innen erst erkämpft werden. Nichts floss da freiwillig nach unten, egal, was der DGB bzw. ver.di sagen.
Sozialpartnerschaft soll uns ruhig stellen
Ein Konzern muss Profit machen, um in der kapitalistischen Geschäftswelt zu überleben. Dass diese Profite in ihrer absoluten Mehrheit an die Besitzer:innen der Konzerne fließen und die meisten Arbeiter:innen nur soviel bekommen, dass sie weiterhin regelmäßig zur Arbeit kommen können, dürfte allgemein bekannter Alltag sein.
Doch warum ausgerechnet die DGB-Gewerkschaften sich hier so für den Konzernprofit verrenken und uns einreden wollen, unser Interesse als Arbeiter:innen würde mit dem der Kapitalist:innen zusammenfallen, das ist vielen Kolleg:innen leider noch nicht klar. Gewerkschaften, so glauben viele, stünden immer und ausschließlich auf Seiten der Arbeiter:innen und Belegschaften, die sie offiziell vertreten.
Dass das in Deutschland leider so nicht stimmt, wird bei jeder Tarifrunde aufs Neue deutlich, wenn der DGB eigenhändig versucht, die Forderungen der Arbeiter:innen so niedrig wie möglich zu halten und Streiks bzw. Arbeitskämpfe so gut es geht zu vermeiden. Dieses Modell nennt sich heuchlerisch „Sozialpartnerschaft“ und gehört zum Propaganda-Vokabular eines bzw. einer jeden Gewerkschaftsfunktionär:in.
Dass sowohl der DGB, als auch die in ihm einflussreichen politischen Kräfte von Linkspartei bis hin zur SPD schon längst ihren Frieden mit dem kapitalistischen System, mit den Konzernchefs und den Aktionär:innen gemacht haben und sich ihnen viel eher als Dienstleister:innen zur Kontrolle der Belegschaften anbieten als für sie zu kämpfen, ist seit Jahrzehnten trauriger Alltag in der BRD.
Dass jedoch ganz offensiv von der Gewerkschaft noch höhere Preissteigerungen als ohnehin schon gefordert werden, stellt nun doch eine neue Qualität des Co-Managements dar.
So schwer die gegenwärtige Lage in Hinsicht auf die Gewerkschaften hierzulande erscheint, umso wichtiger ist es, die Wahrheit klar auszusprechen. Nur der eigenständige – also von der Gewerkschaftsbürokratie unabhängig geführte – Kampf der Arbeiter:innen hat die Perspektive, etwas in diesem Land zu verändern.