Vor einigen Tagen wurden öffentlich mehrere Antisemitismusvorwürfe gegen Hubert Aiwanger (Freie Wähler) aus Schulzeiten erhoben. Konsequenzen bleiben bis jetzt aus – nur ein Einzelfall? – Ein Kommentar von Marlon Glaiß.
Antisemitische Flugblätter im Rucksack und Hitlergruß in der Klasse – das vergangene Wochenende war in den Medien geprägt von einer Vielzahl an Vorwürfen gegen Hubert Aiwanger, dem wichtigsten Politiker der Freien Wähler aus Bayern. Entfacht wurden die Skandale durch die Veröffentlichung eines Flugblatts, das der Bayrische Wirtschaftsminister in Schulzeiten verfasst haben soll und in dem sich über die Judenvernichtung im Hitler-Faschismus lustig gemacht wurde.
In den darauffolgenden Tagen meldeten sich mehrere ehemalige Mitschüler Aiwangers, die unter anderem von „judenfeindlichen Witzen über Auschwitz und so weiter“ berichteten. Der junge Hubert habe außerdem wohl regelmäßig mit imitierten Hitler-Ansprachen und einem gelegentlichen Hitlergruß – den Aiwanger abstreitet – Aufmerksamkeit erregt.
Auch die anderen Anschuldigungen – z.B. Verfasser des Flugblattes gewesen zu sein – wurden von ihm verneint. Er erklärte, „seit dem Erwachsenenalter, die letzten Jahrzehnte“ kein Antisemit gewesen zu sein. Die Vorfälle beziehen sich aber auf die Schulzeit, als er noch nicht 18 Jahre alt war, was einige Kommentatoren als indirekte Bestätigung der Vorwürfe werten.
Hier sagt der Vize-Ministerpräsident eines großen deutschen Bundeslandes, er sei zumindest „seit dem Erwachsenenalter, die letzten Jahrzehnte“ kein Antisemit gewesen. Und lässt offen, ob über seine Jugend noch mehr rauskommt. Eigentlich eine unvorstellbare Situation. https://t.co/tAdJjttzFH
— Hanning Voigts (@hanvoi) August 30, 2023
Rückendeckung statt Rücktritt
Während Hubert Aiwanger die Vorwürfe also entschieden zurückwies, stellte sich sein Zwillingsbruder Helmut schützend vor ihn und beteuerte, das Flugblatt selbst geschrieben zu haben. Nicht nur seine Familie bot ihm Halt, auch seine Partei stellt sich bislang gemeinsam mit Aiwanger gegen die Vorwürfe und die politische „Schmutzkampagne“ der Kritiker:innen.
Ebenso solidarisiert sich seine treue Wählerschaft mit ihrem geliebten Spitzenkandidaten und sieht – genau wie er und die Freien Wähler – in den Anschuldigungen keinen Grund für einen Rücktritt. Einen solchen könne man den Wähler:innen auch nicht erklären, die Beweise seien eben zu „mangelhaft“.
Unter Druck steht nun auch Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Diesem gegenüber soll sich Aiwanger einem „25-Fragen-Katalog“ unterziehen und sich schriftlich erklären. Dann stehe einer weiteren Zusammenarbeit, die sich bisher sehr bewährt habe, auch nichts im Wege, so Söder. SPD, die Grünen und FDP fordern derweil eine Sondersitzung des Landtages.
Kein Ausrutscher
Das Ende der Geschichte um die Vorwürfe gegen Aiwanger ist noch nicht abzusehen. Während sich die einen weiter vorstellen könne, im Oktober ihr Kreuzchen für ihn machen zu können oder zukünftig weiter mit ihm zusammenzuarbeiten, ist der Umgang mit dem Fall für viele ein weiterer Schlag ins Gesicht.
Ähnliche Fälle von Antisemitismus und anderen rechten Ideologien in der Politik zeigen häufig, was wieder salonfähig geworden ist, Aiwanger ist kein Einzelfall. Aus der Ecke der AfD kommen tagtäglich faschistisch gesinnte Äußerungen, die für Schlagzeilen sorgen.
Doch nicht nur aus dem Lager der Alternative für Deutschland prasselt es besorgniserregende Forderungen und Skandale. Auch zur CDU, FDP und SPD lässt sich Einiges berichten – und das geht an die Grundfesten der Partei. Nach 1945 wanderten zahlreiche ehemalige Mitglieder der NSDAP zur CDU, FDP oder SPD und hatten dort hohe Positionen inne.
Das bekannteste Beispiel dürfte der Spitzenpolitiker Kurt Georg Kiesinger sein, der selber NSDAP-Mitglied war und von 1966 bis 1969 Bundeskanzler. Oder erst kürzlich verglich das CDU-Mitglied Hans-Georg Maaßen die Kritik an seiner Person mit der Judenverfolgung. Er war jahrelang Chef des Inlandsgeheimdienstes in der Zeit, als die AfD ihren Aufstieg erlebte. Jüngst war er im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen eine faschistische Putsch-Gruppe aufgetaucht.
Heute schon arbeitet die CDU an vielen Stellen mit der AfD zusammen und tauscht sich mit deren Mitgliedern aus. Kürzlich wurde dieses Miteinander von CDU-Chef Merz auf kommunaler Ebene sogar befürwortet. Es ist klar: Aiwanger ist kein Sonderfall. Die „causa Aiwanger“ ist nicht der erste Fall und wird nicht der letzte sein, der sich so zuträgt. Das zeigt, wie wenig Interesse in der herrschenden Politik besteht, wirklich und radikal gegen Faschismus vorzugehen.