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Sonntag, April 28, 2024
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    Streiks der “Sans Papiers” im Großraum Paris erzielen Erfolge

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    Am 17. Oktober legten etliche Arbeiter:innen mit ungeregeltem Aufenthaltsstauts im Großraum Paris die Arbeit nieder. Sie verlangsamten so auch die Bauarbeiten für die Olympischen Spiele 2024. Noch am selben Tag wurde ihnen an zahlreichen Standorten die Legalisierung ihres Aufenthaltsstatus zugesagt. Doch die Streikenden, unterstützt von den Gewerkschaften CNT-SO und CGT, fordern auch eine politische Lösung.

    Sie arbeiten auf Baustellen, in der Hotelbranche, als Reinigungskräfte, Sicherheitspersonal, in der Lebensmittelverarbeitung oder als Haushaltshilfen. Im Großraum Paris stellen sie in diesen Branchen 40 – 62% der Beschäftigten. Ihre Arbeit ist unabdingbar für die Profite ihrer Bosse oder das fristgerechte Fertigstellen von Großbauprojekten für die Olympischen Spiele 2024. Doch über Rechte, wie Arbeitslosengeld im Kündigungsfall oder Schutz vor schlechten und illegalen Arbeitsbedingungen, verfügen sie nicht. Die Rede ist von den “Sans Papiers” (französisch für „Die ohne Papiere“) – Migrant:innen, die in Frankreich über keinen geregelten Aufenthaltsstatus verfügen.

    Viele dieser besonders benachteiligten Arbeiter:innen traten am Dienstag, den 17. Oktober in den Streik. So weigerten sich etliche „SansPapiers“, den Bau der „Arena“ – einer großen Sporthalle, die für die im kommenden Sommer in Paris stattfindenden Olympischen Spiele errichtet werden soll – fortzuführen. Bauherr der Arena ist die Stadt Paris, die wiederum Baukonzerne wie “Bouygues” oder “Vinci” beauftragt. Diese Konzerne wiederum lassen die konkreten Arbeiten von mehreren Sub- und Subsub-Unternehmen durchführen.

    Die Ausbeutung von Menschen ohne Aufenthaltsstatus hat in Frankreich Tradition

    Arbeitskämpfe der Sans Papiers sollen unter anderem verhindert werden, indem sie von einem weit verzweigten Netz aus Subunternehmen angestellt werden. Wenn die Sans Papiers, wie es häufig der Fall ist, nur eine Minderheit in den einzelnen Subunternehmen darstellen, erschwert dies einen gemeinsamen Kampf für eine Legalisierung des Aufenthaltsstatus.

    Jedoch konnten schon 2008 etliche Sans Papiers die Legalisierung ihres Aufenthalts mit Unterstützung der Gewerkschaft CGT erreichen. Allerdings geschah dies primär in den Betrieben, in denen eine relevante Anzahl papierloser Beschäftigter arbeiteten, so dass die CGT mit Streiks schnell starken Druck auf die Bosse der Betriebe ausüben konnte. Sans Papiers, die in geringer Anzahl in Subfirmen arbeiteten, profitierten nicht von dem Arbeitskampf der CGT und besetzten deshalb ab dem 2. Mai 2008 ein Nebengebäude des CGT-Gewerkschaftshauses. Am 24. Juni 2009 ließ die CGT mit Hilfe der Polizei das besetzte Haus gewaltsam räumen.

    Streiks erzielen schnelle Erfolge

    Die am vergangenen Dienstag begonnenen Streiks werden unterstützt von der anarcho-syndikalistischen Gewerkschaft CNT-SO, sowie den “gilets noir” („Schwarzwesten“), eine Organisation von Migrant:innen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus, die sich unter anderem als Reaktion auf die Entstehung von rassistischen und chauvinistischen Elementen in der Gelbwesten-Bewegung (“gilets jaunes”) gegründet hatten.

    Viele dieser Streiks bewirkten noch am selben Abend Erfolge. So wurde allen streikenden Arbeiter:innen bei der olympischen Arena die Legalisierung ihres Aufenthaltsstatus zugesagt. In der Pflicht, die Zusage einzuhalten, sind jetzt die Stadt Paris und die von ihr beauftragten Baufirmen. Auch an sieben weiteren Streikstandorten wurden Legalisierungen zugesagt.

    Auch die CGT mobilisierte zu Streiks. So legten am selben Tag Sans Papiers aus 33 Leiharbeitsfirmen in und um Paris ihre Arbeit nieder. 50 von ihnen besetzten am Mittwoch die Zentrale der auf Logistik spezialisierten Leiharbeitsfirma “Adecco”, die auch in Deutschland tätig ist.

    Die schnell erzielten Erfolge beweisen die Kampfkraft der Sans Papiers. Trotz ihrer besonderen Bedrohung von Repression und Abschiebung können sie erheblichen Druck auf Kapitalist:innen ausüben, denn sie arbeiten besonders häufig in Berufen, die gerade in der Anfangsphase der Corona-Pandemie gerne als „systemrelevant“ bezeichnet wurden.

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    Proteste richten sich zugleich gegen ein neues Ausländergesetz

    Doch die Sans-Papiers und auch die CGT fordern nicht nur die Legalisierung einzelner streikender Arbeiter:innen, sondern eine flächendeckende politische Lösung. Während die damals amtierende Regierung von Nicolas Sarkozy als Reaktion auf die Streiks von 2008 zwar Ausländergesetze verabschiedete, die Möglichkeiten zur Legalisierung öffneten, sind diese stark an die Initiative der individuellen Kapitalist:innen geknüpft, die Sans Papiers beschäftigen.

    Kann ein:e papierlose:r Arbeiter:in Beschäftigungsnachweise für eine, an die Dauer des Aufenthalts geknüpfte Periode liefern, dann kann deren Arbeitgeber einen Antrag auf Legalisierung stellen, der von der Ausländerbehörde angenommen oder abgelehnt werden kann. Doch etliche Kapitalist:innen nehmen lieber Geldstrafen in Kauf, wenn die illegale Weiterbeschäftigung auffliegt, als die ökonomischen Vorteile aufzugeben, die mit der Ausbeutung weitestgehend rechtloser Arbeiter:innen einhergeht.

    Ein neues Ausländergesetz von Innenminister Gérald Darmanin befindet sich zur Zeit in Diskussion, das die Bindung der Sans Papiers an individuelle Kapitalist:innen auflösen und das Stellen von Anträgen unabhängig von der Unterstützung der Bosse ermöglichen soll. Während dieser Aspekt einen Vorteil für Sans Papiers darstellen könnte, sehen Kritiker:innen auch Verschlechterungen, die das Gesetz für die Lage der migrantischen Arbeiter:innen bringen könnte.

    Denn laut diesem Gesetz ist die Chance auf einen sicheren Aufenthaltsstatus an die Tätigkeit in einem „Mangelberuf“ gekoppelt, also einem Beruf, für den es nicht genügend verfügbare andere Arbeitskräfte gibt. Sollte die Regierung einen Beruf nicht mehr als Mangelberuf klassifizieren, verschwindet auch der Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis. Im Gegensatz zu bisherigen Legalisierungen wegen nachgewiesener Erwerbstätigkeit, bei denen die Arbeiter:innen den Aufenthaltstitel dauerhaft behalten konnten, würde in diesem Fall auch eine Abschiebung in das Herkunftsland drohen. Darüber hinaus beinhaltet der Gesetzesentwurf verstärkte Repressionen gegen „straffällig gewordene“ oder „ausreisepflichtige“ Ausländer:innen. Aus diesem Grund fordern die Streikenden, darunter auch die CGT, eine flächendeckende Legalisierung aller Sans Papier und eine Streichung der restriktiven Teile des neuen Ausländergesetzes.

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