`
Sonntag, April 28, 2024
More

    Frauenhäuser – so wichtig und so vernachlässigt!

    Teilen

    Die Zahl der Opfer häuslicher Gewalt nimmt bundesweit massiv zu, zeitgleich sind die knapp 400 Frauenhäuser in Deutschland extrem überlastet. Obwohl ein Großteil der hilfesuchenden Frauen abgewiesen werden muss, kann die Regierung keine nennenswerten Verbesserungen in dem Bereich vorweisen. Man sieht erneut: Gewalt gegen Frauen hat im Kapitalismus System. – Ein Kommentar von Nadia Schuhmann

    Im Jahr 2021 wurden mehr als 143.000 Fälle häuslicher Gewalt bei der Polizei gemeldet. 80% der Opfer waren Frauen. Diese Zahl ist jedoch wahrscheinlich nicht sonderlich repräsentativ, wenn es darum geht, wie viele Fälle häuslicher Gewalt es wirklich gibt. Denn nur ein mutmaßlich kleiner Teil der Betroffenen wenden sich bei Gewalterfahrungen an die Behörden. Man muss hier also leider eine immens große Dunkelziffer mitdenken.

    Frauen arbeiten öfter in atypischen Beschäftigungsverhältnissen, also in Teilzeit- oder Minijobs, und sind auch häufiger zuhause bei den eigenen Kindern und werden dabei nicht entlohnt. Teilzeit- und Minijobstellen werden in der Krise sehr viel schneller gekündigt, wodurch Frauen oft große Gefahr laufen, schneller arbeitslos zu werden. Das kann zur finanziellen Notsituation und Abhängigkeit vom Partner führen, besonders bei der derzeitigen Mietpreisexplosion auf dem deutschen Wohnungsmarkt.

    Frauenhäuser als erste Anlaufstelle bei patriarchaler Gewalt

    Ganz abgesehen davon ist es ohnehin unglaublich schwer ist, in solch einer Situation einfach auszuziehen und sich eine eigene Wohnung zu suchen. Allein das kann schon wieder Monate bis Jahre dauern. Und selbst wenn es gelingt, hört der Terror dann oft nicht auf. Gewalttätige Partner oder Ex-Partner schrecken nicht selten davor zurück, die Betroffene zu stalken, ihren neuen Wohnort ausfindig zu machen und sie dort weiterhin zu bedrohen. Die Adressen der Frauenhäuser sind daher geheim – sie sind nur telefonisch erreichbar.

    In Frauenhäusern unterstützen die Mitarbeiterinnen hilfesuchende Frauen in verschiedensten Belangen. Sie helfen bei der Job- und Wohnungssuche, bei Arztbesuchen und Behördengängen und, falls notwendig, auch rechtlich. Ziel ist vor allem die Sicherung der eigenen Existenz und ein dauerhaftes Entkommen aus der Gewaltspirale.

    Verschärfend kommt zu alledem: Knapp zwei Drittel der 2022 im Frauenhaus lebenden Frauen hatten Kinder unter 18 Jahren und lebten mit diesen gemeinsam im Frauenhaus. Es reicht für sie also nicht, lediglich einen Job und eine Wohnung zu finden. Zusätzlich dazu muss sich der überwiegende Großteil der hilfesuchenden Frauen um den Schutz der eigenen Kinder kümmern. Das alles allein zu stemmen ist für Frauen, die möglicherweise über längere Zeit hinweg vom gewalttätigen Partner von der Außenwelt isoliert wurden, was meist zusätzlich mit häuslicher Gewalt einhergeht, fast unmöglich.

    Was macht die Regierung?

    Im Jahr 2006 wurde vom Europarat eine Empfehlung ausgesprochen, die besagt, dass es pro 7.500 Einwohnern mindestens ein Frauenhausz geben sollte. Am 1. Februar 2018 trat die “Istanbul-Konvention” des Europarats in Kraft, mit der Deutschland sich verpflichtete, Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen und den Schutz für Frauen und Mädchen zu verbessern. Bereits in ihrem Koalitionsvertrag hatten SPD, Grüne und FDP im Jahr 2021 u.a. einen bedarfsgerechten Ausbau des Hilfesystems und eine Beteiligung des Bundes an der Regelfinanzierung angekündigt.

    Aktuell gibt es immer noch kein bundesweites Finanzierungssystem für Frauenhäuser. Die Finanzierung ist von Land zu Land und teilweise sogar von Kommune zu Kommune unterschiedlich, in manchen Frauenhäusern müssen die Frauen ihren Platz gar selbst bezahlen. Zwar wurde 2021 von der Regierung angekündigt, dass ein bundesweites einheitliches Finanzierungskonzept erstellt werden soll – passiert ist bisher aber nichts. Überhaupt hat sich trotz mehrfacher Versprechen und Ankündigungen der Regierung nicht sonderlich viel verbessert, wenn es um Hilfe für Opfer von häuslicher Gewalt und Gewalt im Allgemeinen geht.

    Aktuelle Situation in Frauenhäusern

    Bundesweit fehlen in den Frauenhäusern also mehrere tausend Plätze. Bezogen auf die Empfehlungen des Europarats sind es bundesweit etwa 3.500 Plätze. Das bedeutet, dass es in Deutschland z.Zt. über ein Drittel weniger Plätze gibt, als es das empfohlene Minimum vorsieht. Ganz abgesehen davon sollte man hinterfragen, ob nicht schon die Empfehlung des Europarats ohnehin zu niedrig angesetzt ist.

    Das gilt umso mehr in von Krisen geprägten Jahren – wofür die Situation während der Corona-Pandemie sehr exemplarisch ist. Überhaupt steigt häusliche Gewalt in prekären Zeiten immer an, weswegen damit zu rechnen ist, dass die Gewalt gegen Frauen in den nächsten Jahren nicht weniger wird. Im Gegenteil: die Dringlichkeit, weit mehr sichere und leicht erreichbare Unterkünfte für Frauen zu schaffen, wird weiter zunehmen.

    Gleichzeitig sehen wir aber die Kürzungen für Soziales im Haushalt der Bundesregierung und die weiter steigenden Budgets für beispielsweise das Militär. Schon jetzt müssen verschiedenste soziale Einrichtungen geschlossen werden – die Krise von Unterbesetzung bei geringen Löhnen während eines steigenden Arbeitspensums in sozialen Berufen spitzt sich weiter zu. Und Frauenhäuser gehören leider einer zu den Orten, an denen sich diese Krise besonders stark zeigt. Denn obwohl die Aufnahme in ein Frauenhaus die einzig realistische Chance für viele Frauen darstellen könnte, der Gewalt zu entrinnen, müssen bundesweit tausende Frauen abgewiesen werden.

    Natürlich schlägt sich die Krise auch auf die Beschäftigten der Schutzeinrichtungen nieder. Bei der konstanten Überfüllung schaffen es die Arbeiterinnen einfach nicht, die im Frauenhaus lebenden Frauen so zeitintensiv und begleitend zu unterstützen, wie sie es gerne würden. Dabei ist die Arbeit in Frauenhäusern ohnehin sehr belastend. Werden die Arbeitsbedingungen noch prekärer, wird sich das auch in der Qualität der Hilfeleistung widerspiegeln. Hinzu kommen die sowieso schon bestehenden finanziellen Probleme der Einrichtungen, besonders durch den aktuell beispiellosen Abbau des Sozialstaats.

    Fazit

    Zusammengefasst sehen wir, dass die Versprechen der Regierung nur leere Worte sind. Nichts wird ernsthaft unternommen, um die alltägliche Gewalt gegen Frauen effektiv und verlässlich zu bekämpfen. Patriarchale Gewalt hat im Kapitalismus System, was sich nicht zuletzt an den Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf die Situation von Frauen zeigt. Frauen mit Gewalterfahrungen bekommen bei den Behörden oft keine Hilfe, wobei sich sowieso nur ein sehr kleiner Teil der Betroffenen sich überhaupt an die Behörden wendet.

    Frauenhäuser sind für viele Frauen die einzige Möglichkeit, der Gewalt und Isolation, die sie zuhause tagtäglich erleben, zu entfliehen. Frauenhäuser haben daher eine immense Bedeutung. Sie sind Teil eines existenziellen Auffangnetzes und sind für tausende Frauen oft die einzige Chance auf ein neues Leben. Deshalb ist es wichtig, die haltlosen Versprechen der Politiker:innen immer wieder als solche zu entlarven und um jedes einzelne Frauenhaus zu kämpfen.

    Mehr lesen

    Perspektive Online
    direkt auf dein Handy!

    Weitere News