Etwa 10.000 Bäuer:innen protestierten in Berlin gegen einen Teil der Sparpläne der Regierung. Die Politik und Greenpeace halten gemeinsam dagegen. Dabei haben noch größere Bauernproteste in den letzten Jahren immer wieder gezeigt, wie real der Existenzkampf vieler landwirtschaftlicher Betriebe ist.
Der deutsche Bauernverband hat mit einer großen Aktion in Berlin einen ersten Vorstoß gegen einen Teil der von der Bundesregierung beschlossenen Sparmaßnahmen im Bundeshaushalt 2024 organisiert.
Nach Angaben der Veranstalter:innen haben sich am 18. Dezember bis zu 10.000 Menschen in Berlin versammelt, um gegen den Wegfall der Steuerrückerstattung für Diesel-Treibstoff und Fahrzeuge, die in der Landwirtschaft verwendet werden zu protestieren. Über 3.000 Traktoren wurden von den Landwirt:innen dafür in die Hauptstadt gefahren.
Nach übereinstimmenden Angaben der Bundesregierung und des Bauernverbandes geht es insgesamt um circa eine Milliarde Euro jährlich, die die Bundesregierung so nach dem niederschmetternden Verfassungsgerichtsurteil aus dem November 2023 einsparen will.
Die Bauernschaft ist keine homogene Masse
Die Bauernschaft in Deutschland ist dabei nicht homogen. Da es in den letzten Jahrzehnten bereits zu einem massiven Sterben von landwirtschaftlichen Betrieben gekommen ist, nimmt zugleich das Gewicht der Großbauern stetig zu, da sich diese noch am ehesten unter den modernen kapitalistischen Bedingungen behaupten können. Dem ständigen Druck der Agrarkonzerne und der Lebensmittelgroßhändler, die Abnahmepreise für landwirtschaftliche Produkte so tief wie möglich zu drücken, können sie am besten standhalten und sich dagegen zur Wehr setzen.
Die in verschiedenen Teilen des Landes immer noch vorhandenen kleine und mittleren Bauernbetriebe jedoch sind seit Jahren dauerhaft in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht, und nicht Wenige geben ihre Höfe als eigenständige Betriebe tatsächlich auf.
Dieser Unterschied spiegelt sich auch in den Reaktionen der Bäuer:innen auf die Kürzungspläne der Bundesregierung wider: Die Pressemitteilung des Präsidenten im Deutschen Bauernverband, Joachim Rukwied, stellt die gefährdete Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Landwirtschaft im europäischen Vergleich in den Vordergrund und schlägt damit einen ähnlichen Tonfall an wie viele andere große Kapitalist:innen, wenn sie mehr Geld von der Regierung fordern.
Einzelne Landesgliederungen der Bewegung Land schafft Verbindung, die vor allem 2019 vor der Corona-Pandemie mit zum Teil sehr großen Protesten mit bis zu 40.000 Personen für Aufsehen gesorgt hatte, betonen hingegen die nackte Existenzangst vieler kleinerer landwirtschaftlicher Betriebe. So heißt es bei Land schafft Verbindung Baden-Württemberg beispielsweise: „Es kristallisiert sich immer mehr heraus, dass mehr und mehr Fördermöglichkeiten gestrichen werden und wir kaum noch Spielraum haben, unsere Existenzen zu sichern und unsere Familien zu ernähren, indem wir einfach nur unseren Beruf ausüben.“
Die Initiative bekräftigt unter anderem auch die Forderung nach einem „Verkaufsverbot unter Produktionskosten“, was zum Ausdruck bringt, wie hart der Preiskampf um landwirtschaftliche Produkte zum Teil geführt wird.
Politik spielt auf Zeit
Auch wenn sich also in der Bauernbewegung größere und kleinere kapitalistische Unternehmer:innen in der Landwirtschaft mit den letzten Resten von echten Mittel- und Kleinbauern mischen: Die Wut auf die Bundesregierung war am Montag deutlich zu spüren.
Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) spielte das Unschuldslamm und behauptete, dass er auch gegen die Sparpläne seiner eigenen Regierung sei und dafür „kämpfen“ werde, dass diese so nicht umgesetzt werden würden. Die Demonstrant:innen quittierten dieses „Versprechen“ mit „Hau ab“-Rufen und der Forderung nach Neuwahlen.
Sein Parteifreund und Wirtschaftsminister Robert Habeck ließ sich zu solchen Äußerungen nicht hinreißen. Er forderte indirekt von seinem Kollegen, er möge alternative Sparmaßnahmen vorschlagen, wenn er die Einsparungen bei der Landwirtschaft verhindern wolle.
Umweltschutz vs. Landwirtschaft?!
Auch ein Sprecher der Umweltorganisation Greenpeace schien sich berufen zu fühlen, der Bundesregierung zur Seite zu springen. So erklärte Landwirtschaftsexperte Martin Hofstetter für den Verein: „Bei allem Verständnis für die Bauern und Bäuerinnen – Agrar-Diesel staatlich zu verbilligen, ist teuer, klimaschädlich und gehört abgeschafft.”
Es ist also mal wieder ein Umweltverband, der die Politik der Regierung deutlicher verteidigt, als sie sich selbst. Zum wiederholten Male werden damit kleinere bäuerliche Betriebe, die um ihre Existenz kämpfen, gegen das Ziel des Umweltschutzes ausgespielt.
Vor allem werden aber in diesem Statement zahlreiche Fragen offen gelassen: Erstens, was beim heutigen technologischen Entwicklungsstand eine „umweltfreundliche“ Alternative zur Landwirtschaft mit Diesel-Traktoren in Deutschland sein soll. Zweitens die Frage, wer von den in der Tat rekordverdächtigen Lebensmittelpreisen profitiert. In erster Linie handelt es sich hierbei nämlich um die Agrarindustrie, sowie den Lebensmittel-Groß- und -Einzelhandel, nicht aber um die kleinen und mittleren Landwirtschaftsbetriebe.