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Montag, Oktober 7, 2024
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    Patriarchat im Netz: Über Hetzkampagnen auf X und Frauenhass auf Twitch

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    Verharmlosung patriarchaler Gewalt, sexistische Kommentare und Cybermobbing: Gegen die linke Streamerin Shurjoka wird schon seit Monaten eine ekelerregende Hetzkampagne im Internet ausgetragen. Bekannte Größen der deutschen Streaming-Landschaft nehmen dabei eine führende Rolle ein. Erneut gerät eine männlich dominierte und zutiefst besorgniserregende Community ins Licht der Öffentlichkeit. – Ein Kommentar von Konstantin Jung

    Ein kurzer Blick auf YouTube, Twitch und Co. reicht, um festzustellen: Frauen sind im Gaming, ob professionell oder amateurhaft, stark unterrepräsentiert. Ein Umstand, der sich nicht zuletzt auch beim Streamen von Videospielen bemerkbar macht. Immer wieder sind Streamerinnen von sexistischer Diskriminierung betroffen. Diese Erfahrungen haben sich teils aber schon so stark normalisiert, dass sie kaum an die Öffentlichkeit geraten. 2018 sollte mit dem Hashtag #GamerLeaksDE das systemische Problem erstmals sichtbar gemacht werden – bis Trolle diesen mit weiteren Beleidigungen für sich vereinnahmten.

    Derzeit erregt besonders der Shitstorm gegen die linke Streamerin Shurjoka viel Aufmerksamkeit im Netz: Pia Scholz, wie sie mit bürgerlichem Namen heißt, versteht sich dabei selbst als politische Aktivistin im Internet und streamt sich dazu auch beim Videospielen auf Twitch. Anfang des Jahres kritisierte sie im Rahmen der Veröffentlichung des Spiels „Hogwarts Legacy“ die transfeindlichen Äußerungen der „Harry Potter“-Schöpferin J.K. Rowling scharf. Daraufhin wurde ihr vorgeworfen, anderen Spieler:innen „wokeness“ aufzwingen zu wollen und darüber hinaus die Gaming-Welt krampfhaft mit Politik zu vermengen.

    Über die letzten Monate hörte dies nicht auf – viel eher verschlimmerte sich die Lage: immer bekanntere Namen aus der deutschen Streaming-Szene reihten sich in die Hetze ein und stellten Shurjoka bloß.

    Reaktionäre Hetze und Misogynie Hand in Hand

    So zum Beispiel der Streamer “MontanaBlack”, seinerseits größter deutschsprachiger Gaming-Livestreamer mit Millionen von Zuschauer:innen. Zu den “VideoDays Award Gala” vergangenen September war Shurjoka nominiert in der Kategorie „Gaming“. Das nahm er zum Anlass, die zahlreichen in seinem Kopf herum schwirrenden reaktionären sowie misogynen (dt. frauenfeindlichen) Schlagwörter und Gedankenfetzen vor laufender Kamera einfach mal rauszulassen. Dass Shurjoka unter den Nominierten sei, widere ihn an. Für ihn sei es ein Beweis für den „links-versifften“ Zustand der heutigen Gaming-Szene. Die „ganzen Heuchler“ aus der „linken Bubble“ seien für ihn „Hurensöhne“.

    Er selbst hängt währenddessen mit strammen Faschist:innen ab und zeigt keine Berührungsängste mit der entsprechenden Ideologie. Dabei ist es ihm auch „scheißegal, ob [er] dafür gecancelt“ wird – Teil seiner Masche ist es, grenzüberschreitende Kommentare dann einfach als Witz oder satirische Äußerung darzustellen.

    So auch, nachdem er erneut massivst gegen Scholz gehetzt hatte: im Stream habe er „aus Spaß“ gesagt, sie solle doch bitte „auf die Knie gehen“ und „sich entschuldigen“. Damit macht er sich dann auch immun gegen jegliche Kritik, ganz nach dem Motto: „Frauen und Linke verstehen einfach keinen Spaß“. Seine treuesten Fans aber anscheinend schon, sie folgen ihrem großen Vorbild blind und führen die Hetze in der Kommentarspalte unter Shurjokas Videos fort.

    Letztlich wird ganz klar, worum sich die gesamte Auseinandersetzung eigentlich dreht: Es geht gar nicht um vermeintliche Aussagen von irgendwelchen Streamer:innen oder erst recht nicht um irgendeine Art von politischem Diskurs. Der Hass der Streamer und der ganzen anonymen Internetprofile ist frauenfeindlich und richtet sich gegen Shurjoka als Frau – als Streamerin, die ihre Stimme auch gegen patriarchale Machtstrukturen erhebt.

    Keine Konsequenz für patriarchale Gewalt

    Doch das Schlimmste an der Sache ist eigentlich, dass die Lautesten in dieser Debatte mit ihrer digitalen – und das muss man genau so benennen – Gewaltausübung unbestraft davonkommen. Das beweist am Ende auch Tim Heldt, der im Internet als KuchenTV bekannt ist und ebenso regelmäßig streamt.

    Er macht aus seinem Frauenhass gar keinen Hehl und behauptet auf X, er würde Shurjokas „Tränen“ als sein „Gleitgel“ benutzen. Anschließend sitzt er im Stream und macht mit weiteren Männern ein Trinkspiel aus Shurjokas Reaktionsvideos. Kein Novum für Heldt, der bereits in der Vergangenheit sexistische „Witze“ über sexualisierte Gewalt machte.

    Erst vor zwei Jahren hatte er zugegeben, seine Freundin geschlagen zu haben – es folgte ein Erklär-Video mitsamt manipulativer Inszenierung und ablenkenden Floskeln über seinen YouTube-Kanal KuchenTV.  Und erst vor kurzem benutzte er für eines seiner Videos ein Bild, auf dem Shurjoka mit gezeichneten Hämatomen an den Augen zu sehen ist. Sein Versprechen, sich mehr gegen Gewalt an Frauen einzusetzen, hält er offensichtlich nicht.

    Vor diesem Hintergrund ist es fast schon zynisch, nur von “Cybermobbing” zu sprechen. Viel eher stellt dieser Diskurs der letzten Wochen eine Zementierung von patriarchaler Macht dar, mitsamt Übergriffigkeit und Gewalt(-Androhungen) in allen Facetten. Und damit ist der Fall um Pia Scholz noch lange kein Einzelfall in der eigentlich so kurzen Geschichte des Internets.

    Vom Troll zum Incel

    Besonders Frauen und trans Personen geraten zunehmend ins Visier derartiger Hetzkampagnen. Ein Umstand, der nicht zuletzt auch messbar ist: Eine Studie aus dem vergangenen Jahr kommt zu dem Schluss, dass etwa 77% aller befragten weiblichen Personen schon einmal geschlechtsspezifische Diskriminierung in Online-Videospielen erlebt haben.

    Mehr noch: Auf Streaming-Plattformen wie Twitch Aufklärung über politische Themen und soziale Missstände zu betreiben, bedeutet nahezu automatisch, auch mit Hass und Hetze konfrontiert zu werden. Stimmen der rechten Gaming-Community im Internet sind dabei logischerweise besonders laut. Sie verbreiten Falschbehauptungen, veröffentlichen private Informationen der Betroffenen (sogenanntes “Doxing”) oder drohen sogar direkte Gewalt an. Doch ob es nun das Raushauen von Stammtischparolen der „Neuen Rechten“ oder die Sexualisierung des weiblichen Körpers ist – all diese Vorfälle haben System.

    Das bewies nicht zuletzt die sogenannte “GamerGate-Kontroverse” aus dem Jahr 2014: Ausgelöst durch Debatten über Sexismus in der Videospielbranche entwickelte sich eine regelrechte Lawine an digitaler patriarchaler Gewalt und Belästigung, die sich vor allem gegen feministische sowie queere Spieleentwickler:innen und Internetpersönlichkeiten richtete. Hier kam es erstmals im großen Stil zu Doxing, dazu gehörten auch Vergewaltigungs- und Morddrohungen.

    Das veraltete Bild des einfachen „Internet-Trolls“ mit PC im Kinderzimmer musste über Bord geworfen werden. Viel eher bemerkte man: Hier handelt es sich um junge Männer mit oft schwach ausgeprägtem sozialem Umfeld, die sich im Internet ganze Ideologien ausdenken, zusammengekleistert aus extrem rechten Versatzstücken und geballtem Frauenhass. Eine Ideologie, die nicht zuletzt – ausgeübt von sogenannten “Incels” – sogar in zahlreichen Amokläufen ihren blutigen Höhepunkt gefunden hat.

    Patriarchale Gewalt konsequent bekämpfen!

    Das Internet ist also heutzutage ein Ort, an dem patriarchale Strukturen sowie faschistisches Gedankengut besonders gut entstehen, genährt und reifen können. Weitestgehend ungestört: große Aufschreie bleiben meist aus, und auch Streaming-Unternehmen wie Twitch handeln nicht. Können sie auch gar nicht, schließlich verdienen derartige Konzerne an sexistischen Streamern und patriarchaler Kultur im Allgemeinen Summen im Millionenbereich.

    Rammstein: Bei patriarchaler Gewalt können wir uns auf den Staat nicht verlassen!

    Erneut wird offensichtlich: Patriarchat und Kapitalismus sind eng verwoben. Dementsprechend muss auch ihre Bekämpfung aussehen! Auf den deutschen Staat oder die Klassenjustiz ist dabei am Ende kein Verlass – wie die Causa Lindemann zugänglich bewiesen hat.

    Hierfür ist es unerlässlich, unter Betroffenen und allen vom Patriarchat unterdrückten Menschen eine gelebte Solidarität zu zeigen. Und diese muss natürlich auch Betroffenen wie Shurjoka gelten. Außerdem muss patriarchaler Gewalt und schon ihrer Androhung konsequent entgegen getreten werden: ob in der realen Welt oder im Netz!

    • Seit 2022 politisch aktiv in Sachsen. Schreibt am liebsten über Antifa und Kultur im Kapitalismus. "Es gibt kein anderes Mittel, den Schwankenden zu helfen, als daß man aufhört, selbst zu schwanken."

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