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Sonntag, April 28, 2024
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    19 Jahre Mord an Oury Jalloh: Der Kampf für Gerechtigkeit geht weiter

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    Vor 19 Jahren wurde Oury Jalloh von Dessauer Polizist:innen in seiner Zelle misshandelt und verbrannt. Zum Jahrestag demonstrierten am Sonntag 1.300 Menschen in Dessau für die Aufklärung des Polizeimordes. Am Vorabend des 19. Jahrestags war wieder ein 26-jähriger Mann während eines Polizeieinsatzes in Mülheim ums Leben gekommen. Die Parallelen zwischen beiden Fällen zeigen die Kontinuität rechter und rassistischer Gewalt in der BRD. – Ein Kommentar von Nick Svinets.

    Im sachsen-anhaltischen Dessau versammelten sich am Sonntagnachmittag rund 1.300 Menschen, um des ermordeten Oury Jalloh zu gedenken. Der Demonstrationszug lief zuerst die lokale Staatsanwaltschaft an, wo Feuerzeuge als Symbol für die mutmaßliche Todesursache Oury Jallohs niedergelegt wurden. Weitere Ziele waren das Landgericht, das städtische Rathaus und zuletzt das Polizeirevier, in dem der damals 35-Jährige brutal ermordet wurde.

    An der Demonstration beteiligten sich verschiedene Initiativen und antifaschistische und sozialistische Organisationen. Auf der Gedenkveranstaltung wurde außerdem weiterer Opfer rassistischer Polizeigewalt gedacht, wie beispielsweise Laye-Alama Condé. Der ebenfalls 35-Jährige wurde in Bremen am selben Tag wie Oury Jalloh im Rahmen eines Brechmitteleinsatzes getötet.

    Familie kämpft weiter für Aufklärung und Gerechtigkeit

    Am 7. Januar 2005 wurde Oury Jalloh von der Polizei festgenommen, in Zelle 5 des Polizeireviers Dessau-Roßlau gefesselt, misshandelt, letztlich mit Brandbeschleuniger übergossen und verbrannt. Der grausame Polizeimord reiht sich ein in eine Geschichte rechter und rassistischer Gewalt in der BRD.

    Der Umkreis des sierra-leonischen Familienvaters kämpft gemeinsam mit der Initiative Oury Jalloh und Unterstützer:innen seit nun 19 Jahren für Gerechtigkeit und Aufklärung. Der deutsche Staat und seine Behörden vertuschen den Mord und inszenieren ihn seit jeher als Selbstentzündung: demnach soll sich der an Händen und Füßen gefesselte Oury Jalloh in der Zelle mit einem Feuerzeug angezündet haben.

    Die Version der Polizei und Staatsanwaltschaft konnte jedoch durch einen langwierigen Kampf der Initiative Oury Jalloh widerlegt werden. So wurde 2021 auf einer Pressekonferenz der Initiative ein durch sie finanziertes Brandgutachten des britischen Sachverständigen Iain Peck vorgestellt. Das Gutachten beweist, dass das Brandbild am Tatort nicht ohne Brandbeschleuniger hätte entstehen können. Demnach widerspricht das Gutachten der Behauptung der Behörden.

    Neues forensisches Gutachten zu Oury Jalloh – das war Mord!

    Die Widersprüche und Ungerechtigkeiten sind der Hauptgrund für die Familie, auf verschiedensten rechtlichen Ebenen dagegen vorzugehen – bisher jedoch erfolglos. Die Ermittlungen wurden 2017 eingestellt, und auch das Bundesverfassungsgericht bestätigte die Einstellung. Ebenfalls die Verfassungsbeschwerde des Bruders Mamadou Saliou Diallo vom 23. Februar 2023 lehnte das Gericht öffentlich ab. Doch Familie, Initiative und Unterstützende geben auch nach 19 Jahren nicht auf.

    Im Juli 2023 machte Mamadou Saliou Diallo deshalb gegen die Bundesrepublik Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Verstöße gegen Artikel 2, 3, 5 und 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention geltend. Auf das Urteil des EGMR müssen Angehörige und Unterstützer:innen jedoch noch lange warten. Internationale Expert:innen unterstützen die Bestrebungen der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh und setzen sich ebenfalls für die Aufklärung des Polizeimords ein.

    Was bleibt, sind Solidarität und Widerstand, die seit fast zwei Dekaden jährlich in Dessau auf den Straßen gezeigt werden. Es wird gekämpft für eine Gesellschaft, in der Rassismus, rechte Hetze und Polizeigewalt keinen Platz haben – für eine Gesellschaft, in der Oury Jalloh noch leben würde und mit seiner Familie und Freund:innen vereint wäre.

    Polizeigewalt und rassistische Hetze nehmen zu

    Der rassistische Diskurs rund um das Thema Migration kochte zum Jahreswechsel wieder besonders hoch. Im vergangenen Jahr führte die politische und mediale Landschaft eine beispiellose Silvester-Debatte, die an Hass und Rassismus kaum zu überbieten war. Nun, Ende 2023, entflammte dieselbe Diskussion erneut. Zusätzlich angeheizt wurde sie von der ideologisch rechten Mär eines “importierten Antisemitismus”, die besonders seit dem 7. Oktober 2023 aufgegriffen wurde.

    Der Diskurs gipfelte schlussendlich darin, dass migrantisch geprägte Viertel wie z.B. der Berliner Bezirk Neukölln von der Polizei nahezu belagert wurden. Dieser Belagerungszustand führte jedoch zu nicht mehr Sicherheit, sondern zu noch mehr Polizeigewalt gegenüber Migrant:innen. Die rassistische Politik und Kriminalisierung eben dieser Teile der Gesellschaft nimmt stetig zu und fordert neue Opfer. Auch die verschärfte Asylpolitik und weitere Abschottung der „Festung Europa“ werden durch die rassistischen Diskussionen rechtfertigt. Allein im vergangenen Jahr mussten infolgedessen wieder über 2.500 Menschen auf dem Mittelmeer ertrinken.

    Einigkeit beim radikalen Abbau von Asylrechten in Europa und Deutschland

    Mutmaßlicher Polizeimord in Mülheim am 6. Januar 2024

    Einen Tag vor dem 19. Jahrestag der Ermordung Oury Jallohs wurde in Mülheim ein 26-jähriger Mann bei einem Polizeieinsatz so schwer verletzt, dass er seinen Verletzungen im Krankenhaus erlag. Er wurde von der Essener Polizei malträtiert, nachdem er randaliert und Polizist:innen verletzt haben soll. Man habe versucht, ihn mit einem Taser ruhigzustellen, was vergeblich war. Der Polizeieinsatz am Samstagabend endete für den aus Guinea geflüchteten Mann tödlich.

    Über die Verletzungen bzw. den Zustand der Person wird in der Polizeimitteilung nicht gesprochen. Die Details werden aus ermittlungstaktischen Gründen bewusst zurückgehalten. So wie in anderen Fällen von Tötungen durch die Polizei ermittelt nun eine andere Polizeistelle (Bochum) als ‘neutrale’ Überprüfungsinstanz. Dass diese Ermittlungen regelmäßig ins Leere führen, sieht man sowohl im Fall Oury Jallohs, als auch in vielen anderen.

    Rassistische Polizeigewalt hat System

    Beide Polizeimorde – unabhängig davon, dass fast 20 Jahre dazwischen liegen – haben denselben politischen Ursprung: einen deutschen Staatsapparat, der seine Polizei auf Arbeiter:innen und migrantische Menschen hetzt, während Nazistrukturen vom Verfassungsschutz gestützt, gefördert bzw. nicht bekämpft werden. All das – so muss geschlossen werden – geschieht, um die kapitalistische Ordnung mit aller Macht aufrechtzuerhalten und die Arbeiter:innenklasse durch rechte Hetze zu spalten.

    Die Kontinuität rechter und rassistischer Gewalt aufzudecken und zu problematisieren, ist keine Selbstverständlichkeit und nur durch die unerbittliche Arbeit von Bewegungen wie der Initiative Oury Jalloh möglich.

    • Perspektive-Autor seit 2024 und Politikwissenschaftsstudent mit Fokus auf Westasien & Sahelzone, Migration, Antirassismus, Antimilitarismus und internationale Klassenkämpfe.

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