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Montag, April 29, 2024
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    Wirtschaftskrise: Explodiert die Zahl der Firmenpleiten?

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    Im neuen Jahr könnte die Zahl der Firmeninsolvenzen in Deutschland dramatisch steigen. Beobachter:innen aus verschiedenen Branchen rechnen mit einer Steigerung von bis zu 30 Prozent. Bereits 2023 war die Zahl der Konkurse um 26 Prozent gestiegen. Immer mehr Firmen droht zudem das endgültige Aus. Die Auswirkungen der Krise führen zu einer weiteren Konzentration und Zentralisierung von Kapital.

    Die Zahl der Firmeninsolvenzen in Deutschland steigt rapide an. Bereits im vergangenen Jahr haben knapp 15.000 Unternehmen Insolvenz angemeldet und damit 26% mehr als in 2022. Für das kommende Jahr rechnen Expert:innen aus verschiedenen Wirtschaftszweigen laut Recherchen des Handelsblatts mit einem weiteren Anstieg von bis zu 30%. Erst in den letzten Wochen hatte es das Signa-Imperium vom Immobilien-Tycoon René Benko mit seinem Absturz in die Schlagzeilen gebracht. Ebenso kam das Aus der Supermarktkette REAL, deren Filialen nun alle geschlossen werden.

    Effekte aus zwei Wirtschaftskrisen

    Beim aktuellen Anstieg der Insolvenzen überlagern sich die Effekte der letzten beiden Wirtschaftskrisen. Die letzte Überproduktionskrise von 2018/19 war durch die Corona-Pandemie massiv verschärft worden. Im Frühjahr 2020 beschloss die damalige Bundesregierung deshalb die Aussetzung der Insolvenzpflicht für angeschlagene Unternehmen. Diese galt bis April 2021. Bis heute gibt es deshalb sogenannte Nachhol-Effekte: Nämlich durch Firmen, die während Corona ins Straucheln geraten waren, dies aber nicht anzeigen mussten, sich mit Hilfsgeldern dann vielleicht noch einige Zeit über Wasser halten konnten, jetzt aber in die Pleite rutschen. Dabei dürfte auch eine Rolle spielen, dass der deutsche Kapitalismus nach der Pandemie keine wirkliche Aufschwungphase durchlaufen hat — denn diese wurde durch unterbrochene Lieferketten, den Ukraine-Krieg und die anschließende Energiekrise abgewürgt.

    Wohnungsnot: Wirtschaftskrise lässt Bautätigkeit einbrechen

    Immobilien- und Baubranche besonders betroffen

    Hinzu kommen die Auswirkungen der aktuellen Krise. Seit dem vergangenen Jahr ist zum Beispiel die Immobilien- und Bauwirtschaft massiv ins Straucheln geraten und hat die schon seit Jahren schwelende, durch eine lange Niedrigzinsphase befeuerte Überproduktion auf dem Häusermarkt offengelegt. Die Zahl der Baugenehmigungen in Deutschland ist im vergangenen September im Vergleich zum Vorjahr um knapp 30% eingebrochen. Die Unternehmensberatung Falkensteg zählte im Jahr 2023 insgesamt 80% mehr Insolvenzen im Gebäudebereich.

    Der Höhepunkt der Baukrise steht uns laut der Einschätzungen von Immobilienfinanzierern aber noch bevor und dürfte in diesem Jahr erreicht werden. Dies birgt auch hohe Risiken für deutsche Banken und Sparkassen, bei denen private Immobiliendarlehen über 40% des Kreditgeschäfts ausmachen. Momentan scheinen viele Banken daher bereit zu sein, Kredite angeschlagener Baufirmen noch einmal zu verlängern, wobei sie auf eine Erholung des Marktes setzen.

    Neben der Bauwirtschaft rechnen Marktbeobachter:innen insbesondere für die Modebranche, Autozulieferer und das Gesundheitswesen mit einem heftigen Anstieg der Insolvenzen. 2023 habe es laut Falkensteg 38 Großinsolvenzen von Krankenhausbetreibern, Sozialstationen oder Pflegediensten gegeben. Und die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) rechnet damit, dass 2024 so viele Kliniken in die Zahlungsunfähigkeit rutschen wie nie zuvor.

    Vielen Firmen droht das endgültige Aus

    Auch die Zahl der Firmen, die im Rahmen eines Insolvenzverfahrens nicht erhalten bleiben, sondern zerschlagen werden, könnte sich in diesem Jahr noch einmal steigern. Von den Firmen, die 2022 zahlungsunfähig geworden waren, konnten laut Falkensteg bis Ende 2023 nur 52% gerettet werden. Zwei Jahre zuvor lag diese Zahl noch bei rund 62%.

    Insgesamt führt die steigende Anzahl von Insolvenzen und Firmenpleiten zu einer weiteren Konzentration und Zentralisierung von Kapital — laut einem Manager im “Merger and Acquisition (M&A)”- Geschäft der Commerzbank, das auch Firmenübernahmen beinhaltet, würden Notverkäufe im Jahr 2024 ein Treiber für Fusionen und Übernahmen werden. Das bedeutet nicht nur eine wachsende wirtschaftliche Macht für die Unternehmen, die ihre insolventen Konkurrenten am Ende aufkaufen, sondern auch hohe Gewinne für Beteiligungsfonds und Risikofinanzierer.

    Die Insolvenzzahlen in Deutschland liegen laut dem Kreditversicherer Allianz Trade über dem weltweiten Durchschnitt, was zu der Beschreibung passt, dass der deutsche Kapitalismus von der aktuellen Wirtschaftskrise besonders hart getroffen werde. Gleichzeitig handelt es sich bei der gegenwärtigen Entwicklung auch um eine Normalisierung des Insolvenzgeschehens. Die Pleiten waren durch die extrem lange Phase niedriger Zinsen und staatlicher Rettungspakete nach der Weltwirtschaftskrise von 2008/09 künstlich niedrig gehalten worden. Während der 2000er und 2010er Jahre gab es jährlich häufig zwischen 30.000 und 40.000 Firmeninsolvenzen.

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