Die israelische Armee steht unmittelbar vor einer weiteren Bodenoffensive, dieses Mal in der palästinensischen Stadt Rafah, ganz im Süden des Gaza-Streifens. Der Angriff auf dieses von Hunderttausenden palästinensischen Geflüchteten bewohnte Gebiet gehört zu Netanjahus Plan, den palästinensischen Widerstand vollständig zu zerschlagen.
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat erneut bekräftigt, im Krieg gegen den palästinensischen Widerstand einen „totalen Sieg“ erringen zu wollen. Netanjahu wiederholte in diesem Zusammenhang sein Credo, dass zur Befreiung der rund 100 noch immer unter Gewalt der Hamas stehenden israelischen Geiseln ein anhaltender militärischer Druck nötig sei. Unter der Woche hatte die Netanjahu-Regierung einen Vorschlag der Hamas für einen längeren Waffenstillstand und einen vollständigen Gefangenenaustausch zurückgewiesen.
Statt eines Waffenstillstands verkündete Netanjahu nun eine weitere Offensive im Gaza-Streifen. Das Ziel dieses Mal ist die Stadt Rafah im Süden von Gaza-Stadt und Khan Younis an der Grenze zu Ägypten. Nach Rafah flüchteten seit Beginn des Krieges mindestens mehrere hunderttausend Palästinenser:innen – zunächst gar auf dringenden Rat von Netanyahu selbst.
Zum Teil gehen Beobachter:innen sogar davon aus, dass über 1 Million Palästinenser:innen aus dem nördlichen Gaza-Streifen seit dem Beginn der israelischen Angriffe auf die palästinensische Zivilbevölkerung im Oktober nach Rafah gekommen seien. Bei der bevorstehenden weiteren Offensive der israelischen Armee nimmt die Netanjahu-Regierung mindestens den Tod weiterer tausender Palästinenser:innen und schlimmste humanitäre Notlagen in Kauf.
Die USA wollen endlich wieder Ruhe in Westasien
Die US-Regierung zeigt sich anlässlich der Pläne von Netanjahu besorgt. US-Präsident Biden kritisierte öffentlich das überzogene israelische Vorgehen im Krieg gegen die Palästinenser:innen. Außenminister Blinken formulierte deutlicher, dass die Zahlen der durch die israelische Armee getöteten palästinensischen Zivilist:innen weiterhin „zu hoch“ seien.
Blinken äußerte ebenfalls, dass der Angriff der Hamas auf Israel kein Freifahrtschein sei, die Palästinenser:innen „zu entmenschlichen“. Zwar scheinen echte Konsequenzen seitens der USA für das verbündete Israel unwahrscheinlich. In der Geschichte der US-amerikanischen und israelischen Beziehung gab es jedoch immer wieder Phasen, in denen die USA groß-israelischen Interessen und ungezügeltem Eroberungsdrang durch Entsagung der Rückendeckung Einhalt geboten haben. Weil die eigenen imperialistischen Interessen in der Region gefährdet waren, zwang die US-Regierung beispielsweise 1956 während des Suez-Kriegs die weit ins ägyptische Kernland vorgestoßene israelische Armee zum Rückzug.
Auch gegenwärtig streben die USA vor allem wieder die Einkehr einer relativen Ruhe in der Region an. Zwar kämpft die US-Armee in kleineren Scharmützeln weiter mit den Huthis im Jemen, außerdem mit irakischen und syrischen Milizen. Insgesamt jedoch besteht das Hauptinteresse der USA momentan weiterhin im Vermeiden einer Eskalation mit Blick auf den Konflikt mit dem Iran. Auch sollen die wirtschaftlichen Interessen der US-amerikanischen Konzerne durch die Sicherung des Seewegs durch das Rote Meer und den Suez-Kanal gewahrt werden.
Ein palästinensischer Staat für den Frieden?
Nicht überraschend berichten in diesem Kontext verschiedene Quellen darüber, dass die USA derzeit „einseitige“ Schritte unternähmen, um einen palästinensischen Staat anzuerkennen. Bisher hatten die USA immer die Position vertreten, dass die Anerkennung eines palästinensischen Staates lediglich im Dialog mit Israel selbst erfolgen könne. Diese Bedingung gibt die US-Regierung nun offenbar – vermutlich angesichts des Unwillens der Netanjahu-Regierung zur Deeskalation – auf. Blinken bekannte öffentlich, dass die USA aktuell Pläne entwickle, einen demilitarisierten palästinensischen Staat „mit echten Sicherheitsgarantien für Israel“ zu schaffen.
Auch Saudi-Arabien hatte zuletzt als Bedingung für die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen und eine Normalisierung mit Israel den Aufbau eines unabhängigen palästinensischen Staates gefordert. Der Beziehung zwischen Saudi-Arabien und Israel bei gleichzeitiger Bindung der Saudis an die USA kommt in der Region eine Schlüsselrolle zu. Denn nach wie vor ist das saudische Königshaus ein wichtiger Gegenspieler zum iranischen Regime.
Wie ein palästinensischer Staat aussehen würde, lassen sowohl Saudi-Arabien als auch die USA derzeit noch offen. Klar ist jedoch, dass ein solcher Staat voraussichtlich unter die Verwaltung einer nationalen palästinensischen Komprador (Vermittler)-Bourgeoisie gestellt werden würde. Bereits jetzt sichert die sogenannte Palästinensische Autonomiebehörde (PA) auf diese Weise die Interessen Israels und verschiedener imperialistischer Interessen in Teilen des sogenannten Westjordanlands.
Eine tatsächliche Autonomie oder Freiheit hat die palästinensische Bevölkerung in diesen Gebieten durch die PA nie erlangen können. Auch in einem durch die USA geschaffenen palästinensischem Staat ist nicht zu erwarten, dass die Palästinenser:innen tatsächlich frei von neokolonialer Unterdrückung und Besatzung werden leben können.