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Mittwoch, Oktober 16, 2024
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    Ukrainische Geflüchtete: Prekäre Beschäftigung trotz hoher Qualifizierung

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    Nur ein Fünftel der ukrainischen Geflüchteten in Deutschland ist berufstätig. Um diese Zahl zu erhöhen, vermittelt das Jobcenter oft in prekäre Jobs. Aufgrund des schlechten Angebots an Sprachkursen können viele ihre ursprünglichen Berufe nicht ausüben. Schlechte Arbeitsbedingungen trotz teilweise hoher Bildungsabschlüsse ist jedoch nicht nur ein Problem ukrainischer, sondern aller Geflüchteter.

    Nur 21 Prozent der ukrainischen Geflüchteten in Deutschland sind berufstätig. Wer einer Arbeit nachgeht, ist häufig prekär beschäftigt. Oft arbeiten sie als Reinigungskräfte, als Zimmerservicekraft in Hotels oder anderen Berufen, für die keine höheren Abschlüsse erforderlich sind.

    Über die Hälfte der berufstätigen geflüchteten Ukrainer:innen haben dabei eine Tätigkeit im Helferbereich aufgenommen. Dabei mangelt es den in Deutschland lebenden ukrainischen Geflüchteten nicht an Qualifizierung. 72 Prozent von ihnen haben einen Hoch- oder Fachhochschulabschluss.

    Niedrige Beschäftigungsquote wegen Bürgergeld?

    Woran liegt die niedrige Beschäftigungsquote? Der innenpolitische Sprecher der CDU, Alexander Throm, sieht den Grund im Bürgergeld. Seit dem 1. Juni 2022 steht ukrainischen Geflüchteten Bürgergeld zu. Vorher wurden sie nach dem Asylbewerberleistungsgesetz versorgt, das auch immer noch für alle anderen Geflüchteten gilt und je nach Bedarfsstufe lediglich Leistungen zwischen 312 und 460 Euro beinhaltet.

    Dass Geflüchtete aus der Ukraine mit dem Bürgergeld nun Anspruch auf etwa 100 Euro mehr als vorher haben, findet Throm zwar „gut gemeint“. Die Bereitschaft, Arbeit aufzunehmen, habe es aber verringert. Geht es nach Throm, sollen sie daher in Zukunft wieder niedrigere Leistungen erhalten. Doch die tatsächlichen Gründe für die niedrige und häufig unterqualifizierte Beschäftigung der ukrainischen Geflüchteten liegen nicht im vermeintlichen „Ausruhen“ auf dem Bürgergeld.

    Mangelnde Kinderbetreuung, keine Bewilligung von Sprachkursen, prekäre Jobs

    80 Prozent der Geflüchteten sind Frauen, von denen auch viele Kinder haben. Wenn es für sie keine Kinderbetreuung gibt, ist es kaum möglich, einer Arbeit nachzugehen. Darüber erfordern viele der Berufe, die die Ukrainer:innen in ihrer Heimat ausgeübt haben, gute Sprachkenntnisse. Wer zum Beispiel den eigenen Beruf als Lehrer:in weiterführen möchte, muss auf hohem Niveau Deutsch sprechen können. Doch viele bekommen vom Jobcenter keine Deutschkurse auf B2-Niveau bewilligt. Einigen von ihnen wurde die ausbleibende Bewilligung als bewusste Regierungsentscheidung kommuniziert.

    Dies zeigt sich auch in dem „Job-Turbo“, den Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ausgerufen hatte. Dieser sieht vor, dass die Geflüchteten nach dem ersten sechs- bis achtmonatigen Integrations- und Sprachkurs sofort in einen Job vermittelt werden sollen. Ihre Sprachkenntnisse sollen sie dann „on the job“ verbessern.

    Doch viele werden in Jobs vermittelt, bei der eine Verbesserung des Sprachniveaus schwer möglich ist. Wer als Reinigungskraft oder im Versandlager arbeitet, hat wenig Möglichkeit, mit Kolleg:innen auf Deutsch zu kommunizieren. Und um am Abend noch einen Sprachkurs zu besuchen, fehlt dann oft die Energie und Zeit wegen der verbleibenden häuslichen und familiären Aufgaben.

    Sprachkurse: lange Wartezeiten, schlechte ÖPNV-Anbindung

    Überhaupt an einen Integrations- und Sprachkurs zu kommen, setzt meist langes Warten voraus. In NRW ist die Nachfrage nicht das Angebot nicht gedeckt und Berechtigte müssen oft bis zu fünf Monate auf einen Platz warten. In Bayern warten Teilnehmer:innen ebenfalls zwischen zwei und sechs Monaten.

    Für Abendkurse sind die Wartezeiten zwar kürzer, aber eine Teilnahme ist wegen mangelnder Kinderbetreuung und schlechter ÖPNV-Anbindung oft nicht möglich. In Schleswig-Holstein liegen die Wartezeiten auf einen Integrationskurs sogar bei sechs bis 18 Monaten. Auf Anfragen der Geflüchteten wird oft noch nicht einmal geantwortet.

    Ausbeutung geflüchteter Menschen

    Das Problem der prekären Beschäftigung betrifft nicht nur ukrainische, sondern alle Geflüchteten. Eine Studie der Uni Göttingen gibt Einblick in die besonders ausbeuterischen Arbeitsverhältnisse geflüchteter Menschen.

    In Bereichen wie der Fleischindustrie werden oft hohe „Vermittlungsprovisionen“ verlangt, die die Geflüchteten zahlen müssen, um überhaupt in den Job einsteigen zu können. Weitere „Prämien“ können anfallen, wenn ein befristeter Vertrag in einen dauerhaften umgewandelt werden soll. Reinigungskräfte berichten von Dauernachtschichten und unbezahlter Arbeitszeit, beispielsweise das Umkleiden oder Vorbereitungen auf Materialtransporte.

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