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Samstag, Juli 27, 2024
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    67 Fälle von Vergewaltigung in einer Geflüchtetenunterkunft: Von den Missständen in staatlichen Einrichtungen

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    Ein Security-Mitarbeiter einer Nürnberger Geflüchtetenunterkunft wurde in 67 Fällen der Vergewaltigung und Belästigung gegenüber Bewohnerinnen schuldig gesprochen. Es ist nicht das erste Mal, dass Frauen, denen in staatlichen Einrichtungen Schutz geboten werden soll, sexualisierte Gewalt erfahren. Weder in Geflüchtetenunterkünften noch in Obdachlosenheimen, Behindertenwerkstätten, Senior:innenheimen oder psychiatrischen Kliniken sind Frauen vor patriarchaler Gewalt sicher.– Ein Kommentar von Elodie Fischer.

    Im Prozess um die Fälle sexualisierter Gewalt in einer Nürnberger Geflüchtetenunterkunft wurde der 54-jährige ehemalige Security-Mitarbeiter zu zehn Jahren Haft verurteilt. Er soll zwei Frauen routiniert in Keller- und Büroräumen der Unterkunft vergewaltigt haben, eine davon über einen Zeitraum von drei Jahren nahezu wöchentlich, teilweise mehrmals die Woche. Die Betroffene traute sich erst, sich einer anderen Frau anzuvertrauen, nachdem sie aus der Unterkunft ausgezogen war. Sie soll in ihrer Wohnung weiterhin in Angst mit heruntergelassenen Rollläden gelebt haben und nur selten die Wohnung verlassen.

    Ausnutzen der Machtposition

    Angeklagt wurde der Mann ursprünglich in 77 Fällen – verurteilt in 67, da sich die genaue Anzahl der Taten nicht mehr nachvollziehen ließ, was das Gericht zugunsten des Angeklagten auslegte. Der Täter soll die Frauen unter Druck gesetzt haben, indem er damit drohte, er habe die Macht dafür zu sorgen, dass den Frauen durch das Jugendamt ihre Kinder weggenommen würden.

    Weiterhin war dem Täter bekannt, dass die betroffenen Frauen bereits zuvor sexualisierte Gewalt erfahren hatten. Es ist nicht unüblich, dass gerade Frauen in besonders instabilen Lebenssituationen Opfer sexualisierter Gewalt werden, insbesondere durch diejenigen, die ihnen Schutz bieten sollten.

    Statt Schutz nur mehr Gewalt in staatlichen Einrichtungen

    ProAsyl-Referentin Andrea Kotten äußerte gegenüber dem Bayerischen Rundfunk zu dem vorliegenden Fall, dass nicht allein der fehlende Schutz vor Gewalt in Asylheimen das Problem sei, sondern der ganze Rahmen von Massenunterkünften gewaltvoll sei. Nicht abschließbare Zimmertüren und Sanitärbereiche sowie die Unterkunft auf engem Raum seien einschüchternd und gefährden die Frauen zusätzlich. Kotten kritisiert zudem, dass im Gewaltschutzkonzept der bayerischen Staatsregierung für Geflüchtetenunterkünfte Übergriffe durch Sicherheitspersonal gar nicht in Betracht gezogen worden seien.

    In anderen staatlichen Einrichtungen Deutschlands ist die Lage ähnlich:

    ●     Erst im Januar diesen Jahres begann der Prozess gegen einen Pfleger, der in einem Pflegeheim im nordrhein-westfälischen Ennepetal jahrelang demenzkranke Frauen vergewaltigt, fotografiert und gefilmt haben soll.

    ●     Im Dezember letzten Jahres wurde ein Arzt einer Tübinger Klinik für psychische Erkrankungen der Vergewaltigung und des 52-fachen sexuellen Missbrauchs gegenüber einer Patientin angeklagt.

    ●     Im Januar 2023 zeigte eine Frau einen Mitarbeiter der Stadt Lüdenscheid wegen sexuellen Missbrauchs in einer staatlichen Unterkunft für Obdachlose an.

    ●     Und im Juni 2022 wurde ein ehemaliger Mitarbeiter einer Behindertenwerkstatt in 40 Fällen der Vergewaltigung, sexuellen Belästigung und Misshandlung für schuldig befunden.

    Sichere Orte erstreiten und die Wurzeln des Problems bekämpfen!

    Zwar sind einzelne Gerichtsurteile im Sinne der Betroffenen zu begrüßen, wie die Verurteilung des Security-Mitarbeiters der Geflüchtetenunterkunft, doch das schiere Ausmaß der sexualisierten Gewalt, der Frauen und andere Schutzsuchende in staatlichen Unterkünften ausgesetzt sind, scheint dadurch nicht eingedämmt werden zu können. Zumal auch nicht immer zu Gunsten der Betroffenen entschieden wird: So warf beispielsweise 2020 eine Frau ihrem Chef in der Behindertenwerkstatt sexuelle Belästigung vor, doch das Verfahren gegen ihn wurde eingestellt, da die Frau auf Grund ihrer Behinderung angeblich nicht aussagefähig sei.

    Gerade die Frauen, die durch vom deutschen Staat geführte Kriege in aller Welt, Preisexplosionen und zu hohe Mieten, in Flucht, Obdachlosigkeit und psychische Erkrankungen getrieben werden, erleben dann in staatlichen Einrichtungen keine Verbesserung ihrer Lage, sondern eine Kontinuität der Gewalt, die sie ihr Leben lang erfahren haben. Neben einer besseren Gewaltprävention in staatlichen Unterkünften müssen vor allem auch die Gründe, die Frauen in instabile Lebenssituationen und damit in besondere Gefahr für sexualisierte Gewalt bringen, bekämpft werden. Der Kampf gegen Kriege und Krisen ist für die Sicherheit von Frauen unerlässlich.

    Wirtschaftskrise, Asylrechtsverschärfungen und Kürzungen – Frauen als Vergessene der Krisen?

    • Perspektive-Autorin seit 2023, politisiert über Palästina-Aktivismus. Schreibt vor allem über Frauen- und Arbeiter:innen-Kämpfe. Studiert und arbeitet im Kulturbereich in Berlin, gibt gerne Buchempfehlungen.

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