Seit dem 1. April sind der Konsum und der Besitz von Cannabis jetzt auch für alle Erwachsenen ohne medizinische Sondererlaubnis legal. Was für politische Interessen stecken dahinter? Wer profitiert und was bedeutet die Legalisierung für Arbeiter:innen? – Ein Kommentar von Phillipp Nazarenko.
Nach längeren Verhandlungen wird das im Koalitionsvertrag der Ampel festgelegte Ziel der Cannabis-Legalisierung endlich Realität. Zwar durften seit einigen Jahren bereits Schmerzpatient:innen medizinisches Marihuana in Apotheken erwerben, aber die volle Legalisierung von Konsum und Besitz für alle über 18 Jahre erfolgte erst jetzt. Die Legalisierung beinhaltet aber auch Auflagen.
So ist der Konsum im Umfeld von Minderjährigen verboten. Auch muss ein Mindestabstand von 100 m zu Schulen, Kitas, Spielplätzen und Sportstätten eingehalten werden. Was den Besitz betrifft, so dürfen 25 g mitgeführt und bis zu 50 g zu Hause aufbewahrt werden. Zudem können sogenannte „Cannabis-Social-Clubs” nun als legaler Ort des Erwerbs genutzt werden, wobei weitere rechtliche Richtlinien hier im Juni folgen sollen. Erste kommerzielle Verkaufsprojekte sind im Gespräch, stehen aber noch nicht fest.
Was steckt dahinter?
Opposition gegen die Cannabis-Legalisierung gibt es aus allerlei Ecken: Einerseits wären da die Erzkonservativen und Faschist:innen aus CDU und AfD, die in Cannabis eine „fremde” Droge sehen. Diese werde dementsprechend also auch vor allem von „Fremden”, also Ausländer:innen konsumiert.
Aber auch aus linken Ecken kommt die Kritik, dass es sich hierbei nur um einen Versuch der Herrschenden handele, die Jugend mit Drogen gefügig zu machen und vom Rebellieren abzuhalten. Die realen psychischen und gesundheitlichen Gefahren bzw. Risiken des Cannabis-Konsums werden hier für gewöhnlich zugespitzt. Denn auch wenn Drogenkonsum und seine sozialen und gesundheitlichen Folgen natürlich eine zersetzende Wirkung auf die politische Widerstandsbewegung in diesem Land haben können, sind die Gründe für die Legalisierung wohl weitaus pragmatischer:
„Die Umstellung bedeutet einmalig einen höheren Arbeitsaufwand, aber perspektivisch werden Polizei und Justiz entlastet (…). Sie können dann noch stärker relevanter Kriminalität nachgehen“, so FDP-Justizminister Marco Buschmann.
Die enorme finanzielle und personelle Bindung der staatlichen Repressionsbehörden durch die Verfolgung politisch unbedeutender Fälle von Cannabis-Konsum oder Kleinhandel ist aus staatlicher Sicht ineffizient. Man kann davon ausgehen, dass im Rahmen der gegenwärtigen inneren Militarisierung das dafür verwendete Geld und die Polizist:innen sicher „bessere“ Einsatzorte finden werden.
Sicherlich ist auch der finanzielle Aspekt ausschlaggebend. „Mit dem ersten Schritt schaffen wir erst einmal nur Verbesserungen für regelmäßige Konsumierende. Jetzt ist aber unbedingt notwendig, die Sache rund zu machen und die Modellprojekte als zweite Säule zu beschließen”, so der Drogen- und Suchtbeauftragte der Bundesregierung Burkhard Blienert (SPD). Die Angebotsseite wird also bereits strategisch geplant. Dahinter verbergen sich nichts anderes als private Profite und Steuereinnahmen. Auch dieser Aspekt hilft dem deutschen Staat beim Stopfen der Löcher im Haushalt und der Ankurbelung der Kriegswirtschaft.
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Repression ohne Erfolg – ist Legalisierung die Lösung?
Cannabis-Konsum ist in weiten Teilen der Gesellschaft, besonders unter der Jugend, verbreitet und akzeptiert. Vermutlich sind nur der Alkohol- und Zigarettenkonsum noch verbreiteter. Natürlich haben alle diese Drogen negative Auswirkungen auf das Wachstum – speziell bei Kindern und Jugendlichen – sowie auf Körper und Psyche im Allgemeinen, vor allem bei regelmäßigem Konsum, was durch den Suchtfaktor noch verstärkt wird.
Die jahrzehntelange Repression gegenüber Cannabis-Konsument:innen hat es derweil nicht geschafft, diese vom Kiffen abzuhalten. Der Zugang zu Cannabis, auch für Jugendliche, war während dieser Zeit weiterhin alles andere als schwierig. Eine andere Lösung war also ohnehin nötig. Doch ob ein neues Gesetz der richtige Ansatz ist, um das Drogen-Problem zu lösen, ist zu bezweifeln. Zwar wird davon gesprochen, dass Minderjährige weiterhin keinen leichteren Zugang hätten und parallel die Suchtprävention gefördert werde – doch auch dies scheint realitätsfern.
Welche Folgen sind zu erwarten?
Ist jetzt von einem kulturellen und sozialen Zusammenbruch in Deutschland auszugehen? Wird es ab jetzt keinen politischen Widerstand, keine Streiks oder politische Aktivität mehr geben, weil alle zu bekifft sind? Politisch nüchtern betrachtet scheint eine Minderung der sozialen und politischen Widersprüche in diesem Land durch die Legalisierung wenig wahrscheinlich. Länder wie Portugal, Kanada, die Niederlande, die USA und andere haben den Cannabis-Konsum teilweise schon seit Jahrzehnten entkriminalisiert bzw. legalisiert, ohne dass entsprechende Folgen eingetreten wären.
Zumindest das Maß an Repression könnte nun geringer ausfallen. Diese waren in der Vergangenheit strukturell rassistisch motiviert: 1994 enthüllte ein ehemaliger innenpolitischer Berater des damaligen US-Präsidenten Richard Nixon, dass die harte Drogenverfolgung gezielt gegen zwei Gruppen gerichtet war: Kriegsgegner und Schwarze: „Wir wussten, wir konnten es nicht verbieten, gegen den Krieg oder schwarz zu sein. Indem wir aber die Öffentlichkeit dazu brachten, die Hippies mit Marihuana und Schwarze mit Heroin zu assoziieren und dann beides zu kriminalisieren, konnten wir diese Gruppen spalten“, lautet ein Zitat, das damals an die Öffentlichkeit gelangte.
Heute sind die Stereotype vielleicht andere, doch das Konzept scheint in der Praxis dasselbe zu sein – sowohl in den USA als auch in Deutschland. Zudem gelingt es den Herrschenden durch das Zulassen von Drogen innerhalb der Arbeiter:innenklasse, dass sich manche Teile „wie von selbst” unschädlich machen. Ob die neue Gesetzeslage die Praxis wirklich ändern wird, ist daher fraglich.
Die Arbeiter:innenklasse hat keinen Vorteil davon, das Teile von ihr wegen des Konsums von Cannabis eine Geld- oder Haftstrafe verbüßen müssen. Kleinkriminelle oder gar Drogenkartelle trifft die drohende staatliche Konkurrenz härter. Ein wirklich großer Sprung für die Gesellschaft ist dies aber sicher nicht.
Für die fortschrittlichen Teile der Klasse gilt es, den Konsum von Drogen – unabhängig von Verboten – auf ein Maß zu beschränken, mit dem die politische Arbeit für die Revolution uneingeschränkt vorwärts streben kann. Wir dürfen nicht aus der Realität fliehen, sondern müssen sie als solche anerkennen und verändern. Auch wenn es schwerfällt, ist dies der einzige Weg zur Veränderung der Wirklichkeit.
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