Abwesend, gewalttätig, desinteressiert: Für viele Menschen ist die Beziehung zum Vater geprägt durch negative Erlebnisse. Warum der Vatertag für viele von uns ein vorbelasteter Tag sein kann, der an die Probleme in der eigenen Familie erinnert. – Ein Kommentar von Elodie Fischer.
Im Jahr 2022 erreichten die Kindeswohlgefährdungen in Deutschland einen neuen dokumentierten Höchststand mit 62.300 Kindern, die laut Jugendamt vernachlässigt wurden bzw. psychische, physische oder sexuelle Gewalt erfuhren.
Diese Erfahrungen prägen Kinder oft bis in ihr Erwachsenenleben. Häufig ist die Familie der Ort, an dem Kinder zum ersten Mal das Patriarchat erleben: Wenn sie sehen, wie ihre Mutter die ganze Hausarbeit übernimmt und vom Vater nicht respektvoll behandelt wird; wenn ihnen vorgelebt wird, wie sie sich verhalten sollen gemäß dem ihnen zugeschriebenen Geschlecht – als Jungs nicht weinen oder als Mädchen nicht zu frech sein dürfen; wenn der Vater ein Leben lang durch Abwesenheit glänzt; wenn sie selbst in ihrer Familie Gewalt erfahren oder miterleben, wie ihre Mutter Gewalt erfährt.
Daddy Issues? Gar nicht mal so sexy
Vor allem Mädchen und Frauen, deren Beziehung zum eigenen Vater von Problemen geprägt ist, werden für diese später sexualisiert. Ihr sogenannter „Vaterkomplex” oder ihre „daddy issues” werden glorifiziert, da sie angeblich auf Grund der fehlenden Liebe des Vaters Männern gegenüber sexuell besonders wenig Grenzen setzen und „leicht verfügbar” seien.
Auch werden Probleme mit dem Vater häufig als Grund angeführt, wenn eine Frau immer wieder Beziehungen mit Männern eingeht, die sie nicht gut behandeln. Die Frage nach dem Grund, weshalb all diese Männer eine Frau nicht gut behandeln, bleibt aus. Die Frage, weshalb es ausgenutzt wird, dass eine Frau bereits durch negative Erfahrungen mit Männern geprägt wurde, an deren Wunden sie vielleicht bis heute knabbert, ebenfalls.
Dabei ist es kein Wunder, dass Probleme mit dem eigenen Vater in dieser Gesellschaft so weit verbreitet sind – und schon gar nicht ist es die Schuld der betroffenen Kinder. Stattdessen ist es ein Zeugnis des Patriarchats, in dem Männer die Rolle der Unterdrücker und Frauen die Rolle der Unterdrückten zugeschrieben werden. In der eigenen Familie tritt dieses System dann hinter verschlossenen Türen zum Vorschein, was oft dazu führt, dass sich die Kinder allein mit ihren Problemen fühlen.
Wie können wir den Kreislauf in unseren Familien durchbrechen?
Um eine Veränderung zu erreichen, müssen wir die verschlossenen Türen unserer Kleinfamilien öffnen. Hausarbeit darf nicht weiter im privaten Bereich stattfinden, sondern muss zur gesellschaftlichen Aufgabe werden mit Angeboten wie Kinderbetreuung und Kantinen, die nicht in einem kapitalistischen System kaputt gespart werden.
Auch können wir zwar unser tief verankertes, uns anerzogenes patriarchales Denken nicht mit einem Fingerschnippen ändern, doch gleichzeitig sind Männer auch nicht dazu verurteilt, zum patriarchalen Vater zu werden. Stattdessen müssen wir es uns alle, egal ob Vater oder nicht, egal welches Geschlecht wir haben, zur Aufgabe machen, uns schon heute mit unseren patriarchalen Eigenschaften auseinanderzusetzen und diese zu verändern.
Damit wir den generationsübergreifenden Kreislauf von patriarchalen Vätern und verletzten Kindern durchbrechen und gemeinsam für eine Gesellschaft kämpfen, in der es keine Unterdrückung auf Grund des Geschlechts mehr gibt.
Gewalt an Frauen: “Ein Angriff auf eine ist ein Angriff auf alle von uns.”