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Sonntag, September 8, 2024
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    Jung, reaktionär, gut aussehend – oder nur Angst vor der Zukunft?

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    Jugendliche wählen zunehmend die AfD, das zeigt nun auch die Europawahl. Die Stimmung wird auch oder speziell über die sozialen Medien erzeugt. Doch was steckt hinter dieser Bewegung? – Ein Kommentar von Michael Koberstein.

    In den Europawahlen stimmten in Deutschland ca. 16 Prozent der unter 25-Jährigen für die AfD. Das sind immerhin elf Prozent mehr als bei der Wahl 2019, was sich auch mit den letzten Umfragewerten in Deutschland deckt. In den bürgerlichen Medien wird nun viel darüber gerätselt, woran das liegen könnte.

    Oft wird dafür die Präsenz der AfD in den sozialen Medien als Grund angenommen. Als Beispiel sei da Maximilian Krah genannt, der auf der Plattform TikTok über 54.000 Follower hat und oft über 50.000 Aufrufe auf einzelne TikTok-Posts bekommt. Kurzvideos (wie „TikToks”, „Instagram Reels” oder „YouTube Short”s) eignen sich besonders gut dazu, knapp und einprägsam Inhalte zu vermitteln. Außerdem wissen die PR-Abteilungen den Algorithmus durch sogenannte „Drittaccounts” – die zwar nicht offiziell mit der AfD in Verbindung stehen, aber deren Inhalte teilen und verbreiten – zu ihren Gunsten zu manipulieren.

    Krah und die AfD sind dabei nicht die einzigen, die Social Media zu ihrem Steckenpferd gemacht haben und viel Reichweite generieren. Es gibt viele Beispiele aus der europäischen sogenannten „Neuen Rechten“, die als Vorbilder gedient haben dürften: so z.B. Jordan Bardella vom „Rassemblement National” (RN), der als „Shootingstar“ der französischen Rechten bezeichnet wird. Auch der ehemalige Sprecher der „Identitären Bewegung” (IB) Österreichs, Martin Sellner, ist seit Jahren viel in den sozialen Medien unterwegs.

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    Nach unten treten als Selbstbestätigung

    Wenn man sich die „Jungen Nationalisten” anschaut, erkennt man den coolen „autonomen“ Style wieder, dessen sich auch die IB bediente, wie man es sonst vor allem vom „schwarzen Block“ kannte und kennt. Faschist:innen gelingt es außerdem, durch vielfältige Aktions- und Organisationsangebote, die sie sich teilweise von der Arbeit der Sozialist:innen in den Massen abgeschaut haben, Teile der Jugend zu erreichen.

    Doch anstatt die Jugendlichen mittels Organisations- und Bildungsarbeit zusammenzubringen und aufzuklären, spalten die Faschist:innen sie und nähren ihre Ängste. Das äußert sich oft darin, dass diesen während der Pubertät oft verunsicherten Jugendlichen ein vermeintlich fester Platz ganz oben in der Gesellschaft versprochen wird. Dafür gilt es lediglich, nach unten zu treten – sei es gegen Migrant:innen, Feminist:innen oder LGBTI+-Personen.

    Die Perspektivlosigkeit vieler Jugendlicher durch kapitalistische Krisen wird umgedeutet als eine Identitätskrise aufgrund von einem Verlust „weißer“ Identität. Auch an ein patriarchales Männlichkeitsbild wird angeknüpft, mit „starken Männern, die Europa verteidigen“. Der Widerspruch zwischen Arbeiter:innen und Kapitalist:innen, Arm und Reich, Unten und Oben wird dabei völlig ausgeblendet.

    Das Potenzial der Jugend, die eigene Perspektivlosigkeit lieber sozial und mit revolutionärem Eifer anzugehen, statt sich einfachen Antworten hinzugeben, ist heute eine der zentralen Aufgaben aller fortschrittlichen Kräfte in Deutschland.

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    Die Unzufriedenheit mit dem herrschenden System wächst

    Keine bürgerliche Kraft bietet mehr überzeugende Antworten auf die Krisen unserer Zeit. Das sehen auch immer mehr Jugendliche. Gerade das macht sie empfänglich für radikale Antworten. Das erklärt einerseits den Zuwachs bei der „Jungen Alternative“ (JA), andererseits aber eben auch bei den sozialistischen und revolutionären Jugendgruppen, die überall in Deutschland wachsen.

    Die ehemals vermeintlich linksliberalen Parteien SPD und Grüne bilden derweil selbst die autoritäre Regierung. Die fehlenden Investitionen in Gesundheit und Soziales bei gleichzeitig hohen Steuern, die Corona-Politik und auch die Kriegspolitik im Interesse des deutschen Imperialismus treiben die Jugend in die Arme der vermeintlichen „Protestpartei“, da diese formell wählbar ist und sich eine öffentliche Plattform verschafft.

    Doch die AfD kann sich bei Themen wie Migration, Corona oder Ukraine-Krieg nur solange als Alternative zum System inszenieren, wie sie nicht selbst reale Politik machen muss. Spätestens dann wird die Praxis auch der Jugend zeigen, dass die ausbeuterischen, kriegstreiberischen, spalterischen Ansätze der Faschist:innen nirgends hinführen. Doch dann ist es vielleicht schon zu spät. Schon heute müssen wir auf die Jugend zugehen und zeigen, wie die Dinge liegen. Der Anti-Militarismus, der Umweltkampf und migrantische Kämpfe sind dabei die wichtigsten Themenfelder.

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    Auf dem Stimmzettel keine Optionen

    Heute allein in TikTok und Co. den Grund für den Rechts-Trend zu sehen, greift also zu kurz. Der jüngere Teil der Gesellschaft ist nicht einfach per se naiver oder beeinflussbarer als die Jugend zu anderen Zeiten oder in anderen Teilen der Welt. Das heißt auch nicht, dass wir diese sozialen Medien einfach den Faschist:innen als Spielfelder überlassen dürfen. Doch es sind die Bedingungen – die ökonomischen und gesellschaftlichen –, die eine Generation politisch prägen. Das äußert sich dann eben auch auf dem Stimmzettel wie jetzt zur EU-Wahl.

    Währenddessen ist auf den Stimmzetteln keine wählbare Arbeiter:innenpartei auf der Höhe der Zeit zu finden. Eine fortschrittliche kommunistische Partei befindet sich vielerorts noch im Aufbau. Diese hat schon heute konstruktive und kollektive Antworten auf die Fragen der Jugend nach einer besseren Zukunft. Doch anders als die AfD richten sich diese gegen das kapitalistische System an sich. Die Macht wird ihr daher nicht einfach von den Sozialdemokraten oder Konservativen überlassen werden. Sie muss sie sich erkämpfen. Dasselbe gilt für die Stimmen der Jugend.

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    • Perspektive-Autor seit 2023 und Kommunist aus dem Südwesten. Interessiert sich für soziale Kämpfe und imperialistische Außenpolitik

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