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Dienstag, Juli 2, 2024
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    Messerangriff in Mannheim: Spiegelfechterei der Reaktionären

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    In Mannheim hat ein Mann den bekannten Faschisten Stürzenberger und sechs weitere Menschen mit einem Messer angegriffen – ein Polizist ist gestorben. Weder der fundamentalistische Angriff noch die rassistischen Reaktionen geben eine Antwort auf die gesellschaftlichen Probleme. – Ein Kommentar von Johann Khaldun.

    Am Vormittag des 1. Juni wurde der bekannte Faschist und selbsternannte „Islamkritiker“ Michael Stürzenberger sowie ein Polizist und fünf weitere Mitarbeiter der reaktionären Bürgerbewegung Pax Europa (BPE) bei einer ihrer öffentlichen Veranstaltungen in Mannheim mit einem Messer angegriffen. Der betroffene Polizist ist am Sonntag, dem 2. Juni, an den Folgen des Angriffs gestorben. Bei dem Täter handelt es sich um einen 25-jährigen Afghanen, der seit 2014 in Deutschland lebt und bisher nicht polizeilich aufgefallen ist. Der Generalbundesanwalt geht von einem islamisch-fundamentalistischen Motiv aus und hat die Ermittlungen übernommen.

    Wer ist Michael Stürzenberger?

    Stürzenberger ist ein bundesweit aktiver Faschist. Er war ursprünglich in der CSU aktiv, trat aus dieser jedoch 2011 aus, wohl um einem Ausschlussverfahren zuvorzukommen. Nachdem er einige Jahre durch verschiedene reaktionäre Bewegungen (Pegida) und Parteien (Die Freiheit) marschierte, fand er seine heutige politische Heimat in der BPE. Neben seiner Arbeit als antimuslimischer Agitator an öffentlichen Plätzen ist er als Autor der Webseite „Politically Incorrect News“ tätig. Der politische Charakter dieser 2004 gegründeten Seite zeigt sich in ihrem Wortgebrauch, nach dem Asylbewerber regelmäßig als „Invasoren“, „Rapefugees“ und „Merkels Ficki-Ficki-Fachkräfte“ verunglimpft werden.

    Auf diesem politischen Niveau ist auch die Tätigkeit Stürzenbergers angesiedelt, der seinen Faschismus damit tarnt, indem er die klassische Querfront-Taktitk nutzt. Nach dieser Taktik stellen sich Faschist:innen als „dritten Weg“ zur Überwindung der Probleme des Kapitalismus zwischen Kommunismus und Faschismus dar. Mit dieser Taktik erlauben sich Faschist:innen wie Stürzenberger, sich sogar als Neubegründer der Weißen Rose zu bezeichnen und somit in die Tradition von Antifaschist:innen wie Sophie Scholl zu stellen. Ähnliche Methoden werden auch durch die AfD benutzt.

    Hauptfeind Stürzenbergers sind die Muslim:innen. Er setzt den Islam mit dem Nationalsozialismus, den er zugleich als linke Ideologie bezeichnet, gleich. Dabei machen er und die BPE zwar einen rhetorischen Unterschied zwischen dem „politischen Islam“ und dem Islam schlechthin, sowie zwischen Muslim:innen und Islam. Jedoch stellt selbst der Verfassungsschutz fest, dass beide effektiv gleich gesetzt werden. Das ergibt sich schon daraus, dass Stürzenberger den Koran mit Hitlers Mein Kampf auf eine Stufe als gefährlichstes Buch der Welt stellt. Wie soll aus einem solchen Buch noch etwas anderes als eben eine gefährlich Religion kommen?

    Daher tritt Stürzenberger auch regelmäßig mit Forderungen wie Verboten von Moscheen, einem effektiven Verbot muslimischer Riten, bis hin zu Umerziehungslagern für Muslim:innen an die Öffentlichkeit. Auch der Rest der BPE verbreitet auf ihrer Webseite in Reaktion auf den Angriff ihre Ideologie, indem sie den „politischen Islam“ als „die größte Bedrohung für unsere Freiheit und Demokratie“ bezeichnen und „unkontrollierte und sicher auch rechtswidrige Einwanderung“ für die Probleme Europas verantwortlich machen. Auf ihrem Youtube-Kanal sprechen sie mit dem politischen Kampfbegriff von einem „Terrorangriff“ auf Stürzenberger.

    Gedankengut der bürgerlichen Mitte

    Zwar sind die ideologischen Erklärungswege, die diese Faschist:innen nutzen, ziemlich Verworrenheit, doch sind sie in ihren Konsequenzen mittlerweile politischer Mainstream. Auch die etablierten Parteien hetzen gegen Geflüchtete, speziell gegen Muslim:innen, und erlassen immer rassistischere Migrations- und Asylgesetze. Auch aus den bürgerlichen Medien werden immer wieder Erklärungen verlautbart, nach denen die Muslim:innen und nicht die Deutschen – also die Täter:innen des Holocausts – die wahren Antisemiten seien. Stürzenberger selbst hat sein Handwerk als Hetzer während seiner Tätigkeit als Journalist für RTL und Sat.1 erlernen können.

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    Der Hass auf Muslim:innen reicht weit in die europäische Geschichte bis zur Kolonialzeit zurück. Zuletzt waren für die neue dunkle Blüte dieser reaktionären Ideologie zwei Ereignisse entscheidend. Die Anschläge vom 11. September 2001 und neuerlich die militärischen Aktionen palästinensischer Organisationen am 7. Oktober 2023. Beide Ereignisse wurden und werden als Vorwand für jeweils neue Schübe völkermörderischer, imperialistischer Gewaltorgien gegen Araber:innen und Muslim:innen genutzt. Historisch liegt dahinter, dass mit dem Ende des Kalten Krieges der alte Erbfeind Kommunismus und damit der Vorwand für die Ausweitung der Herrschaft der westlichen Imperialisten weggefallen ist. Seitdem müssen Muslime als Ersatz herhalten.

    Wenn also gegenwärtig die bürgerlichen Medien Stürzenberger als extremen Hetzer darstellen und damit nahelegen, er hätte mit der herrschenden Politik und mit ihrer eigenen publizistischen Tätigkeit nichts gemein, dann handelt es sich dabei um eine Falschdarstellung. Sicher, Stürzenberger ist ein faschistischer Hetzer. Aber der Unterschied zwischen ihm und der bereits bestehenden Politik und ihres immer weiteren Rechtsmarsches ist nicht sehr groß. Es sind dieselben Medien, die aktuell alle Kritiker:innen am Völkermord der Palästinenser:innen durch Israel als Antisemit:innen verunglimpfen, die sich hier aus der Affäre ziehen. Denn wenn ein solcher Hetzer im respektablen Gewand eines Kirchenmannes – wie etwa zuletzt Reinhard Marx – auftaucht, kann er noch allemal damit rechnen, dass diese Medien ihm den roten Teppich ausrollen. Und das hat handgreifliche Folgen in Gestalt steigender antimuslimischer Gewalt.

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    Spiegelfechterei der Reaktionären

    Bei dem Angreifer liegt es nahe, dass es sich dabei selbst um einen islamisch-fundamentalistischen Reaktionär gehandelt hat. Dieser spielt insbesondere in Westasien, aber auch anderswo die Rolle einer faschistischen Bewegung, welche die Interessen regionaler Herrscherklassen aggressiv gegen fortschrittliche Bewegungen im inneren und konkurrierende Mächte im äußeren durchsetzt.

    Damit dürfte es sich hier um einen Kampf zwischen Faschisten handeln. Das ideologische Gewand ist dabei eher zufällig, denn wir haben gesehen, dass auch Stürzenberger und seine Spießgesellen die abstrusesten Herleitungen und Maskierungen heranziehen, um eine letztlich eindeutig menschenfeindliche Politik zu rechtfertigen. Man kann das genau so über den Weg der Religion machen – ob islamisch oder „christlich“ angemalt. Europa mit seinen Kreuzzügen, Hexenverbrennungen, Pogromen und dem Holocaust weiß das sehr genau.

    Während sich also die großen bürgerlichen Medien aus der Affäre ziehen, indem sie Stürzenberger als Extremisten jenseits der bürgerlichen Mitte darstellen und damit nichts anderes tun, als das System, welches diese Auswüchse produziert, zu decken, tun dies auch die Faschist:innen. PI News bringt beispielsweise einen Bericht mit dem klangvollen Titel „Die Messerkultur der Parallelgesellschaft“, in dem der Angriff als Anlass zur weiteren Hetze gegen alle Muslim:innen verwendet wird. In beiden Fällen wird der Unterdrückung muslimischer Menschen nichts entgegen gesetzt.

    So wie der amerikanische Drohnenkrieg viel mehr „Terroristen“ erzeugt als vernichtet, indem er wahllos zehntausende unschuldige Menschen ermordet, so wird es auch hier weitergehen. Der islamische Fundamentalismus ist ohne den Kolonialismus und Imperialismus nicht zu verstehen, denn er ist die reaktionäre, also rückschrittliche, Antwort darauf. Und als solche wurde und wird er durchaus auch von den Imperialisten genutzt, um die für den Kapitalismus wirklich gefährlichen, die sozialistischen Kräfte zu bekämpfen.

    Der Angriff ist also Ausdruck einer Spiegelfechterei – einem übertriebenen und heuchlerischen Verhalten zur Täuschung – zwischen verschiedenen Reaktionären. Beide sind Produkte des Imperialismus und als solche als gesellschaftliche Erscheinungen gar nicht im Kapitalismus zu beseitigen. Es gilt also den Kampf gegen die Reaktionäre auf beiden Seiten zu führen und zugleich für die Beseitigung der Ursache zu arbeiten.

    *Anm. der Redaktion: Der Artikel wurde um 21:14 aktualisiert und leicht überarbeitet.

    • Perspektive-Autor seit 2023. Philosoph deutsch-algerischer Abstammung mit Fokus auf Arbeiter:innengeschichte und deutschem Idealismus. Vom Abstrakten zum Konkreten auf dem Weg der Vermittlung.

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