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Donnerstag, September 19, 2024
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    Mélenchon und Starmer ganz oben – Ein Durchbruch des Sozialismus?

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    Mit Keir Starmer und Jean-Luc Mélenchon haben zwei selbsternannte Sozialisten die Wahlen in Frankreich und dem Vereinigten Königreich gewonnen. Dennoch gibt es schon starke Anzeichen, dass es keine wirkliche Veränderung geben wird. „Der Marsch durch die Institutionen“ scheint gescheitert und hat seine Vertreter:innen vom Sozialismus entfernt. – Ein Kommentar von Felix Zinke

    Aus den Wahlen im Vereinigtem Königreich und Frankreich konnten sowohl die britische sozialdemokratische Labour Party als auch das sozialdemokratische Wahlbündnis Neue Volksfront (NFP) in Frankreich als Sieger hervorgehen. Mit Keir Starmer und Jean-Luc Mélenchon stehen an deren Spitze zwei selbsternannte Sozialisten. Mit Blick auf ihre jeweilige Vergangenheit ist eine Gemeinsamkeit auffällig: Beide machten ihre ersten Schritte in der Politik in der trotzkistischen Bewegung in den späten 60er- und frühen 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts, waren also in linken Gruppen aktiv. Mittlerweile sind beide jedoch an der Spitze der institutionellen Parlaments-Sozialdemokratie zu finden.

    Keir Starmer: der rote Konservative

    Unter Keir Starmer hat sich die sozialdemokratische Labour Party in den letzten Jahren immer weiter nach rechts gewendet: sei es mit einer immer härteren Migrationspolitik, einer konservativen Finanzpolitik, mit der Unterstützung von Israels Völkermord in Gaza oder dem Vorantreiben der Militarisierung.

    Unterschiede zu den gerade abgewählten Konservativen lassen sich aus Sicht der Arbeiter:innenklasse mit der Lupe suchen. Tatsächlich steht die neue Regierung unter Keir Starmer in ihren Kernpunkten und im Sinne des Kapitals sogar für eine Fortführung der Politik der vorherigen Regierung. An eine Abschaffung der Sparpolitik auf Kosten der Arbeiter:innen wagt sich die Regierung weiterhin nicht heran. Damit schafft es Starmer, seine einstige sozialistische Vergangenheit komplett zu vergessen und die Politik der konservativen Tories in jetzt rotem Gewand weiter zu führen.

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    Jean-Luc Mélenchon – der Reformer bis zuletzt

    Anders als Starmer ist Mélenchon bis zum heutigen Tage ein Verfechter des sozialistischen Reformismus. Das heißt: Auch wenn seine Positionen weitaus linker sind als die von Starmer oder anderen „linken“ Kräfte in Deutschland, versucht er dennoch über den „Weg durch die Institutionen” des bürgerlichen Staats, diesen von innen heraus zu reformieren.

    Ein Ansatz und Kampf, der nicht neu ist und schon seit über 100 Jahren innerhalb der sozialistischen Bewegung ausgefochten wird. Jedoch ist es dem Reformismus bislang nie gelungen, dauerhafte Änderungen herbeizuführen. Der Grund dafür ist die vermutlich falsche Annahme, dass der Kapitalismus von innen heraus verändert oder gar abgeschafft werden könnte – in der guten Absicht, die darauf abzielt, das Leben der Arbeiter:innenklasse immer weiter zu verbessern, ohne mit den negativen Folgen einer Revolution umgehen zu müssen. Jedoch endet diese Herangehensweise historisch immer wieder in der Eingliederung der Protagonist:innen in genau das kapitalistische System, das sie eigentlich verändern wollten.

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    Der „lange Marsch durch die Institutionen”

    Eines der bekanntesten Beispiele dafür ist der sogenannte „Marsch durch die Institutionen“. Diese Losung wurde von Teilen der 68er-Bewegung ausgegeben. Das ausgesprochene Ziel war es, die Institutionen des Staats mit linken und sozialistischen Kräften zu besetzen und von dort aus die Gesellschaft grundlegend zu verändern.

    Dass sich am Ende Mitglieder der 68er-Bewegung, der Antikriegs- und Umweltbewegung sogar in den höchsten Ämtern in Deutschland befanden, lässt sich nicht bestreiten. Trotzdem leben wir heute noch immer in einem Land, das von Großkonzernen und seinen politischen Verteter:innen dominiert wird. Grundlegend andere Verhältnisse wurden nicht erreicht.

    Im Gegenteil hat diese Strategie die Beteiligten immer weiter von ihren eigentlichen Positionen entfernt und sie erfolgreich in die herrschende Politik integriert. Ein bekanntes Beispiel dafür ist der ehemalige Außenminister der Grünen, Joschka Fischer. In seiner Jugend war er fester Bestandteil und Führer der Antikriegsproteste in der BRD. Am Ende wurde er zu einem führenden Mitglied und Unterstützer eben jener Regierung, welche die ersten Militäreinsätze der Bundeswehr nach dem Zweiten Weltkrieg im Kosovokrieg befahl. Diese Änderung seiner Positionierung von einem Pazifisten zu einem Kriegsunterstützer, der sogar mehr Atomwaffen für Europa fordert, ist kein Einzelfall.

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    In der Geschichte entwickelten sich etwaige reformistische Parteien und Einzelpersonen von scharfen Kritikern des Kapitalismus zu ihren Verteidigern. Aufgrund eben jener Schwächen des Reformismus ist die Politik von Keir Starmer keine Überraschung. Auch eine Anpassung von Mélenchon und der Neuen Volksfront an die Interessen des französischen Monopolkapitals wird unausweichlich sein, wenn eben jene ihre Position innerhalb dieses Systems erhalten möchten.

    Eine echte Veränderung braucht eine revolutionäre Perspektive

    Auch wenn der Reformismus eine Strategie ist, die zum Scheitern verurteilt ist, heißt dies nicht, dass wir den Kapitalismus und seine Folgen nicht überwinden könnten. Die Lösung gegen Ausbeutung, Unterdrückung und Umweltzerstörung lässt sich letztendlich jedoch nur in einer revolutionären Überwindung des Kapitalismus finden: Es benötigt ein neues gesellschaftliches System, das in der Hand der Arbeiter:innen liegt und ihre Interessen verfolgt. Die Errichtung eines solchen Systems kann jedoch nicht in Akzeptanz bürgerlicher Institutionen erbaut werden – wie das Scheitern des „Marschs durch die Institutionen“ schon zeigte – sondern es muss im Klassenkampf durchgesetzt und erstritten werden.

    • Perspektive Autor seit 2024. Berlin Informatikstudent und Werki in der IT. Schwerpunkte: internationale Kämpfe und Imperialismus.Begeisterter Radfahrer.

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