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Mittwoch, Juli 3, 2024
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    Polizeigewalt bei Protesten gegen AfD-Parteitag – keine nennenswerten Verletzungen bei Polizei

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    Bei den Blockade-Aktionen und Demonstrationen gegen den Parteitag der AfD in Essen kam es zu massiver Polizeigewalt. Unverhältnismäßige Einsätze von Pfefferspray und Schlagstöcken sowie Faustschläge in Gesichter von Demonstrierenden stehen einseitigen Berichten von 28 verletzten Polizist:innen gegenüber.

    Gegen 5:30 Uhr begannen in den frühen Morgenstunden des 29. Juni die ersten Aktionen, um den Bundesparteitag der AfD in Essen zu verhindern. Aus verschiedenen Himmelsrichtungen waren Bus-Konvois aus ganz Deutschland in Richtung Essen gefahren und ließen die Demonstrierenden auf den Anreisewegen in Richtung Grugahalle aussteigen. Von dort aus setzten sich mehrere „Finger“ als Demonstrationszüge in Bewegung, um die Zufahrtsstraßen der Delegierten rund um das Messegelände zu blockieren.

    Zuvor hatte das Bündnis widersetzen unter dem Motto „AfD Parteitag verhindern“ zu Aktionen zivilen Ungehorsams aufgerufen. Diesem Aufruf waren tausende Menschen aus ganz Deutschland gefolgt und hatten sich zu gemeinsamen Bus-Anreisen zusammengeschlossen. Am Donnerstag Abend startete bereits das Protestcamp im Essener Süden. Am Freitagabend zog dann eine Rave-Demo durch die Essener Innenstadt, bevor am Samstagmorgen die Blockade-Aktionen starteten.

    „Wir sind friedlich, was seid ihr?“

    Bereits kurz nach Ankunft der ersten Busse, die über Nacht anreisten, kam es zu Gewaltexzessen durch die Polizei. An der Kreuzung Norbertstraße/Theodor-Althoff-Straße im Südwesten Essens stiegen gegen 5:45 Uhr etwa 300 Menschen aus Reisebussen aus und machten sich auf den Weg in Richtung einer angemeldeten Kundgebung auf der Sommerburgstraße. Sofort stellten sich Polizist:innen in den Weg und setzten Pfefferspray gegen die Demonstrierenden ein.

    Eine Gruppe von Personen, die sich noch in einem Reisebus befand und direkt auf das Geschehen blicken konnte, berichtet von einer überraschten Polizei, die rigoros gegen die friedlichen Aktivist:innen vorging. Kurz nachdem die Polizei Pfefferspray – in Kriegseinsätzen verboten – eingesetzt hatte, versuchte sie die Menge einzukesseln. Ein Teil der Menschen, die sich auf dem Gehweg zwischen einem Reisebus und einem Zaun befanden, wurde in der Folge über etwa 20 Minuten von beiden Seiten von der Polizei zusammengedrückt. Besonders kleinere und ältere Menschen klagten über Atemprobleme, worauf die Polizei nicht reagierte und auch angeforderte Sanitäter:innen nicht durchließ.

    Nachdem sich diese Situation aufgelöst hatte, gingen die Polizist:innen weiterhin mit brutaler Gewalt vor. Unbeteiligte in den Bussen berichten von einer Reihe von Polizisten, die besonders aggressiv wirkten und aus der zweiten Reihe mit Fäusten auf die Köpfe von Demonstrierenden einschlugen. Schmerzgriffe wurden zudem unnötig lange beibehalten, nachdem Menschen aus dem Kessel gezogen worden waren. Auf der danebenliegenden Kreuzung rückte kurzzeitig sogar ein Wasserwerfer an, um eine Drohkulisse aufzubauen. Während die Demonstrierenden der Gewalt hilflos ausgesetzt waren, skandierte die Menge zahlreiche Male „Wir sind friedlich, was seid ihr?“.

    Auch an unzähligen anderen Stellen kam es zu Angriffen durch die Polizei.

    Aggressive Polizisten und gebrochene Knochen

    In dem Finger, der im Viertel Margaretenhöhe versuchte, die Lührmannstraße zu blockieren, berichtet ein Demonstrant von „total impulsiven Polizeibeamten“, nachdem er von den Polizisten ins Gesicht geschlagen wurde und im Krankenhaus behandelt werden musste, wo er sich die Verletzungen attestieren ließ. Ein Zweierteam von Polizist:innen soll besonders aggressiv vorgegangen sein, als einzelne Leute nach und nach aus einem Polizeikessel geführt wurden. Die beiden Beamten mussten sogar teilweise von ihren Kolleg:innen zurückgehalten werden. Zu Beginn waren die Polizist:innen mit Schlagstöcken und Pfefferspray auf den Demonstrationszug zugestürmt.

    Ein anderer Demonstrant erklärte gegenüber Perspektive, dass es an diesem Ort zu unzähligen Beleidigungen und anderen Provokationen durch die Polizist:innen kam. Nachdem der Demozug wieder in Bewegung kam, schubsten Polizist:innen willkürlich Demonstrierende von der Seite.

    Perspektive liegen zudem Berichte über mindestens zwei schwere Verletzungen von der Lührmannstraße vor. Einer Person aus München, die sich in der Blockade in der Nähe der U-Bahn Station Margaretenhöhe befand, wurde mit einem Schlagstock der Arm gebrochen. Einer weiteren Aktivistin aus Frankfurt wurden zwei Finger gebrochen, während sie ein Transparent hielt, auf das ein Polizist mit seinem Schlagstock eindrosch.

    Rechtswidriges Verhalten: Kontakt zu Anwalt verwehrt

    Auch im Külshammerweg wurden die Demonstrierenden hin und her geschubst. Die Aktivist:innen ließen sich daraufhin auf einen Kompromiss ein: sie zeigten sich einverstanden, ihren Personalausweis zu zeigen und eine schnelle Taschenkontrolle durchzuführen, um sich danach vom Versammlungsort zu entfernen. Die Polizist:innen hielten die Absprache jedoch auf angebliche „Anweisung von oben“ nicht ein und nahmen mehrere Menschen unter dem Vorwand des Tatvorwurfs der Vermummung mit in die Gefangenensammelstelle (GeSa).

    Insgesamt wurden mehrere dutzend Aktivist:innen in die „GeSa” (Gefangenensammelstelle) im Polizeipräsidium gebracht. Um 19 Uhr waren noch über 20 Menschen in Gewahrsam und wurden teilweise sogar bis Sonntagabend von der Polizei in Essen und Bochum festgehalten. Dabei wurde ihnen teilweise der Kontakt zu Anwält:innen verwehrt. Eine Person wurde ohne Anwält:in vor eine:n Richter:in geführt.

    Vor der Gefangenensammelstelle versammelten sich schon ab Samstag Nachmittag dutzende Menschen, um sich solidarisch mit den Gefangenen zu zeigen. Zudem wurde am Sonntag Nachmittag eine Kundgebung am Porschekanzel in der Essener Innenstadt veranstaltet. Nach der Beendigung verfolgte die Polizei einen Teil der Demonstrierenden bis zum „Sozialen Zentrum Philipp Müller” und versuchte dort, Menschen aufgrund von Bildern des Vortags zu belangen, was jedoch verhindert werden konnte.

    Zahlen über verletzte Polizist:innen können nicht bestätigt werden

    Die Zahlen aus der Pressemeldung der Polizei wurden währenddessen ungeprüft von jeglichen Medien übernommen. In der Vergangenheit hatte sich bereits zahlreiche Male gezeigt, dass diese Zahlen nicht verlässlich sind. Bei den „Blockupy”-Protesten 2015 in Frankfurt waren beispielsweise 80 der 94 verletzten Polizist:innen Opfer ihres eigenen Pfeffersprays.

    Dem widersetzen-Bündnis wurde zudem am Montag bestätigt, dass es keine nennenswerten Verletzungen bei den Polizist:innen gab. Am Infotelefon des Bündnisses gingen dagegen 60 Nachrichten von verletzten Demo-Teilnehmer:innen an: es wurde von gebrochenen Nasen, Jochbeinen und Fingern sowie Platzwunden berichtet.

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