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Montag, September 16, 2024
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    Jassin mischt den Deutschrap auf – mit eigenem Sound und Gesellschaftskritik

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    „Bind mir die Augen zu und mach die Duftkerzen an, das ist Wellness am Scherbenmeer“, rappt der 19-jährige Jassin. Ein neues Licht blitzt am Himmel des Deutschrap auf. – Ein Kommentar von Marius Fiori.

    Jassin Awadallah ist 19 Jahre alt und kommt aus der Lutherstadt Wittenberg im beschaulichen Sachsen-Anhalt. Erstes mediales Aufsehen erregte der junge Rapper und Sänger über die Social Media Plattformen Tik-Tok und Instagram. Daraufhin folgte ein sehr erfolgreicher Auftritt bei der Berliner Hip-Hop Eventreihe „Unreleased Berlin“. Ein Raketenstart – und ein Werdegang wie ein kleines Märchen. Das Ganze kommt nicht von ungefähr, so nahm Awadallah bereits sehr erfolgreich am Bundesdeutschen Wettbewerb „Jugend musiziert“ im Jahr 2022 teil.

    Das „Unreleased Berlin“-Konzert packte Jassin im Deutschrap-Kosmos „auf die Karte“ und sorgte nicht zuletzt für zehntausende Streams auf Spotify. Und das, obwohl bisher gerade einmal drei Songs offiziell veröffentlicht wurden. Die Ankündigung als Support-Act für die anstehende Apsilon-Tour „Haut wie Pelz“ komplettiert die Erfolgsgeschichte.

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    Eine dezidierte Genreeinordnung fällt nicht leicht – Jassin bewegt sich sehr flüssig zwischen düsteren Hip-Hop Beats und gesungenen, manchmal gar balladenartigen Elementen des Indiepop. Die Mischung macht seinen persönlichen Stil aus. Außerdem ist er in seiner Genrerichtung auch keineswegs alleine. Künstler:innen wie Paula Hartmann, Schmyt oder auch Levin Liam beweisen schon länger, dass eine Indie-Rap Mischung mit einem Fokus auf gesellschaftspolitische Themen und gefühlstechnische Innerlichkeiten gut ankommt.

    Allzu viel ist aber noch nicht bekannt über den noch jungen Wittenberger. Lediglich die Inhalte seiner bisher veröffentlichten Songs liefern Einblicke in das Leben des 19-Jährigen.

    Alltagsrassismus und schonungslose Kritik

    Sein Debütsong „Wellness am Scherbenmeer“ widmet sich inhaltlich den eigenen Familien- sowie Lebensgeschichten, als auch dem damit verbunden systematischen Rassismus. So rappt er zum Beispiel darüber, dass seine Eltern sich in seinem Kindesalter trennten, und führt anschließend aus, welchen Einfluss dies nun auf seinen Halbbruder hat: „Doch ich war elf, als sie es nicht mehr ausgehalten hat/ Mein Halbbruder wächst mit einer schlechten Mutter auf/ Er wird jetzt fünf und war nicht ein’n Tag im Kindergarten.“

    Auch Erfahrungen mit Alltagsrassismus finden sich in den Lyrics wieder. Zeugnisse eines schwierigen Heranwachsens in der ostdeutschen Kleinstadt Wittenberg: „Ganzer Verein voller Rassistenkinder, viel zu viel/ Wir war’n ‘ne Mannschaft, aber ich war nie ein Teil des Teams“.

    Als Reaktion auf die Ergebnisse der Europawahl veröffentlichte Jassin im Juli „Bind mir die Augen zu“. Das Lied zeugt von tiefer Frustration und Gefühlen der Machtlosigkeit gegenüber des politischen Rechtsrucks, patriarchalen Strukturen und Kriegen. So lautet zum Beispiel die erste Zeile: „9.6., Wahllokal geh’n, zum ersten Mal wähl’n/ Ergebnis lesen, Sachsen-Anhalt: Dreißig Prozent AfD/ Empörte Insta-Story posten, weil für mehr die Mittel fehl’n.“ Diese betont das besondere Gefühl der Ohnmächtigkeit gegenüber der immer mehr erstarkenden faschistischen Bewegung.

    Jede Momentaufnahme, die Jassin in diesem Lied zeichnet, widmet sich einen individuellen Misstand, der aber repräsentativ ist: „Meine Freundin fährt im Dunklen heim, meine Mama macht sich Sorgen/ Und erzählt mir nebenbei, wie sie fast vergewaltigt wurde.“

    Auch eine zynische Kritik am entfesselten Imperialismus findet ihren Platz: „In dieser Welt gehen ein paar hundert Mios für ein’n Fußballspieler drauf/ Und ein paar hundert Mio Menschen wegen Hungersnöten auch.“

    In seiner neuesten Veröffentlichung „Duftkerzen“ vertiefen sich die Motive des Galgenhumors gepaart mit der verzweifelten Frustration noch zusätzlich. So rappt Jassin zum Beispiel „Ja, mein Papa wohnt im Block, doch hat ein’n Kleingarten/ Die Nachbarn wechseln von FC-Bayern- zu Reichsflaggen/ Das’ nicht die Welt, nein, das sind ostdeutsche Kleinstadtsachen“. Schonungslos macht der Wittenberger auf die rasante Entwicklung faschistischen Gedankenguts aufmerksam, welches im Osten von Deutschland zwar auffälliger sein möge, sich aber keineswegs darauf beschränkt.

    Jassin spricht vielen aus der Seele

    Nicht nur seine Zeilen zeigen, dass Jassin etwas anderes ist als ein „Feelgood“-Rapper. Er präsentiert sich bisher als scharfer Spiegel und Beobachter individueller Missstände, denen aber eine gesellschaftlich-politische Tragweite zukommt. Wie er das Ganze sprachlich und musikalisch umsetzt, ist einzigartig und nicht ohne Grund von Kritiker:innen gelobt.

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    Dennoch bleibt die Frage, ob Frustration und Thematisierung alleine ausreichen, um beispielsweise dem grassierenden Rechtsruck entgegenzutreten. Zweifelsohne lässt sich die Behauptung aufstellen, dass der noch junge Künstler vielen Menschen seiner Generation aus der Seele spricht – insbesondere das Ohnmachts-Gefühl ist mit Hinblick auf drohende globale Krisen ein nur allzu bekanntes Gefühl.

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