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Montag, September 9, 2024
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    NATO und China auf Konfrontationskurs

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    Die gegenseitigen Vorwürfe zwischen der NATO und China, die jeweilige andere Partei würde den Frieden im Asien und dem Indopazifik gefährden, werden schärfer. Droht hier der nächste große Krieg? – Ein Kommentar von Kevin Hoffmann.

    Während in der öffentlichen Berichterstattung seit dem Beginn des Krieges zwischen Russland und der Ukraine die Großmacht China in den Hintergrund gerückt ist, spitzen sich tatsächlich die Töne zwischen den USA bzw. der NATO und China weiter zu. Dies konnte nicht zuletzt in der Abschlusserklärung des NATO-Jubiläums-Gipfels, der im Juli in Washington tagte, abgelesen werden. Appellierte die NATO nach ihrem Gipfel im letzten Jahr noch, dass China eine „konstruktive Rolle“ spielen müsse, so hören sich die Verlautbarungen in diesem Jahr bereits ganz anders an.

    Auch wenn sich die USA mit ihrer Position nicht durchsetzen konnten, China als ebenso große Gefahr für die NATO wie Russland zu benennen, so verurteilte die Abschlusserklärung des NATO-Gipfels doch sehr offen die Unterstützung Chinas für den Krieg Russlands in der Ukraine. Laut der NATO würde China diesen Krieg durch seine „grenzenlose Partnerschaft“ mit Russland und der Lieferung von Dual-Use-Gütern, also Gütern die sowohl zivil als auch militärisch nutzbar sind, auf Dauer erst ermöglichen. China seinerseits verurteilte die Erklärung als „voll von Kriegsrhetorik, Verleumdung und Provokationen“.

    China auf dem Weg zur Weltmacht

    Die Zuspitzung der Widersprüche zwischen den USA und China sind dabei nicht vom Himmel gefallen. Seit langem befinden sich beide Staaten in einem Wettrennen um die ökonomische und technologische Vorherrschaft auf dem Weltmarkt und tragen diesen Konflikt in einem immer weiter eskalierenden Wirtschaftskrieg aus. Ökonomisch, aber auch militärisch holt China dabei die USA nicht nur ein, sondern droht diese zu überflügeln und abzuhängen.

    Im Mittelpunkt dieses Konflikts steht unter anderem die Insel Taiwan vor der chinesischen Küste und die dort weitgehend konzentrierte weltweite Halbleiterproduktion, sowie die Kontrolle über Meerwege im Pazifik. Sowohl China als auch die USA wollen sich den Zugang zu dieser Produktion und den wichtigen Seerouten sichern. Vor diesem Hintergrund ist auch das massive militärische Engagement der USA in Asien zu verstehen, sowie die dauerhafte Gefahr einer militärischen Eskalation in der Region.

    Geostrategisch baut China seinen weltweiten Einfluss zulasten der USA unter anderem über die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) aus, in der auch Russland, Iran, Indien und Pakistan Mitglied sind. Auch die Türkei als eigentliches NATO-Mitglied hat bereits Interesse an einer Mitgliedschaft in der SCO bekundet. Mit dem Projekt Neue Seidenstraße und der Asiatischen Infrastrukturinvestmentbank (AIIB) baut China zudem ein Gegengewicht gegen die unter dem Einfluss der USA stehende Weltbank und den Internationalen Währungsfonds (IMF) auf.

    Je mehr China seinen ökonomischen, militärischen und geostrategischen Einfluss steigern kann und die USA an Einfluss verlieren, desto schneller dreht sich auch die Eskalationsspirale zwischen diesen beiden Weltmächten. Da beide Mächte um die weltweite Vorherrschaft kämpfen, gibt es kaum Möglichkeiten der dauerhaften Deeskalation in diesem Wettstreit.

    Bauen die USA an einer „asiatischen NATO“?

    Während chinesische Zeitungen jüngst vor dem Versuch der USA warnten, dass diese gemeinsam mit Japan eine „asiatisch-pazifische Version der NATO“ aufbauen würden und der ehemalige NATO-Befehlshaber James Stravridis gar forderte, Australien, Japan, Neuseeland und Südkorea direkt in die NATO aufzunehmen, dürften die USA und ihre Verbündeten von solchen Plänen in der Region noch weit entfernt sein. Auch aus Europa gibt es Widerstand gegen eine mögliche offizielle Expansion der NATO nach Asien. So verhinderte Frankreich erst kürzlich die Gründung eines dauerhaften NATO-Verbindungsbüros in Japan.

    Zwar schließen die USA seit Jahren immer mehr Militär- und Geheimdienstabkommen in der Region ab, ob daraus aber ein dauerhaftes multinationales Bündnis entstehen könnte, scheint aktuell mehr als fraglich. Zu unterschiedlich sind die jeweiligen Interessen und individuellen Konflikte der möglichen beteiligten Staaten. So haben Frankreich und Deutschland etwa kein Interesse daran, sich im Rahmen einer Beistandspflicht von den USA in einen Pazifikkrieg hineinziehen zu lassen. Zudem ist unklar, welches Land in der Region die Führung in einem solchen Bündnis übernehmen könnte.

    Stattdessen wird die Zusammenarbeit zwischen der NATO und Ländern wie Japan und Südkorea immer weiter ausgebaut. Bereits seit 2022 nehmen beide Länder dauerhaft an den Ministertreffen und Gipfeltreffen der NATO teil. Auch Vertreter aus Australien und Neuseeland sind gern gesehene Gäste der NATO. Mit allen Beteiligten verhandelt die NATO aber nicht nur über Möglichkeiten und Strategien, um den Einfluss Chinas, Russlands und Nordkoreas in Asien und dem Pazifik einzudämmen, sondern passt auch militärische Strukturen an, damit die Armeen der verschiedenen Staaten in die Lage kommen, sich in Kriegen gegenseitig zu unterstützen und gemeinsam kämpfen zu können. Dafür müssen Munitionstypen, Kommunikationsmethoden und Abläufe angeglichen und abgestimmt werden.

    Stravridis schlägt hier eine Ausweitung des Engagements der NATO vor, sodass man gemeinsam mit den „asiatischen Demokratien“ moderne Waffensysteme anschaffen und diesen zusätzlich „klar artikulierte Sicherheitsgarantien“ geben solle. Neben Australien, Neuseeland, Japan und Südkorea bringt Stravridis die Philippinen, Thailand und Singapur für solche Überlegungen ins Spiel. China seinerseits betrachtet solche Vorstöße als Bedrohung für die regionale Sicherheit.

    Eskaliert der Konflikt?

    Auch wenn heute noch nicht absehbar ist, wie sich der Konflikt zwischen den USA und ihren Verbündeten in der Region mit China im Einzelnen weiterentwickelt, so zeigen die unvereinbaren Interessen doch, dass es keine Frage ist, ob es hier zu einer Eskalation und direkten Konfrontation kommt, sondern vielmehr wann. Dabei dürfte die Möglichkeit, einen solchen Konflikt auf eine bestimmte Region zu begrenzen, deutlich geringer sein, als das zur Zeit in der Ukraine der Fall ist. So würde eine Eskalation in einem der beteiligten Länder aufgrund zahlreicher Militärstützpunkte der USA unweigerlich zu deren Kriegseintritt führen.

    Damit steuert die Welt absehbar auf den nächsten großen Krieg zu. Ein weiterer Faktor, mit dem die Beteiligten auf allen Seiten rechnen müssen, ist die Arbeiter:innenklasse, die in solch einem eskalierenden Konflikt nichts zu gewinnen hat, sondern auf den zukünftigen Schlachtfeldern verheizt werden würde. Sie ist die einzige Kraft, welche die unvermeidliche Eskalation verhindern und beenden kann.

    Dieser Text ist in der Print-Ausgabe Nr. 89 vom August 2024 unserer Zeitung erschienen. In Gänze ist die Ausgabe hier zu finden.

    • Autor bei Perspektive seit 2017 und Teil der Print-Redaktion. Freier Autor u.a. bei „Junge Welt“ und „Neues Deutschland“

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