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Montag, September 9, 2024
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    Warum wir eine unabhängig finanzierte Arbeiter:innenbewegung brauchen

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    Politische Arbeit kostet an allen Ecken und Enden Geld. Spenden von Unternehmen gibt es nicht und auch die Abhängigkeit von staatlichen Mitteln oder Stiftungen birgt Gefahren. Was ist die Lösung? – Ein Kommentar von Paul Gerber.

    Im kapitalistischen Politikbetrieb ist es Alltag: Wie selbstverständlich nehmen die großen Parteien im Bundestag nicht nur Geld von ihren Mitgliedern an, sondern auch von Unternehmen. Zwar würde auch ein Parteispendenverbot für das Kapital dieses System kein bisschen erschüttern – und dennoch zeigt sich allein an diesem Aspekt sehr offensichtlich, wer in diesem System das Sagen hat.

    Für Menschen, die sich das Ziel gesetzt haben, eine starke und kämpferische Arbeiter:innenbewegung wiederaufzubauen, die konsequent unsere Interessen vertritt, fällt diese Finanzierungsmöglichkeit weg. Dass kapitalistische Unternehmen, deren Herrschaft wir ja letztlich brechen wollen, nicht bereit sind, in die eigene Abschaffung zu investieren, versteht sich fast von selbst.

    Schwieriger gestaltet sich da oft die Diskussion darüber, wo es durchaus legitim ist, als Organisation mit klassenkämpferischem oder wenigstens fortschrittlichem Anspruch staatliche Gelder zum Beispiel in Form von Fördermitteln aus Parteistiftungen anzunehmen.

    „Besser wir kriegen es, als dass damit Panzer finanziert werden“, würden vielleicht die Pragmatiker:innen argumentieren. Eine orthodoxere Gegenposition würde jede Nutzung von staatlichen Geldern aus prinzipiellen Erwägungen ablehnen, schließlich gehört dieser Staat doch zum kapitalistischen Gesellschaftssystem, das wir überwinden wollen – oder etwa nicht?

    In der heutigen Realität vieler linker Projekte dürfte das größte Problem sein, wie schnell das eigene politische Denken beeinflusst wird, wenn man sich erst einmal in Abhängigkeit von Finanzen oder Infrastruktur z.B. der Linkspartei, der DGB-Gewerkschaften oder gar der Grünen begeben hat.

    Was oft als einmalige Unterstützung für eine Demonstration oder eine teure Anschaffung für den kollektiven Kampf beginnt, bei der es auf den ersten Blick keine Nachteile oder Bedingungen gibt, wird schnell zur Gewohnheit und führt dann in eine Situation der selbstgeschaffenen Abhängigkeit.

    Plötzlich gerät der Machtkampf um die Mehrheitsverhältnisse im lokalen Gewerkschaftsgremium zu einer Frage der finanziellen Überlebensfähigkeit einer lokalen Gruppe, die eigentlich Antifa- oder Umweltpolitik machen wollte. Oder die felsenfeste Unterstützung einer lokalen Linkspartei-Abgeordneten für Israels Krieg gegen die Palästinenser:innen wird zum Argument, sich selbst in dieser Frage zurückzuhalten. Natürlich ist es gut, dass ein solches Denken auch immer wieder durchbrochen wird.

    Staatliche Finanzierung für linke Projekte: Ein Auslaufmodell?

    Mit der Zuspitzung der Konflikte im Kapitalismus sowohl in Deutschland als auch weltweit, scheint diese Frage aber ohnehin aus anderen Gründen in Richtung einer Lösung drängend zu werden.

    Die von Kanzler Scholz im Februar 2022 ausgerufene „Zeitenwende” und mehr noch der ab dem 7. Oktober 2023 eskalierende Gaza-Krieg stehen für zwei geopolitische Entwicklungen, die sich sehr direkt auf die Finanzierungssituation vieler Projekte und NGO mit linkem Anspruch ausgewirkt haben.

    Eines von zahlreichen Beispielen ist hier der Stopp der Förderung des „Frauenzentrums Frieda” durch den Berliner Senat. Begründung: Mitarbeiter:innen und Leitungspersonal hatten sich an Palästina-solidarischen Protesten beteiligt.

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    Ein anderes Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit ist der Stopp der Förderung für die „Münchner Friedenskonferenz” – diese findet traditionell parallel zur „Münchner Sicherheitskonferenz” statt, um Diskussionen in der antimilitaristischen Bewegung und der Friedensbewegung zusammenzuführen.

    Hier hatten bezeichnenderweise die Fraktionen von SPD und Grüne im Stadtrat die Einstellung der städtischen Förderung gefordert. Die Konferenz hatte unter anderen den ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis eingeladen, der in den letzten Monaten eine gewisse Bekanntheit erlangt hatte, weil er als einer der prominentesten europäischen Politiker gegen den Krieg in Gaza auftrat.

    Nun wird Israels Krieg von großen Teilen der Welt als Kriegsverbrechen und völkerrechtswidrig eingeschätzt. Wenn schon die Kritik an einem solchen Krieg zu einer Hexenjagd auf staatlich geförderte Projekte führt, die von der israel-solidarischen Staatsräson abweichen, fällt es leicht, sich auszumalen, wie unrealistisch dieses Finanzierungsmodell für eine Bewegung ist, die sich ernsthaft in die Lage bringen will, die Machtverhältnisse in diesem Land auf den Kopf zu stellen.

    Mehr und mehr Wahlerfolge der AfD und eine wachsende Anzahl von einzelnen Kommunalverwaltungen, die sich bereits in AfD-Hand befinden, werden mit Sicherheit ihr Übriges dazu tun, dass der Druck auf derartige Projekte wächst.

    Was ist die Lösung?

    Eine Lösung der Frage ist damit jedoch nicht automatisch gegeben. Es gilt immer noch die richtigen Schlussfolgerungen aus dieser Entwicklung zu ziehen. Wahrscheinlich, dass sich auch mit wachsendem Druck irgendwann die Frage stellen wird: Anpassen oder den Sprung in die Unabhängigkeit wagen?

    Traditionell hat die Arbeiter:innenbewegung andere Mittel für ihre Finanzierung gewählt und wählen müssen, als die fest im kapitalistischen System verankerten Institutionen. Logisch.

    Während kapitalistische Parteien auf Großspenden vom Kapital zählen können, haben jene, die einen guten Grund haben, gegen dieses System zu kämpfen, selten viele Zehntausend Euro zuviel auf dem Konto. Dafür sind wir aber viel mehr Leute – genau das gilt es auszunutzen.

    Regelmäßige Beiträge von den aktivsten Teilen unserer Bewegung können ein Mittel der Finanzierung sein. Wir müssen sie aber ergänzen durch andere Modelle wie Spendensammlungen, bei denen wir uns nicht zu schade sein dürfen, auch diejenigen anzusprechen, die (noch) nicht aktiver Teil des Klassenkampfs sind.

    Andere Aspekte, die weiterentwickelt werden müssen, sind eigene kleine Unternehmen, die sich als Betriebe im Dienste der Bewegung verstehen, zum Beispiel in Form von Cafés oder Restaurants, die zugleich als Anlaufpunkt dienen könnten, oder in Form von eigenen Verlagen.

    Klar ist dabei, dass mit solchen Schritten auch immer die Gefahr einhergeht, sich darin zu verlieren, sodass im bedauerlichsten Fall aus dem eigenen Betrieb als Teil des kollektiven Kampfes ein Sprungbrett zur kleinbürgerlichen Selbstverwirklichung wird.

    Am Ende ist vor allem die Aufgabenstellung klar: Um den Klassenkampf unabhängig von Staat und Kapitalist:innenklasse zu führen, müssen wir ihn weiterhin auch selbst finanzieren. Ohne Großspender:innen und staatliche Gelder ist der aussichtsreichste Weg hierbei, ein Netzwerk zu schaffen, das gerade durch die Kombination verschiedener Möglichkeiten der Mittelbeschaffung Stabilität gewinnt.

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    • Paul Gerber schreibt von Anfang bei Perspektive mit. Perspektive bietet ihm die Möglichkeit, dem Propagandafeuerwerk der herrschenden Klasse in diesem Land vom Standpunkt der Arbeiter:innenklasse aus etwas entgegenzusetzen. Lebensmotto: "Ich suche nicht nach Fehlern, sondern nach Lösungen." (Henry Ford)

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