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Sonntag, September 15, 2024
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    Berichterstattung über Gaza: Die deutschen Medien verlieren ihre letzte Glaubwürdigkeit

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    Deutsche verlieren immer mehr Vertrauen in die Berichterstattung über Gaza. Das ist für die meisten nicht überraschend. Denn es gibt unzählige Beispiele für die einseitige Berichterstattung. – Ein Kommentar von Freddi Durruti.

    Eine repräsentative Umfrage von Infratest Dimap für das NDR Medienmagazin ZAPP hat – je nach Perspektive – mehr oder weniger erstaunliche Ergebnisse zutage gefördert: Fast die Hälfte der Befragten hat wenig bis gar kein Vertrauen in die deutsche Berichterstattung zum Angriff auf Gaza durch Israel. Fast ein Drittel der Befragten ist der Meinung, deutsche Medien würden zu sehr Partei für Israel ergreifen und werfen ihnen Einseitigkeit vor.

    Laut ARD-Chefredakteur Oliver Köhr seien das „erschreckende Zahlen“. Schaut man sich jedoch einige Beispiele der Berichterstattung der bedeutenden Medienunternehmen an, können diese Ergebnisse eigentlich kaum verwundern.

    Israelische Fakten – palästinensische Vermutungen?

    Erst kürzlich, am 28.8.24 schrieb beispielsweise das Handelsblatt über die Militäroffensive Israels im Westjordanland. Schon in den einleitenden Sätzen übernimmt die Zeitung kommentarlos die israelische Sicht der Dinge, indem sie schreibt: „Das Militär geht massiv gegen militante Palästinenser vor.“ In einer ersten Version des Artikels blamierte sich das Handelsblatt dann endgültig, indem es in einer Bildunterschrift schreibt: „Im Westjordanland geht das israelische Militär gegen die Hisbollah vor.“ Dass die Hisbollah im Libanon kämpft und nicht im Westjordanland scheint einige Tage später auch beim Handelsblatt angekommen zu sein, denn das Bild mitsamt der Unterschrift wurde mittlerweile gelöscht.

    Dies steht beispielhaft für das Vorgehen vieler dieser Medien. Angaben der israelischen Armee werden als Fakten behandelt, während man – wenn überhaupt palästinensische Stimmen zu Wort kommen – diese in den Konjunktiv setzt. Dabei wird so getan, als seien es nicht mehr als Vermutungen oder Meinungen. In vielen Fällen behandeln deutsche Medien Nachrichten zudem kritisch oder gleich als Falschmeldungen, sobald die israelische Armee bzw. ihre Medienabteilung nur Skepsis äußert.

    Der journalistische Grundsatz, dass beide Seiten eines Konflikts gleichwertig beleuchtet werden sollten, scheint in diesem Konflikt oft komplett verloren gegangen zu sein. Bei palästinensischen Angaben beispielsweise zu den Zahlen der Toten und Verwundeten nach israelischen Angriffen kommt oft der Zusatz, dass diese Zahlen sich nicht unabhängig prüfen ließen. Israelische Angaben übernimmt man meist ohne diesen Zusatz, obwohl sich solche Angaben in Kriegssituationen nie unabhängig überprüfen lassen.

    Beispiele hierfür sind die Angriffe auf ein Zeltlager in einer Schutzzone in Rafah Ende Mai 2024. Die Tagesschau fragte damals, ob ein Waffenlager Schuld am Ausbruch des Feuers war. Ähnliches war bei der Ermordung des Al-Jazeera Korrespondenten Ismail al-Ghoul zu sehen. Die Welt titelte dazu: „Getöteter Al-Jazeera – Journalist war laut Israel Hamas-Kämpfer“. Auch die Zeit berichtete in gleicher Weise über den Mord.

    Als im Juni das israelische Militär 270 Palästinenser:innen tötete, um vier Geiseln zu befreien, übernahm die BILD-Zeitung ohne jegliche Belege die Behauptung der israelischen Armee, der getötete Journalist Abdullah Al-Jamal, der zusammen mit seiner Frau und seinem Vater starb, sei Al-Jazeera-Mitarbeiter gewesen und habe selbst Geiseln gehalten.

    Die Washington Post benannte einen Angriff auf einen Hilfskonvoi vor wenigen Tagen sofort eindeutig: „Israel greift Konvoi von gemeinnütziger US-Organisation an und tötet 4 Palästinenser“. Die Tagesschau meldete dazu zuerst: „Vier Tote bei neuem Vorfall mit Hilfstransport in Gaza“. Mittlerweile findet man diese Formulierung nicht mehr auf der Webseite der Tagesschau, nun spricht auch sie von einem israelischen Angriff.

    Israelische Lügen über den 7. Oktober und Kriegsverbrechen der IDF

    Als die israelische Armee im Januar 2024 behauptete, Mitarbeiter:innen des UN-Hilfswerks UNRWA seien in den Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 verwickelt gewesen, übernahmen deutsche Medien das zu einem großen Teil ungeprüft. Sie sprachen von „Erkenntnissen“ (Tagesschau) und „Enthüllungen“ (Heute-Journal). Die deutsche Regierung setzte ihre Unterstützung des Hilfswerkes aus und nahm sie erst wieder auf, als im April ein Untersuchungsbericht, der unter Leitung der französischen Außenministerin Catherine Colonna erstellt wurde, keinerlei Belege für diese Behauptungen finden konnte.

    Die Lügen vom 7. Oktober

    Auch die Behauptung der israelischen Armee, am 7. Oktober 2023 habe es durch die Hamas systematische Vergewaltigungen gegeben, schaffte es in alle bürgerlichen Medien. Ungeprüft wurden die Vorwürfe übernommen und damit die Kriegszustimmung angeheizt. Dass sogar Annalena Baerbock öffentlich log, fand in den Medien keine Erwähnung. Sie hatte erzählt, sie habe ein Go-Pro-Video von Vergewaltigungen durch Hamas-Kämpfer selbst gesehen, obwohl ein Artikel der israelischen Zeitung Haaretz später belegte, dass solche Videos nicht existieren. Der Haaretz-Bericht darüber, welche von den Vorwürfen sexualisierter Gewalt durch die Hamas am 7.10.2024 belegt werden können und welche nicht, fand ebenfalls kein Gehör.

    Sehr wenig Gehör fanden auch die klar belegten Enthüllungen der systematischen Vergewaltigung palästinensischer Gefangener durch die israelische Armee in verschiedensten Gefängnissen und Folterlagern, die die israelische Menschenrechtsorganisation B’Tselem vorlegte. Auch Berichte darüber, dass einige Menschen in Israel gar für das Recht auf Vergewaltigung von palästinensischen Gefangenen demonstrierten, findet man fast nur in den Sozialen Medien, aber in keiner einzigen deutschen Zeitung.

    Vertrauensverlust kein Zufall

    Insgesamt lässt sich beobachten, dass die vielfache Kritik an der Berichterstattung in einigen Fällen zu einer Änderung der Formulierungen geführt hat. Zu Beginn des Angriffs auf Gaza sprachen viele Medien fast nie davon, dass Israel Menschen getötet habe, sondern fast immer davon, dass Menschen starben – als seien sie nicht eindeutig vom israelischen Militär ermordet worden.

    Das wohl eindeutigste Beispiel dafür war die Ermordung der 6-Jährigen Hind Rajab. Sie floh am 29. Januar 2024 mit ihrer Familie aus dem Norden des Gazastreifens als ihr Auto von der israelischen Armee beschossen wurde. Die Leichen der gesamten Familie und zweier Sanitäter des Roten Halbmondes, die der Familie zu Hilfe gekommen waren, wurden später gefunden. Der Spiegel schreibt dazu: „Palästinensische Quellen melden den Tod eines Mädchens“. Die offensichtliche Ermordung einer fliehenden Familie, sowie zweier Helfer wird damit zu einem „normalen“ Tod heruntergespielt.

    Angesichts der Fülle der Beispiele – diese Liste ist bei Weitem nicht vollständig –, in denen deutsche Medien einseitig pro Israel berichteten, kann man über den Vertrauensverlust großer Teile der Bevölkerung in die großen Medien kaum verwundert sein.

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