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Donnerstag, September 19, 2024
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    Das Geschäft mit den Swifties

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    Ihre Fans verehren sie, doch für Taylor Swift sind ihre Swifties in erster Linie ein Instrument: Mit ihrer Popmusik wurde sie zur Milliardärin. Was den Erfolg des Superstars ausmacht. – Ein Kommentar von Lena Gröbe.

    Taylor Swift (34) ist eine der erfolgreichsten Musiker:innen aller Zeiten. Das Vermögen der US-amerikanischen Sängerin beläuft sich auf geschätzte 1,3 Milliarden US-Dollar. Damit gehört sie laut Forbes zu den reichsten Menschen der Welt. Und sie ist die jüngste Sängerin, die je Milliardärin wurde. Nicht schlecht.

    Der Beleg für den enormen Erfolg: Die „Swifties“, die Anhänger:innen der Pop-Sängerin. Swifties gelten mittlerweile als eine der bedeutendsten und einflussreichsten Fan-Gemeinschaften aller Zeiten. Sie sind bekannt für ihre extreme Hingabe an ihr Idol, die nicht selten in leidenschaftlichen Fanatismus übergeht.

    Swifties lieben Taylor: Sie feiern ihre konventionell-poppige Musik für repetitive Texte über Liebe, Herzschmerz und Beziehungsstress. Sie sehen die Sängerin gleichzeitig als beste Freundin, große Schwester, „love interest“ und großes Idol – alles in einer Person. Alles in einem US-amerikanischen und milliardenschweren Superstar vereint, der nicht weiter weg sein könnte von der Realität, in der sie selbst leben. Warum das alles? Woher dieser Hype?

    Meine Freundin, Taylor Swift

    Taylor Swift macht in der Branche ein Angebot, das enorm viel zahlungskräftige Nachfrage generiert: Sie schafft eine weltweite Gemeinschaft von Fans, indem sie eine scheinbar persönliche Beziehung zu ihnen aufbaut und diese Verbindung auf einzigartige Weise pflegt. Die Sängerin kommuniziert mit den Swifties über soziale Medien, überreicht ihnen persönliche Geschenke, lädt sie zu privaten Konzerten und „Meet-and-Greets” ein oder stattet überraschende Besuche ab. Solche medienwirksam inszenierten Gesten schaffen so den Anschein von Intimität und Verbindung, wo in Wahrheit ein instrumentelles Verhältnis vorherrscht.

    Durch geschickte Einbindung geheimer Botschaften – sogenannte „Easter Eggs“ – in ihre Songs und Videos, die sowohl Anspielungen auf frühere Alben und wichtige Personen als auch Insider-Witze und Hinweise auf kommende Musik enthalten, hat sie es geschafft, ihre Fangemeinde dazu zu bringen, jeden Song und jedes Video akribisch zu analysieren. Die kollektive Entschlüsselung schafft nicht nur neue Trends, sondern führt auch zu einer intensiven, globalen Vernetzung der Swifties.

    Ein Beispiel dafür ist das Flechten von Freundschaftsbändern, die bei Konzerten getauscht werden. Seit der Zeile „So, make the friendship bracelets, take the moment and taste it“ aus Taylor Swift’s Album „Midnights“ (2022) ist dieser Brauch zu einem festen Ritual geworden, bei dem Swifties auf der ganzen Welt Bänder knüpfen und auf den Konzerten der aktuellen „Eras“-Tour untereinander austauschen.

    Liberal feminism sells

    Taylor Swift ist eine knallharte Geschäftsfrau, deren erstes Interesse der Kaufkraft ihrer Fans gilt – nicht deren Persönlichkeit. Sie konnte erfolgreich ein zahlungskräftiges, überwiegend linksliberales und weibliches Publikum für sich mobilisieren. Sie entspricht in diesem Sinne ökonomisch wie politisch den US Democrats, die sich ebenfalls an das liberale Bürgertum wenden und sozialen Fortschritt versprechen. So verwundert weder die Nominierung der weiblichen, migrantischen Kamala Harris durch die US Democrats noch deren Unterstützung durch – na klar: Taylor Swift.

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    Kaum jemand verkörpert den liberal-feministischen Ansatz so sehr wie Taylor Swift. Dafür kritisiert sie vorgeblich patriarchale Strukturen, in denen Frauen noch immer nicht das Gleiche erreichen könnten wie Männer, und nutzt sich selbst als Referenz:

    In ihrem Song „The Man“ singt sie bezeichnend: „I’m so sick of running as fast as I can, wondering if I’d get there quicker if I was a man.“ Das sind schon spannende Aussagen von einem stinkreichen Superstar, der überall im Privatjet hinfliegt, und man möchte fragen: „Wo willst du denn noch ‚hinrennen‘, Taylor?“ Du hast als Eigentümerin zahlreicher Luxusimmobilien auf der ganzen Welt definitiv mehr gemeinsam mit Nachbar Leonardo diCaprio („I’d be just like Leo, In St. Tropez”) als mit irgendeiner anderen Frau auf der Welt, die teilweise ewig sparen muss, um sich überhaupt mal ein kurzes Konzert von dir angucken zu können. Zu den Verlierer:innen der Konkurrenzgesellschaft gehörst du definitiv nicht.

    Apropos: Wer noch Tickets für Konzerte Ende des Jahres in den USA oder Kanada kaufen möchte, kann dafür mehrere tausend Euro bereit legen: Eine Karte kostet je nach Datum und Ort ab 2.000 Euro, aufwärts ist dem natürlich keine Grenze gesetzt. Zugegeben, wer sehr frühzeitig Tickets für deutsche Konzerte der Eras-Tournee gekauft hat, war deutlich günstiger dran. Die Sitzplätze begannen bei 113,65 Euro, wobei die Preise bis zu 641,50 Euro erreichen konnten. Bei ausverkauften Konzerten wurden diese Tickets dann auf Plattformen wie eBay und Co. oft für mehrere tausend Euro weiterverkauft.

    Öffentlicher Safe Space gegen Eintritt

    Mehrere hundert Euro Eintritt für einen angeblichen „Safe Space” in einer Konzerthalle mit zehntausenden Menschen – Taylor Swifts Konzerte sollen, glaubt man ihren Swifties, genau das bieten: Einen sicheren Raum für queere Menschen und Frauen. Unklar bleibt, worin diese Sicherheit auf einer Massenveranstaltung bestehen soll, zu der jeder mit dem nötigen Geld und etwas Glück Zugang erhält. Doch nach den Anschlagsplänen auf die Konzerte in Wien und die folgenden Veranstaltungsabsagen sind sich die Swifties bei Twitter/X sicher: Taylor Swift hätte mit ihren Konzerten einen Safe Space „erschaffen”, der ihnen durch die Absagen genommen wurde.

    Das ist doch merkwürdig: Die öffentlichen Massenveranstaltungen eines Weltstars sollen sichere Orte für Frauen und Queers sein, nur weil sich dort viele weibliche und eher queerfreundliche Menschen tummeln? Und Taylor Swift höchstpersönlich sei dafür verantwortlich, habe quasi für die „Sicherheit” dieses Raumes gesorgt, der nun durch „die Männer” zerstört wurde. Man muss schon wahnsinnig stark von den realen Gegebenheiten abstrahieren, um zu dieser Einschätzung zu gelangen.

    Ihre Fans aber scheinen im Abstrahieren geübt zu sein, denn Taylor Swift hat es mit Songs, die sich fast ausschließlich nur um ihr eigenes Liebesleben drehen, geschafft, zu einer queer-feministischen Ikone zu werden. Und das, nachdem sie sich lange bewusst mit politischen Aussagen zurückgehalten hatte. Dass ihre rosa-pinke „girlhood“-Ästhetik und Herzschmerz-Lyrics eigentlich eine ziemlich begrenzte Vorstellung von Weiblichkeit vermitteln, scheint dabei niemanden zu stören. Eine Frau singt über Frauensachen, juhu!

    „Beruhigt euch alle mal!”

    Zur Fürsprecherin der queeren Community avancierte die Sängerin unter anderem auch durch ihren Song „You Need to Calm Down “, in dem sie queerfeindliche Menschen auffordert, sich weniger aufzuregen und „glad“ statt „mad“ zu sein. Da möchte man gerne fragen, warum die Leute überhaupt queerfeindlich werden – das wird in dieser Darstellung nämlich beständig ausgeblendet und als gegeben hingenommen.

    Wenigstens hat sie für das Video zum Song eine ganze Reihe queerer Promis vor die Kamera geholt und tanzt mit ihnen durch eine glitzernd-bunte Sommerwelt. Abgerundet wird das Ganze durch den Aufruf zur Unterstützung der Petition „Nationale Rechte, die alle gleich behandeln“ auf Change.org. Sie selbst ist laut eigener Aussage übrigens nicht queer, auch wenn Fans stetig versuchen, ihr das Gegenteil zu beweisen.

    Das Video fasst Taylor Swifts Feminismus eigentlich ganz gut zusammen: „Nazis”, stereotypisch amerikanisch als „Rednecks“ mit Karohemden und Cowboyhüten dargestellt, sollen einfach aufhören, Schwule auf der Straße anzupöbeln. Wieder die Frage: Warum tun sie es denn überhaupt? Queerfeindlichkeit scheint bei Taylor Swift ein Naturgesetz, das keinerlei (Er-)Klärung bedarf.

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    Außerdem solle es laut Swift mehr rechtliche „Gleichbehandlung“ geben – oder andersherum: weniger rechtliche „Ungleichbehandlung“. Zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt: Wenn Kapitalist:innen darüber entscheiden, wer sich für sie nützlich machen darf und wer nicht, dann soll die Brauchbarkeit der Menschen für das geschäftliche Anliegen nicht daran bemessen werden, welches Geschlecht, welche Sexualität oder welche Herkunft die Personen haben.

    Dass Menschen in Klassen und nach Brauchbarkeitskriterien sortiert werden, wird von Taylor Swift nicht beanstandet – nur die Kriterien dafür sollen für alle gleich sein. Wenn eine Schwarze Frau vom Lohnerwerb ausgeschlossen wird, dann immerhin nicht, weil sie Schwarz oder weiblich ist, sondern „nur“ auf Basis anderer, frei von den Unternehmer:innen festgelegten Selektionskriterien. Super!

    Nicht denken – nur fühlen!

    Taylor Swift ist einfach ein Lebensgefühl. Sie bedient das Bedürfnis nach Wohlfühlen und Zugehörigkeit. Mit anderen Swifties finden insbesondere junge Frauen eine Gemeinschaft und einen Sinn, die sie in sonst ziemlich grausamen, individualisierten Gesellschaften vermissen: Das ganze Phänomen Taylor Swift ist in erster Linie ein Angebot zur Bewältigung der Sinnfrage.

    Die „Liebe” zu Taylor, die Swifties verspüren, und der Zusammenhalt unter ihnen erinnern an eine Fankultur, die auf den ersten Blick nicht unterschiedlicher sein könnte: die der Fußballfans. Während Letztere für besoffene und grölende Hetero-Männer steht, sind die Swifties eher weiblich, „woke” und queer. Was sie eint, ist ihre beinahe besessene Begeisterung für eine Mannschaft oder eine Person, die sie selbst nicht persönlich kennen, mit der sie sich jedoch stark identifizieren und die sie zu einem großen Teil ihres Privatlebens machen.

    In beiden Fankulturen wird mit der gleichen Feindseligkeit auf Personen reagiert, die sich über die jeweilige Fangemeinschaft lustig machen. Die gleichen horrenden Beträge werden ausgegeben, um die Subjekte der Fanliebe einmal live zu erleben, und ähnlich großer Wert wird auf Erkennungszeichen an Kleidung und persönlichen Gegenständen gelegt. Durch das Leben als Fan wird sich ein anderer „Lebensinhalt” verschafft – fernab der häufig frustrierenden „Fragen” namens Arbeit, Wohnen oder Familie.

    Was spricht gegen Unterhaltung?

    Der Vorwurf, Popmusik im Allgemeinen und Taylors Musik im Speziellen seien inhaltslos und uniform, verfehlt hingegen das Wesentliche. Manche Kritiker:innen echauffieren sich gerne über die vermeintliche Kulturlosigkeit solch „typisch amerikanischer Musik”, die „nur noch” der Unterhaltung der Rezipient:innen diene – ganz so, als wäre das etwas Verwerfliches. Das ist seltsam, denn gegen Unterhaltung und Genuss ist doch überhaupt nichts einzuwenden.

    Spannend wird es dort, wo Künstler:innen durch geschickte Instrumentalisierung eines zahlungskräftigen Publikums zu milliardenschweren Superstars aufsteigen und sich dennoch bei ihren Fans als vertraute Freund:innen von nebenan inszenieren können. Aufmerksamkeit verdient der Moment, in dem es eben nicht mehr „nur” um „reinen Genuss“ geht, sondern um weit mehr: um Zugehörigkeit und Sinnstiftung. Und genau das ist die Funktion der liberalen „Swiftonomics“.

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