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Sonntag, September 15, 2024
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    Keine Mücke, kein Elefant: Drei Lehren aus den Landtagswahlen

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    Die AfD konnte bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen deutliche Erfolge einfahren. Das sollte man ernst nehmen, aber auch nicht den Kopf in den Sand stecken. – Ein Kommentar von Julius Strupp

    Am Sonntag konnte die AfD bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland große Erfolge einfahren. In Thüringen wurde sie stärkste, in Sachsen zweitstärkste Kraft und holte in beiden Bundesländern mehr als 30 Prozent der Stimmen. Damit konnte die Partei starke Zugewinne verbuchen, wenngleich das Ergebnis in der Größenordnung erwartbar war.

    Die Reaktionen auf den rechten Wahlerfolg reichen dabei von Fassungslosigkeit und Panik über Erleichterung bis zu Freude bei Anhänger:innen und Mitgliedern der AfD. Aus Sicht von uns Arbeiter:innen und Antifaschist:innen sind all das aber keine Antworten. Wir müssen stattdessen verschiedene Lehren aus dem Vormarsch der Rechten ziehen, um in die Lage zu kommen, ihn zu stoppen.

    1. Wir müssen den Erfolg der AfD ernst nehmen

    Wenn das erste Mal seit Ende des Hitlerregimes eine faschistische Partei eine Landtagswahl gewinnt, müssen wir das natürlich ernst nehmen. Die Wahlerfolge der Faschist:innen sind das Ergebnis jahrzehntelanger rechter Aufbauarbeit. Sie zeigen, dass es den Rechten gelungen ist, auf Unzufriedenheiten und Protest zu reagieren, ihre Scheinlösungen unters Volk zu bringen, die Gefühle der Menschen anzusprechen, ihr Denken und ihr Bewusstsein zu prägen und die Grenzen des Sagbaren zu verschieben.

    Hinter und in der Partei sitzen Strateg:innen, die all das seit Jahrzehnten vorbereitet, erdacht und im Rahmen anderer Projekte ausprobiert haben. Die Ernte der Saat rechter Denkfabriken wie des ehemaligen Instituts für Staatspolitik, aktivistischer Gruppen wie der Identitären Bewegung oder rechter „Bürgerbewegungen“ wie PEGIDA oder Zukunft Heimat kann die AfD nun in Form von Wahlerfolgen einfahren.

    Möglich gewesen wäre all das nicht, wenn die AfD keine mächtigen Unterstützer:innen hätte: Erst im letzten Jahr wurden Kontakte zwischen der Partei und dem Molkerei-Milliardär Theo Müller öffentlich. Die Förderung der AfD durch die Bonzen-Familie von Finck (bekannt u.a. durch ihre Firma Mövenpick) ist dagegen schon länger bekannt, ebenso Verstrickungen mit Immobilienhaien oder christlich-fundamentalistischen Adelsnetzwerken (insbesondere um die Abgeordnete Beatrix von Storch).

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    Diese Unterstützung aus der kapitalistischen Elite war für den Erfolg des AfD-Aufbaus im Vergleich zu anderen rechten Parteiprojekten lebensnotwendig. Der neurechte Vordenker Götz Kubitschek beschreibt es so, dass die AfD als „Partei der Mitte“ entstehen musste, um zu einer sogenannten „Volkspartei“ zu werden.

    2. Nicht auf Panikmache einlassen

    Aus einem ernsten Herangehen gegen die Erfolge der AfD darf aber auch keine panische Überreaktion werden. Am Sonntag ist kein zweites 1933 über uns hereingebrochen: Weder steht eine faschistische Regierungsbeteiligung überhaupt in Aussicht, noch orientieren entscheidende Teile der deutschen Wirtschafts- und Staatselite direkt auf eine AfD-Herrschaft hin.

    Alle anderen bürgerlichen Parteien haben Koalitionen mit der AfD ausgeschlossen, und auch innerhalb der Partei ist es umstritten, ob eine Koalition mit der CDU überhaupt erstrebenswert wäre. Gleichzeitig organisieren deutsche Weltmarktführer-Unternehmen gerade Kampagnen gegen die AfD und betrachten sie gar als Imageschaden für den Wirtschaftsstandort Deutschland, statt die Geldtöpfe der Partei zu füllen.

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    Gesellschaftliche Krisen, Kriegsvorbereitungen und Klassenkämpfe haben sich noch nicht so zugespitzt entwickelt, dass eine Herrschaft der Faschist:innen notwendig wäre, um den Kapitalismus in Deutschland aufrechtzuerhalten. Deshalb lässt man die Finger lieber von der AfD, ehe man sich an Höcke und den Seinigen die Finger verbrüht.

    Außerdem zeigt etwa das Beispiel Italien, dass eine Regierungsbeteiligung einer oder mehrerer faschistischer Parteien noch nicht bedeutet, dass eine offene Diktatur errichtet wird – wohl aber, dass ein langfristiger autoritärer Staatsumbau betrieben wird.

    3. Die eigene Seite aufbauen

    Würden wir den rechten Vormarsch nicht ernst nehmen, könnten wir es nicht konkret angehen, ihn zu stoppen. Wenn wir aber heute schon eine AfD-Diktatur herbei schreien, können wir auch keine langfristige antifaschistische Politik entwickeln, sondern setzen aus Panik unser Kreuz beim „kleineren Übel“ oder rufen nach der harten Hand des Staats gegen die faschistische Bewegung.

    Wenn wir unser Vertrauen dann aber in diejenigen Parteien setzen, die den Boden für den Vormarsch der AfD erst bereitet haben, wird das für uns zum Bumerang. Es sind nämlich SPD, Grüne und FDP, die heute real eine rechte Innenpolitik durchsetzen.

    Stattdessen müssen wir unsere Position als Arbeiter:innenklasse entwickeln: Was wir brauchen, um den Rechten eine echte Alternative entgegenzusetzen, ist nämlich eigene Macht. Die können wir nur aufbauen, wenn wir uns dort, wo wir leben und arbeiten, zusammentun, Kämpfe um unsere Interessen führen, mehr werden und eigene Lösungen entwickeln. Wir müssen eine Alternative der Solidarität aufbauen, dort wo die Rechten nur Spaltung und die Regierenden nur ein „Weiter so!“ anzubieten haben.

    • Autor bei Perspektive seit 2019, Redakteur seit 2022. Studiert in Berlin und schreibt gegen den deutschen Militarismus. Eishockey-Fan und Hundeliebhaber. Motto: "Für alles Reaktionäre gilt, dass es nicht fällt, wenn man es nicht niederschlägt."

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