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Selbst organisierte Streiks gegen Entlassungen

VW, Ford, ZF — in den vergangenen Monaten häufen sich die Meldungen über Entlassungspläne von großen deutschen Konzernen. Die gewerkschaftlichen Antworten darauf sind meist nur zahnlose Symbolaktionen und soziale Abfederung. Vor 20 Jahren hat die Belegschaft von Opel Bochum vorgemacht, wie man konsequent kämpft — mit einem selbständigen Streik. – Ein Rück- und Ausblick von Thomas Stark.

Es ist der 14. Oktober 2004, ein Donnerstag: Aus den Nachrichten erfährt die Belegschaft des Autoherstellers Opel in Bochum, dass der Mutterkonzern General Motors mehrere tausend Stellen in ihrem Werk abbauen will. Während Betriebsrat und IG Metall keine Anzeichen von Aktivität zeigen, schreiten einige Vertrauensleute zur Tat: Noch am Abend treten 3.000 Arbeiter:innen der Spätschicht in den Streik. Die nächsten Schichten nehmen den Ball auf und führen den Ausstand weiter. Das Werk wird über das Wochenende besetzt gehalten und die Tore blockiert. Da Opel Bochum auch Teile für andere GM-Werke in Europa fertigt, steht nach kurzer Zeit auch dort die Produktion still, so etwa in Rüsselsheim und Antwerpen. Die Nachricht vom Bochumer Streik verbreitet sich international – aus zahlreichen Ländern erhalten die Opelaner:innen Solidaritätsadressen.

Drohungen und Beschwichtigung

Der Bochumer Opel-Streik vor 20 Jahren ist als einer der großen wilden Streiks in Deutschland in die Geschichte eingegangen. Es kommt nicht so häufig vor, dass sich eine Belegschaft hierzulande selbständig die Macht nimmt und ihren Betrieb jenseits von gewerkschaftlichen Tarifritualen konsequent lahmlegt. Der Konzern drohte den streikenden Arbeiter:innen dafür mit fristlosen Entlassungen. Darüber hinaus handelten die Bochumer Opelaner:innen auch gegen den Widerstand von Betriebsrat und IG Metall, die den Streik schnell beenden und die Kolleg:innen auf einen Aktionstag vertrösten wollten. Der Spiegel schrieb am 19. Oktober 2004 von einer „Kluft“ zwischen Betriebsrat und Belegschaft. Während die Arbeiter:innen ihren vermeintlichen Interessenvertreter:innen vorwarfen, die Belegschaft spalten zu wollen, hetzten diese gegen „Scharfmacher“ im Betrieb — und bestätigten damit letztlich den Spaltungsvorwurf.

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Der Streik kam nämlich keineswegs völlig spontan, sondern geschah auf Initiative organisierter Betriebsaktivist:innen. Bereits während der Betriebsratswahl von 1972 hatte sich im Bochumer Werk eine Gruppe oppositioneller Gewerkschafter (GoG, später: Gegenwehr ohne Grenzen) gebildet, die mit einer eigenen Liste gegen die IG Metall antrat. Der Gruppe gehörten linke Sozialdemokrat:innen, Kommunist:innen und fortschrittliche Arbeiter:innen an. Sie bestand auch 2004 noch und war unter der Belegschaft gut verankert — eine wichtige Bedingung für das schnelle Agieren am 14. Oktober. Ein GoG-Aktivist fasste die besondere Situation bei Opel Bochum später zusammen: „Um zu begreifen, was da anders gelaufen ist (…), muss man erstmal sehen, dass es in Bochum von Anfang an immer eine starke Opposition gab, auch im Betriebsrat.“ Neben der GoG gab es als weitere Initiative oppositioneller Gewerkschafter noch die Gruppe Offensiv.

Großkonzerne entlassen wieder

Die Bochumer Erfahrung ist deshalb so wichtig, weil Großkonzerne in Deutschland auch heute wieder Stellenstreichungen planen: Der Autozulieferer ZF etwa hat angekündigt, bis zu 14.000 Jobs abzubauen — und damit etwa jeden vierten seiner Beschäftigten in Deutschland „frei” zu stellen. ZF begründet den Jobkahlschlag mit dem Umstieg der Autoindustrie auf Elektroautos. Hierdurch entfällt die Notwendigkeit der Produktion von Getrieben sowie anderer Bauteile von Verbrennern. Deshalb haben auch andere Autozulieferer wie Bosch bereits Stellenabbauprogramme angekündigt oder ziehen sie in Erwägung. Und der US-Autobauer Ford will in seinem Kölner Werk — wo 1973 der berühmte Streik der Gastarbeiter:innen stattfand — 2.300 Stellen streichen.

Ein besonders drastischer Bruch kündigt sich bei Volkswagen an: Das Unternehmen will bis zum Jahr 2026 10 Milliarden Euro einsparen, hat schon die seit 1994 geltende Jobgarantie aufgekündigt und schließt erstmals in der Geschichte sogar Werksschließungen in Deutschland nicht mehr aus. Ab Juli 2025 könnte auch der Wolfsburger Konzern betriebsbedingte Kündigungen aussprechen.

Vom Protest zum Streik?

Gegen die Stellenabbaupläne gibt es bereits Protest: Am 11. September organisierte die IG Metall einen bundesweiten Aktionstag gegen den Kahlschlag bei ZF, an dem sich etwa 20.000 Beschäftigte an verschiedenen Unternehmensstandorten wie Friedrichshafen, Schweinfurt, Saarbrücken und Düsseldorf beteiligten. Ein Betriebsrat erklärte gegenüber dem SWR, man wolle „den kompletten Werkzeugkasten des Betriebsrats ausnutzen, um Druck aufzubauen“. Das letzte Mittel der IG Metall wäre „der Aufruf zu einem Streik, zum Beispiel für einen Zukunfts- und Sozialtarifvertrag“.

Unsere Interessen mit Streiks durchsetzen

Damit ist das Wort Streik zwar immerhin mal gefallen. Die gleichzeitige Relativierung der Drohung, indem der Streik als „letztes Mittel“ bezeichnet und als Ziel lediglich ein Sozialtarifvertrag genannt wird, deutet jedoch nicht auf einen entschlossenen Kampf um jeden Arbeitsplatz hin. Vielmehr kristallisiert sich hier das gewerkschaftliche Aktionsschema aus früheren Arbeitskämpfen heraus: Erst wird der Mund sehr voll genommen und dann werden nicht mehr als Abfindungen für die entlassenen Kolleg:innen herausgeschlagen. Bei Ford Köln will die IG Metall die Belegschaft ebenfalls auf einen Sozialtarifvertrag ausrichten. Dem traten betriebliche Aktivist:innen in der Zeitschrift Scheinwerfer bereits mit der Gegenforderung nach einem selbständigen unbefristeten Streik entgegen.

Konsequenter Kampf statt Beschwichtigung

Abfindungen, sogar sehr hohe, gab es vor zwanzig Jahren auch bei Opel. Am Ende wurden also doch Stellen abgebaut, in Bochum gingen allein 1.300 Beschäftigte „freiwillig“ in Transfergesellschaften. Betriebsrat und IG Metall hatten es zuvor nach sechs Tagen geschafft, den wilden Streik geschickt „abzumoderieren”: Bei einer Urabstimmung ließen sie die Kolleg:innen über die Frage abstimmen: „Soll der Betriebsrat die Verhandlung mit der Geschäftsführung weiterführen und die Arbeit wieder aufgenommen werden?“. Dabei konnte nur mit „ja” oder „nein” abgestimmt werden – und „ja“ gewann.

Das Verhandeln wurde dem Weiterstreiken also gegenübergestellt. Endergebnis war die Individualisierung des Konflikts: Jede:r konnte/musste sich selbst überlegen, ob er oder sie auf ein Abfindungsangebot einsteigt. Zehn Jahre später schloss Opel das aufsässige Werk in Bochum ganz. Es bleibt die Erfahrung, wie eine Belegschaft das Unternehmen und sein Co-Management durch schnelles, entschlossenes Handeln überrumpeln und in die Enge treiben kann. Aus diesen Erfahrungen heißt es für die kommenden Kämpfe gegen Massenentlassungen zu lernen.

  • Perspektive-Autor seit 2017. Schreibt vorwiegend über ökonomische und geopolitische Fragen. Lebt und arbeitet in Köln.

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