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Zeitung für Solidarität und Widerstand

Was ist uns mehr wert: Das Yachten-Geld der Konzernbosse oder die Bildung und das Wohlergehen der Kinder?

Wie sollen Eltern, die selbst keine Hochschulbildung und keine erzieherische Ausbildung haben, auch noch Aufgaben von examinierten Lehrkräften ganz nebenbei übernehmen? Immer weiter wird die Benachteiligung vieler Haushalte auf die Spitze getrieben. Vor allem leistungsschwächere Schüler:innen verlieren den Anschluss. – Ein Kommentar über Homeschooling von Nataliya Winter

Vor einiger Zeit twitterte die verzweifelte Mutter Lilli Marlene: „Gleichzeitig Home-Officeing, Home-Schooling, Home-Haushalting und Home-Bespaßclowning. Ergibt Home-Nervenzusammenbruching.“

Dieser Tweet veranschaulicht die Misere der meisten Eltern in der Pandemie: Ob sie einer Lohnarbeit nachgehen, arbeitsuchend sind oder studieren – in jedem Fall müssen sie seit dem Lockdown zusätzlich Lehrkräfte sein.

Dabei ist dem Bildungsministerium gleichgültig, dass die Wenigsten eine ausgebildete Lehrkraft sind und unbezahlt diese Arbeit verrichten müssen. Teils müssen Eltern somit 12-16 Stunden hintereinander hart arbeiten.

Wie sollen Eltern, die selbst keine Hochschulbildung und keine erzieherische Ausbildung haben, auch noch Aufgaben als Lehrkraft ganz nebenbei übernehmen?

So wird die Demütigung der benachteiligten Haushalte auf die Spitze getrieben. Vor allem leistungsschwächere Schüler:innen verlieren den Anschluss.

Nicht nur die Motivation der Lernenden, sondern auch die Unterstützungsmöglichkeiten der Eltern, deren Bildungshintergrund, die Wohnsituation und die technische Ausstattung der Familien haben großen Einfluss auf den Erfolg des häuslichen Lernens.

Noch dazu müssen Eltern weitaus mehr ausgeben als gewohnt: Erhöhte Heiz- und Wasserkosten, Druckkosten, Kosten für Masken, Hygienesprays, für neue Geräte etc.. Viele Haushalte mussten sich neue Laptops, Tablets oder Drucker zulegen. Andere können sich das erst gar nicht leisten. Diese und alle weiteren Zusatzkosten spüren die ärmeren Haushalte sofort.

Natürlich gibt es so jeden Tag millionenfach Tränen, Streits, Kämpfe und Nervenzusammenbrüche. Gleichzeitig sind viele Eltern gar nicht in der Lage, ihre Kinder während der Schulschließung zu betreuen, weil sie weiterhin arbeiten und pendeln müssen.

Deswegen sind allein in Mittelsachsen 30 Prozent der Schulkinder in Notbetreuung. Und damit lassen sich auch die weiterhin hohen Infektionszahlen erklären. Während es für Eltern und Kinder einen unerträglichen Freizeit-Lockdown gibt, besteht für viele weiterhin die Gefahr, sich auf der Arbeit oder auf dem Weg zur Arbeit zu infizieren.

„Arbeitgeber“präsident gegen Betriebsschließungen für den Infektionsschutz

Die Leiden der Kinder

Den Kindern geht’s nicht besser. Einerseits werden sie von ihren Freunden und Freundinnen getrennt. Andererseits können sie aus der vielen Zeit kaum echte Freizeit machen.

Im Gegenteil: Der Staat hält sich weitgehend raus, wenn es um die mentale Versorgung der Menschen geht. Das zerreißt die Kinder innerlich, die auf sich allein gestellt sind zwischen nervenden Hausaufgaben und Zerstreuung.

Schulkinder, die nicht den ganzen Tag betreut werden können, müssen sich ohne Lehrkräfte oder angemessene Anleitung selbst um ihr „Humankapital“ kümmern. Das ist doch krank!

Auch vorher waren schon fast 15 Prozent aller Jugendlichen von Burnout betroffen, nicht zuletzt wegen des Leistungsterrors in der Schule. Generell nimmt die Zahl psychischer Erkrankungen bei Jugendlichen zu. Aber 2020 und 2021 werden die Folgen für die Seele der Kinder noch schwerer sein. Und das macht wütend! Sehr wütend!

Die Schwierigkeiten der Corona-Lehrkräfte

Was die Lehrkräfte angeht, so können sie ihre Aufgaben häufig nicht ausreichend erfüllen. Eigentlich sind sie Expert:innen ihres Fachs und Erzieher:innen zugleich. Aber in Sachsen werden sie praktisch halb in den Zwangsurlaub gesteckt, weil das Land ihnen nicht ermöglicht, ihre Arbeit zu tun. Die Lehrkräfte werden darauf reduziert, Aufgaben digital hochzuladen und zu korrigieren – obwohl sie mit einer vernünftigen Ausstattung weiterhin guten Unterricht geben könnten, halt online.

Die elende Lernplattform „LernSax“ ist keinesfalls geeignet, den Präsenzunterricht zu ersetzen. Stundenlang muss auf eine stabile Verbindung gewartet werden. Und wenn man sich endlich einloggen kann, sind die Aufgaben häufig chaotisch auf etliche Ordner verteilt.

Die Handhabung gerät zum Nachteil von Kindern und Eltern, die den Überblick behalten müssen. Und Videokonferenzen sind in vielen Schulen nur im Ausnahmefall möglich.

Zusätzlich gibt es rechtliche und finanzielle Barrieren, die eine flächendeckende und effektive Nutzung der neuen Medien verhindern. Dabei wäre guter digitaler Unterricht durchaus möglich – mit einem Ausbau der Schulen und des Internets. Viele weniger reiche Länder haben das bewiesen. Es gibt unzählige Beispiele dafür. Nur Deutschland schafft es nicht – besonders Sachsen nicht. Kein Wunder: Deutschland ist immer noch ein digitales Entwicklungsland. Aber warum?

Bildung in Sachsen und fehlende Digitalisierung in Deutschland

Das sächsische Bildungsministerium hat versagt. Seit 1990 wird Sachsen von der CDU regiert. Das zeigt sich auch in der Bildung. Die Pandemie lässt die Mängel der sächsischen Bildungspolitik nun deutlich zutage treten:

Es gibt seit Jahren zu wenige Lehrkräfte. Besonders in den ländlichen Gebieten und in Ostsachsen findet eine Bildungs-Katastrophe statt. Dort übersteigt der Bedarf an Lehrkräften viermal das verfügbare Lehrpersonal. Für 2020 und 2021 hat der Bildungsminister Christian Piwarz nur 200 neue Stellen vorgesehen, obwohl tausende Kinder neu in die Schulen kommen.

Uschi Kruse von der „Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft“ (GEW) erklärte daher: „Hätte die CDU-Landesregierung vor zehn Jahren auf Mahnungen gehört und frühzeitig Personalentwicklung betrieben, wären wir nicht in diese Falle gelaufen.“

Die Bildungspolitik der CDU ist weiterhin auf Ungleichheit ausgerichtet. In Sachsen wird das dreigliedrige Schulsystem wie das Amen in der Kirche verteidigt. Die Gymnasien erhalten die größte Förderung.

Währenddessen werden Volksbegehren nach Gemeinschaftsschulen ignoriert. Dadurch bleibt guter Unterricht nur einer Minderheit vorbehalten. Alle anderen Schulformen werden benachteiligt, und das spüren wir nun besonders beim Homeschooling.

Aber nicht nur das Bildungsministerium in Sachsen hat versagt. In ganz Deutschland hat man den Sprung in das 21. Jahrhundert verschlafen: Nicht nur für Kanzlerin Merkel war das Internet „Neuland“. Deswegen sind die Schulen auf den digitalen Unterricht kaum vorbereitet. Seit 30 Jahren hängt man dem technischen Standard hinterher.

So gaben 2018 laut einer Studie 77 Prozent aller Kinder in der achten Klasse an, in der Schule weniger als einmal die Woche digitale Medien einzusetzen; ein Sechstel sogar nie. Aber anstatt jetzt endlich eine echte Digitalisierung der Bildung umzusetzen, gibt man sich mit Oberflächlichkeiten zufrieden. Diese täuschen nicht über die Wirklichkeit hinweg: Bund und Länder haben die Kinder im Stich gelassen.

Was kann die Lösung sein?

Die „Internationale Jugend“, eine Jugendorganisation, hat einige Punkte aufgestellt, denen wir uns weitgehend anschließen können:

  • kostenlose digitale Endgeräte für alle Schüler:innen
  • Weiterbildung im digitalen Unterrichten für Lehrer:innen
  • Ausbau des schnellen Internets überall in Stadt und Land
  • kostenlose und flächendeckende Schnelltests auch für Schüler:innen!
  • kostenlose und flächendeckende psychologische Unterstützung für Schulkinder
  • Luftfilteranlagen für alle Klassenräume!
  • es muss dafür gesorgt werden, dass in Zukunft Abstände eingehalten werden können!
  • kein erzwungenes Sitzenbleiben!
  • keine benoteten Leistungsüberprüfungen im Jahr 2021!
  • eine wirklich kostenlose Bildung, sodass die ärmeren Haushalte nicht noch mehr benachteiligt werden!
  • die Empfehlungen aus der Wissenschaft müssen endlich durchgesetzt werden, anstatt immer weiter Personalmangel zu schaffen!
  • den viel zu geringen Bildungshaushalt der Bundesregierung von 20 Milliarden auf mindestens 32 Milliarden Euro erhöhen!

Für die Rettung von Konzernen werden im Bundeshaushalt 2021 über 500 Milliarden eingeplant. Warum können die Bildungsausgaben da nur 20 Milliarden betragen?

Die Frage ist: Was ist uns mehr wert? Das Yachten-Geld der Konzernbosse oder die Bildung und das Wohlergehen unserer Kinder?

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