Der britische Premierminister Boris Johnson erklärte, das neue Gesetz richte sich gegen Proteste, die als besonders störend eingeordnet würden. Bürgerrechtler:innen sehen in dem Gesetz jedoch eine faktische Abschaffung der Versammlungsfreiheit und die maßlose Ausweitung der Kompetenzen von Polizeibehörden. Der Vorstoß kommt wenige Tage, nachdem ein Protest gegen den Polizisten–Mord an Sarah Everard gewaltsam aufgelöst wurde.
Das kommende Gesetz würde die erste größere Änderung des „Public Order Acts“, welches Vergehen im öffentlichen Raum regelt, seit 2003 bedeuten. Es sieht eine Beschneidung der Versammlungsfreiheit und die beinahe schrankenlose Einschränkung von Demonstrationen durch die Polizeibehörden vor. Offiziell wird der Gesetzesvorstoß mit fehlender Handhabe im Umgang mit Gang-Kriminalität, häuslicher Gewalt und mit Gewalt im öffentlichen Raum begründet.
Ein Absatz des Gesetzes schreibt vor, dass die regionalen Behörden und Institutionen ab sofort verpflichtet sein sollen, mit der Polizei zusammen zu arbeiten. Unter diese Regelung fallen Sozialarbeiter:innen, die mit straffälligen Jugendlichen arbeiten, Bewährungshelfer:innen, die Feuerwehr, Rettungskräfte und Gesundheitsbeamt:innen.
Darüber hinaus soll die Polizei ermächtigt werden, unangemeldete Zelte zu räumen. Im Antrag wird explizit genannt, dass sich dies auf die „Gypsy, Roma and Traveller community“ beziehe.
Weitgehende Willkür der Polizei bei Versammlungen
Das neue Gesetz soll die Polizei ermächtigen, Demonstrationen und Kundgebungen vor Ort eigenmächtig einzuschränken. Es schreibt keinen Rahmen vor, wie diese Einschränkungen aussehen sollen. Damit wird die Entscheidung über die Angemessenheit der Maßnahmen allein in der Hand der örtlichen Polizeibehörde gelegt.
Möglich sollen diese Einschränkungen sein, wenn ein Protest so laut ist, dass er eine „relevante, signifikante Auswirkung“ auf Unbeteiligte im Gebiet hat oder eine Organisation durch den Lärm gestört werden könnte. Das Parlament zählt z.B. zu solchen Organisationen. Es wurde mit in die „no-go-area“ aufgenommen, in der keine öffentlichen Versammlungen erlaubt sind.
Die NGO „Good Law Project“, die sich die Verteidigung der Grundrechte zum Ziel gesetzt hat, sieht hier ein massives Missbrauchspotential. Sie kritisiert, dass es gerade der Sinn eines Protests sei, mit Parolen etc. eine relevante Wirkung auf Außenstehende zu erreichen. Das Gesetz würde in der aktuellen Form die Einschränkung von fast jeder Demonstration genehmigen und nur solche Proteste erlauben, die den Behörden genehm sind. Somit würde das Gesetz gegen die Erklärung der Menschenrechte verstoßen, welche die Versammlungsfreiheit für alle Menschen garantiert.
Bis zu 10 Jahre Gefängnis für „öffentliche Störung“
Außerdem sieht das Gesetz langjährige Haftstrafen mit bis zu 10 Jahren für „public nuisance“ (dt.: öffentliche Störung) vor. Diese drohen jeder Person, die in irgendeiner Form für „serious annoyance“ (dt.: beträchtlichen Ärger) sorgt. Auch hier kritisierte die NGO den undefinierten Rahmen des Gesetzes. Die Behörden könnten das Gesetz willkürlich nach ihrem Belieben auslegen, und für die Protestierenden herrsche keinerlei Rechtssicherheit.
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