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Mittwoch, April 17, 2024
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    Wirtschaftskrise: Droht der nächste Finanzcrash in China?

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    Die drohende Pleite des chinesischen Immobilienkonzerns Evergrande hält die asiatischen Börsen seit Tagen in Atem. Springt der chinesische Staat nicht mit Notkrediten ein, befürchten einige Branchenexpert:innen sogar ein Finanzbeben wie nach dem Lehman-Crash 2008.

    An den weltweiten Finanzmärkten macht die Angst vor dem Grauen Nashorn die Runde. Was zunächst nach Kiffer-Fantasien klingt, ist eine ernst gemeinte Metapher in der Börsenwelt. Mit dem Begriff „Graues Nashorn“ werden dort nämlich Risiken bezeichnet, die zwar selten, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit eintreten, sehr große Negativauswirkungen auf die Märkte haben und dabei im Vorfeld völlig vernachlässigt werden.

    Die schlimmste Wirtschaftskrise aller Zeiten? Teil 1

    Als das bekannteste Graue Nashorn gilt die Corona-Pandemie, die im März 2020 eine schon bestehende Wirtschaftskrise massiv verschärft und den Crash an den weltweiten Finanzmärkten unmittelbar ausgelöst hat.

    Finanzblase auf Chinas Immobilienmarkt

    Nach Meinung eines Teils der Finanzwelt liegt das nächste Graue Nashorn bereits auf der Lauer und könnte die Börsen schon bald erneut umpflügen: Hierbei geht es um den chinesischen Immobilienmarkt und speziell das Unternehmen Evergrande. Der zweitgrößte chinesische Immobilienentwickler hat einen Schuldenberg von 300 Milliarden US-Dollar aufgehäuft und steht unmittelbar vor der Zahlungsunfähigkeit.

    Stürzt die Firma in die Pleite, könnte sie zahlreiche ihrer Gläubiger mit sich reißen, die auf ihren Zahlungsansprüchen sitzenbleiben würden. Diese sind wiederum mit anderen Unternehmen über Kreditgeschäfte verflochten. Es droht ein finanzieller Dominoeffekt, nach Meinung pessimistischer Beobachter:innen sogar ein Tsunami. Dies umso mehr, da Evergrande nicht die einzige chinesische Immobilienfirma ist, die in den letzten Jahren auf Pump gebaut hat. Guo Shuqing, Vorstand der chinesischen Finanzaufsicht CBIRC, bezeichnete die Blase auf dem chinesischen Immobilienmarkt schon im Dezember als das größte Graue Nashorn, das es derzeit gebe.

    Vor diesem Hintergrund sind die asiatischen Börsen in der vergangenen Woche bereits deutlich unter Druck geraten. Der Börsenkurs von Evergrande ist seit Jahresbeginn sogar um 81 Prozent eingebrochen – Tendenz weiter fallend.

    Vergleich mit dem Lehman-Crash

    In der Wirtschaftspresse wird angesichts der drohenden Zahlungsunfähigkeit von Evergrande immer wieder der Vergleich mit dem Lehman-Crash im September 2008 gezogen. Damals hatte die US-Regierung inmitten einer heftigen Überproduktionskrise auf dem Immobilienmarkt völlig überraschend entschieden, die angeschlagene Investmentbank Lehman Brothers nicht mit Notkrediten zu retten. Diese hatte damals immerhin 200 Milliarden Dollar Schulden angehäuft.

    Die Lehman-Pleite zog einen weltweiten Zusammenbruch der Kredit- und Finanzmärkte nach sich. Zwischenzeitlich gaben sich sogar Banken gegenseitig keine Kredite mehr. Am Ende waren es die imperialistischen Staaten, die den Finanzsektor mit stabilisiert haben. Insgesamt handelte es sich um Billionenbeträge, die letztlich auf Kosten der Arbeiter:innenklasse in den verschiedenen Ländern gingen.

    Weltwirtschaft am Abgrund

    Die Befürchtung in der Finanzwelt ist jetzt, dass sich das Drama von 2008 13 Jahre später in Asien wiederholen könnte. Deshalb blickt alle Welt nun gespannt darauf, ob die chinesische Regierung Evergrande stützt oder fallen lässt.

    Greift der chinesische Staat ein?

    Ob dies geschieht oder nicht, ist zur Zeit ein kontroverser Diskussionsgegenstand in der Welt der politischen und Marktanalyst:innen. Das Handelsblatt zitiert Hanns-Günther Hilpert, Leiter der Forschungsgruppe Asien der Stiftung Wissenschaft und Politik, für das Lager der Optimist:innen: Der chinesische Staat werde „die Dinge nicht eskalieren lassen“ und alles Nötige tun, um die Stabilität im Finanzsystem zu wahren. Jörg Wuttke, Präsident der Europäischen Handelskammer in Peking, kann sich dagegen vorstellen, dass es keine staatliche Rettung geben wird.

    Bemerkenswert ist in jedem Fall, dass die chinesische Zentralbank in der letzten Woche ihre Aktivitäten zur Stabilisierung des Finanzsystems ausgeweitet hat. Die People’s Bank of China hat den heimischen Banken am Freitag 14 Milliarden Dollar (90 Milliarden Yuan) bereitgestellt. Sonst lagen diese täglichen Geldspritzen im Monat September niemals höher als 10 Milliarden Yuan.

    Risiken für das Weltfinanzsystem

    Für eine staatliche Intervention würde sprechen, dass 90 Prozent der Evergrande-Schulden von chinesischen Banken gehalten werden, darunter der China Minsheng Banking, der Agricultural Bank of China und der Industrial and Commercial Bank of China. Diese würden die Schockwelle durch eine Firmenpleite also als erstes zu spüren bekommen. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Finanzcrash unbedingt auf China begrenzt bliebe. Effekte „zweiter und dritter Ordnung“, welche die Wirtschaftskrise in China verschärfen und von dort aus auf die globalen Finanzmärkte übergreifen, gelten zwar als unwahrscheinlich. Ausgeschlossen sind sie jedoch nicht – zumal die Gesamtzahl der Gläubiger von Evergrande bei 128 Banken und über 120 Unternehmen außerhalb der Finanzbranche liegt.

    Nicht zuletzt bleibt die Gefahr, dass dieses Graue Nashorn in Kürze auf weitere Artgenoss:innen trifft und mit ihnen als Herde durch die Finanzwelt jagt. Denkbar wäre hier etwa das Auftreten einer neuen Corona-Variante, eine weitere Umweltkatastrophe – oder aber eine Eskalation an einem der zahlreichen geopolitischen Konfliktpunkte in dieser Zeit.

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