Einst bildete sich die Partei aus der Umwelt- und Friedensbewegung sowie Ehemaligen aus linksradikalen Organisationen. Auf dem jetzigen Parteitag werden Waffen an Saudi-Arabien und die Ukraine ebenso durchgewunken wie eine Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken. Ist diese Entwicklung neu? – Ein Kommentar von Tim Losowsky.
Es sind schreiende Widersprüche zwischen Wort und Tat: Zur Bundestagswahl warben die Grünen mit Plakaten wie „Frieden schaffen ohne Waffen“. Oder auf Stickern mit „Atomkraft? Nein Danke!“. In der Regierung tat und tut die Grünen-Spitze das Gegenteil. Wer denkt, dass sie dies gegen den Willen der „Basis“ macht, der irrt. Der Parteitag hat die Linie der Grünen-Führung im Wesentlichen abgenickt.
Das sieht auch die kapitalistische Presse einhellig so. „Die Grünen häuten sich“, schreibt etwa Peter Huth in der Welt. Patricia Wiedemeyer fragt beim ZDF: „Sind das noch Grüne“? Geräuschlos würden „urgrüne Themen abgeräumt, es gibt kaum kritische Stimmen, und wenn ja, erhalten sie Höflichkeitsapplaus, mehr nicht“, so die Journalistin. Man könne sich dabei „verwundert die Augen reiben“.
Verwunderlich ist jedoch nicht das Treiben der Partei, sondern eher der sich hartnäckig haltende Gedanke, die „Grünen“ hätten irgend etwas mit Fortschritt zu tun.
Kriegs- und Sozialabbaupartei – since 2002
Die „Häutung“ hatte spätestens im Jahr 2002 mit dem Eintritt in die Rot-Grüne Regierung ihren vorläufigen Abschluss gefunden. Damals setzte der ehemalige „Straßenkämpfer“ Joschka Fischer als Minister zusammen mit der SPD zum einen die „Agenda 2010“ durch. Es war der massivste Angriff auf die Rechte der Arbeiter:innen seit Jahrzehnten. Wegen des weit unter dem Existenzminimum liegenden Hartz IV wurde ein Niedriglohnsektor samt Leiharbeit geschaffen. All das geht bereits auf das „Grünen“-Konto.
Und nicht nur das: zum anderen haben die Grünen auch den ersten Angriffskrieg von deutschem Boden aus zu verantworten: der Kosovokrieg wurde von Fischer mit den Worten begründet, er habe nicht nur gelernt „nie wieder Krieg“, sondern auch „nie wieder Auschwitz“. Perfide bemühte er einen Schein-Antifaschismus, um imperialistische deutsche Großmachtspolitik zu rechtfertigen.
Damals wie heute: Krieg geht vor
Die Grünen heute sind die Grünen von damals. Auch dieses Mal rechtfertigt Außenministerin Annalena Baerbock die Waffenlieferungen an die Ukraine mit einer Geschichte darüber, wie sie in in Warschau eine 90-jährige Überlebende der hunderttausenden Nazimorde getroffen hat, die ihr gesagt habe, man müsse „Verantwortung“ in diesem Krieg übernehmen. Während Baerbock diese Menschen instrumentalisiert, lehnt sie gleichzeitig mit der Bundesregierung Reparationszahlungen an Polen ab.
Während sie zudem von „feministischer Außenpolitik“ faselt und mündliche Solidarität mit den Frauenprotesten im Iran bekundet, werden zeitgleich Waffenlieferungen an Saudi-Arabien von ihr genehmigt. Ihr abstruses Argument auf dem Parteitag: stiege Deutschland aus Gemeinschaftsprojekten im Verteidigungsbereich aus, würden für die Ausrüstung der Bundeswehr mehr Kosten anfallen als ohnehin schon. Und das wäre dann wieder Geld, das dem Sozialstaat fehlen würde. Dann würde es schwierig mit einer Kindergrundsicherung.
Manchen mag es pervers vorkommen: lieber deutsche Kinder retten, als einem fundamentalistischen Frauenunterdrücker-Regime die Waffen verweigern. Doch bei den Grünen hat dies System: links blinken und scharf rechts abbiegen.
Ein Antrag dazu wurde auf dem Bundesparteitag übrigens nicht beschlossen, durch Hintergrundgespräche wurde er hinter den Kulissen abgewendet.
Klimaschutz?
Auch bei der AKW-Verlängerung zeigt sich, wie offen die Grünen ihre „Prinzipien“ verraten – und wie sie die Parteibasis dabei stützt. Sie stimmte der Verlängerung von zwei der drei AKWs zu und wird damit erneut zum Königsmacherin der Atomlobby.
Seit rund 20 Jahren schon sind die Grünen Vorreiter darin, die Klimabewegung ruhig zu halten, während sie den AKW-Ausstieg herauszögern. War es früher Fischer mit der Debatte um den „Atomkonsens“, ist es jetzt Habeck, der mal eben einen Gründungsmythos der Grünen auf offener Bühne zerstört.
Einem Deal mit dem Klimaverbrecher RWE stimmte der Parteitag auch zu: Kohleausstieg bis 2030, dafür das Dorf Lützerath abbaggern lassen. Ein fester Faustschlag ins Gesicht von Teilen der Klimabewegung, für die Lützerath zu einem Symbol des Widerstands geworden ist.
Die FFF-Sprecherin und Grünen-Mitglied Luisa Neubauer wirkt mit ihrer Kritik daran nunmehr wie das linke Feigenblatt. Es ist ihre Partei, die derzeit 100 Milliarden fürs Militär auflegt und aus dem 200 Milliarden-Gaspreis-Topf die Konzernprofite aufrecht erhalten will – aber fürs Klima noch kein einziges „Sondervermögen“ durchsetzen konnte. Und wer weiß – vielleicht wird 2030 auch der Kohleausstieg aus fadenscheinigen Gründen dann doch wieder von den Grünen verschoben?
RWE verbrennt bis 2030 weiter Braunkohle – Lützerath wird abgebaggert
Die Grünen waren es und sind es
Während die Grünen-Spitze offen wie nie im Interesse der großen deutschen Monopole agiert, scheinen nach wie vor gewichtige Teile der sozialen Bewegungen Bündnismöglichkeiten gegen die Angriffe von oben zu wittern. Tatsächlich aber ist die Partei beim Klimaschutz, in der Friedensbewegung, im Kampf gegen die Teuerungen auf der gegnerischen Seite. Das hat sie noch einmal offensiv auf dem Parteitag unterstrichen.
Das tut sie zwar schon seit 20 Jahren. Aber vielleicht hilft dieser Parteitag, dies für noch mehr Menschen deutlich zu machen.