Beim Gipfel in Hiroshima verhandeln die G7-Staaten über eine gemeinsame China-Strategie. Die Staaten sollen künftig in die Auslandsinvestitionen ihrer Unternehmen eingreifen — ein radikaler Schritt, den vor allem die USA vorantreiben. Ziel ist die Schwächung des chinesischen Hochtechnologiesektors. Innerhalb des Bündnisses gibt es jedoch Widersprüche.
Auch in diesem Jahr steht der G7-Gipfel im Zeichen der schärfer werdenden imperialistischen Auseinandersetzungen. Erstmals in der Geschichte der G7 haben die USA, ihre westlichen Verbündeten und Japan das Thema „Wirtschaftssicherheit“ auf die Tagesordnung gesetzt — wohinter sich nichts anderes verbirgt als die Diskussion über eine gemeinsame Strategie im Wirtschaftskrieg mit China.
Staatliche Eingriffe in die Handelspolitik
Dabei wollen die G7 zu radikalen handelspolitischen Maßnahmen greifen: Künftig sollen die Staaten nämlich nicht nur Übernahmen eigener Firmen durch ausländische Unternehmen verbieten können. Vielmehr wollen sie auch in die Auslandsinvestitionen der eigenen Unternehmen eingreifen. Dies solle zum Schutz „sensibler“ — sprich: strategisch wichtiger — Technologien geschehen. Die Bundesregierung könnte damit in Zukunft zum Beispiel verbieten, wenn BMW das Werk eines chinesischen Autozulieferers kaufen will.
Was nach einem Bruch mit gängigen Regeln der freien Marktwirtschaft klingt, zeigt den Grad an Zuspitzung in den internationalen Beziehungen zwischen den kapitalistischen Ländern. China ist nämlich inzwischen nicht nur zu einer solchen Wirtschaftsmacht geworden, dass es Prognosen zufolge die USA in wenigen Jahren als größtes Land bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt ablösen wird.
Es bedroht die Vormachtstellung der USA auch in den Schlüsseltechnologien, wie z.B. der Halbleiter- und Informationstechnik sowie der Künstlichen Intelligenz — und damit gerade dort, wo wirtschaftliche und militärisch-geostrategische Vormachtstellung besonders eng ineinander greifen. Diese Entwicklung können die USA und Verbündete nicht der Entscheidungsgewalt einzelner Firmenmanager:innen überlassen, sondern müssen sie — wenigstens zum Teil — unter staatliches Kommando stellen: zumindest, wenn sie Chinas staatlich gelenktem Kapitalismus etwas entgegensetzen wollen.
Seit Jahren haben die USA deshalb Schritte unternommen, um China technologisch auszubremsen. Aus diesem Grund setzt die Regierung von Joe Biden den Wirtschafts- und Handelskrieg gegen die chinesische Tech-Industrie fort, den Donald Trump begonnen hat. Im Januar etwa wurde bekannt, dass Biden ein komplettes Verbot von amerikanischen Exporten an Huawei in Erwägung zieht. Schon Trump hatte den Telekommunikationsausrüster auf eine schwarze Liste setzen lassen und damit von wichtigen Zulieferern abgeschnitten.
Widersprüche im G7-Lager
Auch der Beschluss des diesjährigen G7-Gipfels ist vor allem auf Betreiben der USA zustande gekommen. In der Erklärung des Bündnisses heißt es: „Um Risiken bei Auslandsinvestitionen zu reduzieren, könnten bestehende Instrumente zur gezielten Kontrolle von Exporten und eingehenden Investitionen ergänzt werden.“ Die Formulierung klingt unschuldig. Tatsächlich erwarten die USA aber von den anderen G7-Staaten, dass sie zügig Gesetze beschließen, um die staatlichen Eingriffe in Auslandsinvestitionen möglich zu machen. In den USA ist ein solches „Screening“-Gesetz bereits in Arbeit.
Dabei ziehen die G7-Staaten keineswegs uneingeschränkt am selben Strang. Vor allem Deutschland trägt den Konfrontationskurs der USA gegenüber China nur in Teilen und eher widerwillig mit. Stattdessen will es die Europäische Union unter deutscher Führung als eigenständige Kraft etablieren, die mit den USA und China auf Augenhöhe agieren kann. Deshalb lehnt sich Deutschland zwar eng an die USA an und unterstützt sie beim Zurückdrängen des chinesischen Einflusses in Ostasien. Gleichzeitig ist es jedoch zu einem gewissen Grad an einem starken China als Gegengewicht zu den USA interessiert und will vor allem seine engen wirtschaftlichen Beziehungen mit Peking weiter zum eigenen Aufstieg nutzen. Die Investitionen deutscher Konzerne in China lagen zuletzt auf Rekordniveau.
„Globale Zeitenwende“: Neuer Militarismus oder Kampf gegen die Kriegstreiberei?
Vor diesem Hintergrund befürwortete Wirtschaftsminister Habeck zwar die geplante Verschärfung der G7-Handelspolitik — und zwar auch zur Überraschung der eigenen Leute. Bundeskanzler Scholz positionierte sich bei dem Thema jedoch demonstrativ nicht und bemühte sich insgesamt, den Eindruck zu vermeiden, in Hiroshima werde eine „Anti-China-Allianz“ geschmiedet. Die eher wässrige Formulierung in der Gipfelerklärung dürfte im wesentlichen Deutschlands Verhandeln geschuldet sein. Scholz setzte auch durch, dass die G7 statt einer Entkopplung („De-Coupling“) von China lediglich von einer Risikoverminderung („De-Risking“) durch das Herunterfahren wirtschaftlicher Abhängigkeiten sprechen: „Wir werden übermäßige Abhängigkeiten in unseren wichtigen Lieferketten reduzieren.“
Fortsetzung der Anti-Seidenstraßen-Politik
Neben der Verschärfung der Außenhandelspolitik positionierten sich die G7 in der Hiroshima-Erklärung gegen „wirtschaftliche Nötigung“: „Die Welt ist mit einer beunruhigenden Zunahme von Fällen wirtschaftlicher Nötigung konfrontiert, die darauf abzielen, wirtschaftliche Schwächen und Abhängigkeiten auszunutzen.“ Was nach mehreren hundert Jahren europäisch-amerikanisch-japanischer Kolonial- und Neokolonialpolitik in vielen Ländern der Welt als schlechter Witz aufgenommen werden dürfte, richtet sich in der Logik der G7 vor allem gegen Chinas Initiative “Neue Seidenstraße”.
Das mehrere Billionen Dollar schwere Megaprojekt Pekings zur wirtschaftlichen und technologischen Eroberung Eurasiens und der Welt wird von allen G7-Staaten als Bedrohung der eigenen Vorherrschaft angesehen. Bereits bei den vergangenen G7-Gipfeln in Cornwall und Schloss Elmau hatten die G7 deshalb Gegenprojekte zur Neuen Seidenstraße beschlossen. Bis 2027 sollen dafür 600 Milliarden Dollar investiert werden — so das Ergebnis des letztjährigen G7-Gipfels in Schloss Elmau.