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„Globale Zeitenwende“: Neuer Militarismus oder Kampf gegen die Kriegstreiberei?

Bundeskanzler Scholz hat die Linien für Deutschlands künftige imperialistische Strategie gezogen. Die „globale Zeitenwende“ erfordere eine massive Aufrüstung, die Stärkung von EU und NATO und ein aggressiveres Vorgehen gegen Russland und China. Die Regierung will das Land auf neue imperialistische Kriege vorbereiten. Als Arbeiter:innenklasse müssen wir das verhindern, wenn wir dabei nicht unter die Räder kommen wollen. – Ein Kommentar von Thomas Stark

Mehr Aggressivität wagen: So könnte man die Positionen zusammenfassen, die Bundeskanzler Scholz zukünftig in der Außenpolitik durchsetzen will. In einem Grundsatzbeitrag in der Zeitschrift „Foreign Affairs“ ist der Bundeskanzler auf die „globale Zeitenwende“ eingegangen und welche Aufgaben sich daraus für Deutschland ergeben würden. Seine Antwort: Deutschland soll stärker und gewalttätiger im Kampf um die Neuaufteilung der Welt mitmischen, nämlich durch mehr Aufrüstung, eine EU unter deutscher Vorherrschaft und eine größere Aggressivität gegen Länder wie Russland und China. Scholz will eine Nationale Sicherheitsstrategie, die das Land auf Kriege zwischen der NATO und anderen Mächten, auf die Cyberkriegsführung und sogar auf Atomkriege vorbereitet.

Die „globale Zeitenwende“

Ausgangspunkt für Scholz‘ Strategiepapier ist die neue Phase im Kampf zwischen den imperialistischen Mächten. Diese hat mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine begonnen und wird vom Bundeskanzler seitdem mit der Formel einer „Zeitenwende“ bezeichnet. Für Scholz bestehe die Aufgabe der Europäischen Union darin, im Konkurrenzkampf mit anderen imperialistischen Mächten und Blöcken als unabhängige Kraft zu agieren. Da Deutschland Europa und die EU schon immer als machtpolitischen Hinterhof von Berlin betrachtet hat, geht es hierbei unverhohlen um die deutsche Geostrategie: Deutschland soll seine Vormachtstellung in Europa ausbauen und auf dieser Grundlage als Weltmacht agieren. Die „Zeitenwende“ besteht darin, dass Deutschland seine Großmachtambitionen bisher vor allem auf wirtschaftlichem Weg durchgesetzt und dabei geschickt die Widersprüche zwischen anderen Mächten wie Frankreich, den USA, Russland und China für sich ausgenutzt hat. Jetzt, da diese Möglichkeit mit dem Ukraine-Krieg weggefallen ist, muss Deutschland aus Sicht der Regierung selbst zur militärischen Großmacht werden.

Die Militarisierung Deutschlands

Deutschlands zukünftige Großmachtpolitik verkauft Scholz als Kampf gegen „die Kräfte des Faschismus, Autoritarismus und Imperialismus“. Als „einer der Hauptgaranten für die Sicherheit in Europa“ müsse Deutschland in die „Streitkräfte investieren“, die „europäische Rüstungsindustrie stärken“, die „militärische Präsenz an der NATO-Ostflanke“ (an der Grenze zu Russland) erhöhen und „die ukrainischen Streitkräfte ausbilden und ausrüsten“. Die Schaffung eines Sondervermögens von 100 Milliarden Euro zur Aufrüstung der Bundeswehr sei „einer der ersten Beschlüsse“ in diesem Zusammenhang gewesen. In Zukunft solle Deutschland mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts pro Jahr ins Militär investieren – aktuell wären das etwa 85 Milliarden Euro.
Zusätzlich wirbt Scholz für mehr europäische Rüstungsprojekte und will die Mitgliedsstaaten der EU dazu bringen, ihre Waffensysteme zu vereinheitlichen. Diese Maßnahmen nutzen unmittelbar vor allem der deutschen und der französischen Rüstungsindustrie und verschärfen zugleich die Kontrolle beider Länder über das Militär der kleineren Staaten. Ein besonderer Fokus in der europaweiten Aufrüstung liegt auf der Luftwaffe und der Kriegsführung im Weltraum. Hierfür wurde im August die European Sky Shield Initative geschaffen. Erst kürzlich haben die Rüstungskonzerne Dassault und Airbus den Start einer neuen Entwicklungsphase für das neuartige High-Tech-Kampfflugzeug FCAS angekündigt.

Die Ukraine als Vorposten gegen den russischen Imperialismus

Scholz stellt klar, dass Deutschland die Ukraine als militärischen Vorposten gegen den russischen Imperialismus sieht und das Land weiterhin massiv mit Geld und Waffen unterstützen will. Schon jetzt findet in der Ukraine faktisch ein Stellvertreterkrieg zwischen Russland und der NATO statt, wobei die ukrainische Armee die Waffen der NATO bedient und dafür auf die Feindaufklärung von NATO-Staaten zurückgreift. Deutschland hat mit seinen Rüstungslieferungen an die Ukraine in diesem Jahr erstmals ganz offen und unverhohlen Waffen direkt in ein Kriegsgebiet geschickt. Schon vorher stand der angebliche Grundsatz, keine Waffen in Kriegsgebiete zu liefern, allerdings nur auf dem Papier und wurde durch regelmäßige Exporte an Kriegsmächte wie Saudi-Arabien oder die Türkei systematisch durchbrochen.

Die Ukraine soll von Deutschland unter anderem weiter Artillerie, Panzer- und Luftabwehrsysteme erhalten. Die Tschechische Republik, Griechenland, die Slowakei und Slowenien wiederum sollen ihre Kampfpanzer aus Sowjetzeiten an die Ukraine abgeben und im Gegenzug künftig deutsche Panzersysteme benutzen.

Erhöhung der deutschen Truppenpräsenz in Osteuropa

Deutschland will seinen Einfluss vor allem im Osten und Südosten Europas ausdehnen. Zu diesem Zweck haben die Ukraine und Moldau in diesem Jahr den Status als EU-Bewerberländer erhalten. Der EU-Beitritt der Staaten des Westbalkan ist eine besondere Priorität von Scholz und russischen Interessen in Südosteuropa entgegengerichtet. Auch das Kaukasusland Georgien will Scholz in Zukunft in die EU holen.

Im Rahmen der NATO strebt Deutschland die Rolle einer Führungsmacht an der „Ostflanke“, das heißt der europäischen Grenze zu Russland an. Dort wurde die Truppenpräsenz der Bundeswehr vor allem in der früheren deutschen Kolonie Litauen sowie in der Slowakei massiv erhöht. Die deutsche Luftwaffe ist über Estland und Polen aktiv, die deutsche Marine in der Ostsee.

Im Rahmen der Verachtfachung der schnellen Einsatztruppen der NATO auf 300.000 Soldat:innen wird Deutschland sich mit einer Panzerdivision sowie Flugzeugen und Kriegsschiffen beteiligen.

Imperialistischer Kampf mit den USA und China

Auf lange Sicht will der Bundeskanzler Deutsch-Europa zu einer Großmacht aufrichten, die auf Augenhöhe mit China und den USA um die Neuaufteilung der Welt kämpfen kann. Er widerspricht deshalb ausdrücklich einer „Bipolarität“ innerhalb der Weltordnung.

Deutschland lehnt sich einerseits zwar eng an die USA an und unterstützt diese bei der Zurückdrängung des chinesischen Einflusses in Ostasien, so z.B. in der Taiwan-Frage.
Gleichzeitig will Deutschland weiter mit China zusammenarbeiten, offensichtlich damit die USA nicht zu mächtig werden. Die US-Regierung von Joe Biden versucht Deutschland und Europa gerade nicht nur massiv in eine militärische Abhängigkeit zu zwingen, sondern setzt auch den Handelskrieg seines Vorgängers Trump gegen Europa fort. Das allein zeigt, dass die USA, Frankreich und Deutschland in erster Linie Konkurrenten und danach erst Bündnispartner auf Zeit sind.

Scholz‘ Position macht klar, dass Deutschland seine Weltmachtambitionen keinesfalls aufgeben wird. Sein Eintreten für eine „regelbasierte internationale Ordnung“ sowie „offenen und fairen Handel“ ist kein Ausdruck einer friedfertigen Grundhaltung, sondern entspricht den Interessen des deutschen Kapitals sowie der Strategie der wirtschaftlichen Durchdringung anderer Staaten. Genau damit ist Deutschland in den letzten siebzig Jahren zur Führungsmacht in Europa geworden.

Diesem System keinen Menschen und keinen Cent

Aus Sicht der Arbeiter:innenklasse in Deutschland bedeutet Scholz‘ „Zeitenwende“ die Perspektive von heftigen wirtschaftlichen und politischen Angriffen auf unsere Lebensbedingungen und einer neuen Ära von großen Kriegen. Es liegt nicht in unserem Interesse, uns hinter Scholz und den Parteien der Ampel-Regierung einzureihen oder der Militarisierung und Kriegstreiberei stillschweigend zuzustimmen. Denn schon heute bezahlen wir für den Sanktions- und Energiekrieg mit Russland und die Aufrüstungspolitik in Form von explodierenden Energie- und Warenpreisen sowie mit der Umverteilung von unten nach oben über den Staatshaushalt. Wenn die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den imperialistischen Mächten weiter eskalieren, werden wir noch mit weitaus mehr bezahlen müssen. Eine Wiedereinsetzung der Wehrpflicht haben Politik und Medien in diesem Jahr bereits diskutiert. Bei Scholz‘ strategischer Vision geht es nicht um einen Kampf gegen „die Kräfte des Faschismus, Autoritarismus und Imperialismus“. Scholz ist selbst ein Imperialist, der Regierungschef einer imperialistischen Großmacht, die noch größer werden will. Der Aufstieg Deutschlands in Europa ist auf die wirtschaftliche Aussaugung vor allem Ost- und Südeuropas sowie auf Kriege wie den Angriffskrieg auf Jugoslawien 1999 gegründet. Deutschlands Weltmachtanspruch ist das Spiegelbild des russischen, des amerikanischen und des chinesischen Weltmachtanspruchs, und bei der Durchsetzung dieses Anspruchs ist Deutschland um keinen Hauch weniger skrupellos, wie die Geschichte gezeigt hat.

Die Profiteure der Militarisierung und der Kriegstreiberei sind die deutschen Kapitalist:innen, die im Krisenjahr 2022 Rekordgewinne feiern konnten. Es ist dieses kapitalistische System, dem wir in den Worten Karl Liebknechts „keinen Mann und keinen Groschen“, keinen Menschen und keinen Cent schenken dürfen.

Vor über hundert Jahren haben die Arbeiter:innen und Soldat:innen in Deutschland gezeigt, wie die Antwort auf das imperialistische Kriegstreiben aussehen muss. Sie haben sich in der Novemberrevolution erhoben und dem Ersten Weltkrieg sowie der deutschen Monarchie ein Ende gesetzt. Es ist der Kampf der Arbeiter:innenklasse gegen den Imperialismus und für die sozialistische Revolution, der auch heute wieder gefragt ist.

Thomas Stark
Thomas Stark
Perspektive-Autor seit 2017. Schreibt vorwiegend über ökonomische und geopolitische Fragen. Lebt und arbeitet in Köln.

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